Logo TSV 1860 München_1960er Jahre_Scan oepb.atVor 50 Jahren, man schrieb den 28. Mai 1966, holte der TSV 1860 München die erste – und bisher einzige – Deutsche Meisterschaft an die Isar. Es blieb dies bis heute der letzte große Triumph der weiß-blauen „Münchner Löwen“.

Die Deutsche Fußball-Bundesliga ging in ihr drittes Bestandsjahr. Nach dem 1. FC Köln / Meister 1963/64 und dem SV Werder Bremen / Champion 1964/65 wartete man gespannt darauf, wer in diesem Jahr die „Salatschüssel“ – unschöne Bezeichnung für den gewonnenen Meisterschafts-Teller – am Ende in Händen halten wird. Die Reihe der Favoriten war lang und München wollte partout die Meisterschaft. Der TSV von 1860 wohl gemerkt, denn der FC Bayern München war gerade erst aufgestiegen und absoluter Bundesliga-Neuling. Und so sollte sich kurioserweise bereits am ersten Spieltag der spätere Fußball-Champion herauskristallisieren.

Die „Löwen“ waren Bundesliga-Gründungsmitglied und gehörten der höchsten Deutschen Spielklasse seit 1963 an. Im ersten Jahr wurden sie Siebenter in der Endabrechnung, im Jahr darauf bereits Vierter. 1964 holten die Münchner Weiß-Blauen den DFB-Pokal, nach einem 2 : 0-Finalerfolg gegen die SG Eintracht Frankfurt. 1965 drang der TSV bis ins Endspiel im Europapokal der Pokalsieger vor, scheiterte jedoch im Finale an West Ham United mit 0 : 2. Nichts desto trotz war man stolz in der Weißwurstmetropole auf die Löwen und die Anhänger strömten in Scharen in das bereits damals nicht mehr ganz taufrische „Stadion an der Grünwalderstraße, auch „Sechzger Stadion“ genannt auf Giesings Höhen. Immerhin wurde dort bereits seit 1911 ununterbrochen Fußball gespielt und der Erfolg des Münchner TSV von 1860 zog wahre Menschenmassen an. Das höchste der Gefühle waren an der Grünwalder Straße jedoch „nur“ 44.000 Zuseher, der große Rest fiel oftmals durch den Rost und bekam keine Karten mehr. Public Viewing und dergleichen gab es damals natürlich noch nicht und so blieben die Leute ohne Karten einfach vor den Stadion-Toren stehen und sangen dort ihre Lieder und Schlachtgesänge.

München trug im heißen Sommer 1965 ein besonders schmuckes und einladendes Kleid und in der ganzen Stadt herrschte Aufbruchsstimmung. München wollte nicht nur die „Deutsche“ – gemeint ist der Meistertitel in Sachen Fußball – nein, man wollte auch die Welt zu Gast haben. Und es wurde zur Gewissheit – München wird die Olympischen Sommerspiele 1972 austragen.

Die absolute Fußball-Euphorie an der Isar stieg natürlich bereits vor dem ersten Spieltag, denn neben Tasmania 1900 Berlin und VfL Borussia Mönchengladbach stieg auch, wie bereits erwähnt, der FC Bayern München in die 1. Deutsche Bundesliga auf. Das Losglück bescherte den beiden alten Rivalen gleich am Ersten Spieltag das 150. Lokal-Derby und so strömten am 14. August 1965 über 44.000 Zuschauer ins „Städtische Stadion an der Grünwalder Straße“. Viele hatten noch nicht einmal ihre Plätze eingenommen, da traf nach nur wenigen Sekunden bereits Timo Konietzka zum 1 : 0 für den TSV. Jener Konietzka, der eben erst von Borussia Dortmund verpflichtet wurde und der als erster Bundesliga-Torschütze überhaupt – 24. August 1963, 0 : 1 für Dortmund in Bremen in der 1. Spielminute, Bremen gewann die Partie mit 3 : 2 – in die Geschichtsbücher eingegangen war.

Das Löwen-Team 1965/66. Stehend von links: Trainer Max Merkel, Rudolf Brunnenmeier, Alfred Kohlhäufl, Hans Küppers, Hans Rebele, Helmut Richert, Hans Reich, Otto Luttrop, Hans Fischer, Ernst Winterhaider, Manfred Wagner, Timo Konietzka, sowie Bernd Patzke. Hockend v.l.: Wilfried Kohlars, Rudolf Zeiser, Ludwig Bründl, Alfred Heiß, Anton Prockl, Petar Radenkovic, Wilfried Tepe, Zeljko Perusic, Rudolf Steiner, Peter Grosser und Co-Trainer Franz Langhammmer. Foto: Sammlung Max Merkel
Das Löwen-Team 1965/66. Stehend von links: Trainer Max Merkel, Rudolf Brunnenmeier, Alfred Kohlhäufl, Hans Küppers, Hans Rebele, Helmut Richert, Hans Reich, Otto Luttrop, Hans Fischer, Ernst Winterhaider, Manfred Wagner, Timo Konietzka, sowie Bernd Patzke. Hockend v.l.: Wilfried Kohlars, Rudolf Zeiser, Ludwig Bründl, Alfred Heiß, Anton Prockl, Petar Radenkovic, Wilfried Tepe, Zeljko Perusic, Rudolf Steiner, Peter Grosser und Co-Trainer Franz
Langhammmer. Foto: Sammlung Max Merkel

Trainer der Löwen war damals der als Peitschenknaller bekannte Max Merkel. Der Wiener, der stets für seine „freche Goschen“ bekannt war, stand in seinem fünften Jahr als „Löwen-Bändiger“. Merkel wollte auch endlich die Deutsche Meisterschaft nach München holen. Aus einer Laune heraus, aber auch mit Nachdruck, versprach dies Merkel dem Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel zum Saisonstart. In seiner Ära, so hieß es später, herrschte absolutes Profitum bei den Löwen und er wusste, wie er mit seinen Spielern umzugehen hatte. Dies ging manchmal allerdings auch soweit, dass sich eine Kluft zwischen Trainer und Aktiven auftat, die nur Teile des Präsidiums mühsam wieder kitten konnten. Gerade der für seine Ausflüge ins Spielfeld bekannte Publikumsliebling und den Hang zur Show mit sich bringende Torhüter Petar Radenkovic war es, der sich gerne mit Merkel anlegte. Beide lagen demnach mehrmals im Clinch.

Dennoch ging es erfolgreich weiter. Nach dem Auftaktsieg gegen den FC Bayern zwang man auch den zweiten bayrischen Rivalen aus Franken, den 1. FC Nürnberg auf deren Platz mit 4 : 1 in die Knie. Und nach dem 5 : 0 zu Hause, abermals vor 44.000 Zuschauern, gegen Hannover 96 war man am 3. Spieltag mit 6 : 0 Punkten alleiniger Tabellenführer. Am Betzenberg beim 1. FC Kaiserslautern gab es für die Löwen jedoch nichts zu holen. Die „Roten Teufel“ behielten mit 3 : 0 die Punkte in der Pfalz. Zu allem Überfluss führte der FC Bayern als Aufsteiger nun die Tabelle an. Jedoch am 8. Spieltag erklommen die Löwen wieder die Tabellenspitze. Der 2 : 0-Auswärtserfolg beim regierenden Deutschen Meister von der Weser, dem SV Werder Bremen, sollte bereits mit sich bringen, was von nun an geschah – die Löwen bissen sich ganz oben fest. Nach dem 2 : 1-Erfolg in Hamburg beim HSV am 17. Spieltag posaunten die Deutschen Gazetten, dass diese Löwen Meister werden würden. Man erwähnte den „Angriff der sechs Internationalen“, den kein anderer Verein aufzuweisen hatte: Rudolf Brunnenmeier, Peter Grosser, Alfred Heiß, Timo Konietzka, Hans Küppers, sowie Hans Rebele. Welche Namen in der damaligen Zeit! Max Merkel stand oft aufstellungstechnisch vor der Qual der Wahl, wählte dann jedoch aufgrund seiner Spiel-Taktik die jeweiligen Stürmer aus.

Am 8. Jänner 1966 startete die Rückrunde. Der FC Bayern nahm grimmige Revanche betreffend der Derby-Auftaktniederlage und bot den Löwen mit 3 : 0 die rot-weiße Stirn. Und das Werkel stotterte und kam ins Trudeln. In Müngersdorf beim 1. FC Köln setzte es ein 1 : 3. Es hatte den Anschein, dass der TSV im Endspurt die Nerven verlieren würde. Nach einem 1 : 1 zu Hause gegen den BTSV Eintracht Braunschweig meinte Merkel resignierend: „Der Zopf ist ab. Das Rennen ist aus!“

Im richtigen Moment jedoch war die Truppe wieder da. Und topfit obendrein. Zwei Spieltage vor Schluss gab es folgende Konstellation: Borussia Dortmund (47 : 17 Punkte), vor den Löwen mit der gleichen Punkteausbeute und dem FC Bayern (46 : 18 Zähler). Voller Zuversicht reisten die Löwen nach Westfalen zum BVB. Kühl und staubtrocken bis ans Herz fügten sie dem frisch gebackenen Europapokalsieger Borussia Dortmund mit 2 : 0 die erste Heimniederlage im laufenden Meisterschaftsbewerb zu. Die Bayern vergeigten zu Hause vor 28.000 Zuschauern gegen den 1. FC Köln mit 1 : 4 die letzten Meisterschafts-Chancen – die Löwen waren vor dem letzten Spieltag somit so gut wie am Ziel.

Ein Wiener in München - ein Wort! Max Merkel (ganz links) versprach Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (ganz rechts) am Saisonstart die Meisterschaft. Die Herren Rudi Brunnenmeier (15 Tore) und Peter Grosser (18 Treffer, Bildmitte) hatten maßgeblichen Anteil daran. Foto: Sammlung Max Merkel
Ein Wiener in München – ein Wort! Max Merkel (ganz links) versprach Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (ganz rechts) am Saisonstart die Meisterschaft. Die Herren Rudi Brunnenmeier (15 Tore) und Peter Grosser (18 Treffer, Bildmitte) hatten maßgeblichen Anteil daran. Foto: Sammlung Max Merkel

Es goss wie aus Kübeln an jenem Pfingstsamstag, den 28. Mai 1966. Nicht desto trotz strömten neuerliche 44.000 Zuschauern zu ihrem TSV ins altehrwürdige „Sechzger Stadion“ nach München-Giesing. Gegner war der Hamburger Sport Verein. Und es lief auch wie geschmiert: Rudi Brunnenmeier traf mit seinem 15. Saisontor nach fünf Minuten zum 1 : 0. Der spätere Ausgleich durch Uwe Seeler für den HSV in der 77. Spielminute war lediglich Ergebniskosmetik. Der TSV 1860 München war als Deutscher Meister am Ziel angelangt und stand am sportlichen Zenit seines Seins. Auch die erreichten 50 Punkte – bei 2-Punkte-Regel für den Sieg – stellten einen neuen Rekord dar. Und die 20 Siege mit 80 Toren nach 34 Runden waren detto Rekord-Neuland im Deutschen Klubfußball.

„Nach dem Schlusspfiff fällt das Stadion in einen wahren Freudentaumel. Sprechchöre und Gesänge wechseln von den Rängen nach draußen vor die Stadion-Tore zu jenen, die keine Karte mehr ergattert hatten und im Regen ausharrten, wieder zurück ins Stadioninnere. Die Spieler fallen sich immer wieder überglücklich in die Arme. Nach der Gratulation des fairen hanseatischen Sportsmannes „Uns Uwe“ Seeler wird die Meisterschaftstrophäe überreicht. München hat nun endlich seinen Fußball-Meister! „Radi“ Radenkovic reißt die Schale an sich und eilt mit seinen Kollegen zur gegenüberliegenden Tribüne, der so genannten „Stehhalle“. Dort wird das Team natürlich von tosendem Applaus empfangen. Die Ehrenrunde nimmt kein Ende. Immer wieder erschallen lautstarke „60, 60, 60“-Rufe. Die Menschen liegen sich in den Armen, geschwungene Fahnen wohin man schaut, das Stadion ertrinkt in Weiß-Blau.

Zwei Stunden nach Spielschluss weint der Himmel über München immer noch. Die Leute stehen am Straßenrand und warten auf ihre Helden. Sie wissen, welcher Weg zum Marienplatz führt. Mit Fahnen und Transparenten wird aus den Häusern gewunken. „Wir grüßen unseren Meister!“, „Der TSV, er lebe hoch!“, „Wir gratulierten unseren Löwen!“ – so nur einige Sprüche darauf. Die Spieler sitzen in offenen Wägen, teilweise ohne Schirm und werden pudelnass. Doch das ist heute alles egal. Ganz vorne an der Spitze der Kolonne befinden sich der Meister-Macher Max Merkel und der Löwen-Präsident, Adalbert Wetzel, sichtlich überglücklich und strahlend über das ganze Gesicht. Nur langsam bewegt sich der Tross in Richtung Marienplatz. Dort wurde eine Tribüne vorbereitet, auf der die Mannschaft erscheint. Es regnet nach wie vor. Die Menschen singen, schunkeln, lachen, jubeln – ihr TSV ist heute Deutscher Meister geworden.

Blick ins "Städtische Stadion an der Grünwalder Straße", dem "Sechzger Stadion" aus der Vogelperspektive. Foto: oepb
Blick ins “Städtische Stadion an der Grünwalder Straße”, dem “Sechzger Stadion” aus der Vogelperspektive. Foto: oepb

Der Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel ergreift das Mikrophon: „Meine Sechziger …“ aber mehr ist von ihm nicht mehr zu vernehmen, denn die weitere Laudatio geht im ohrenbetäubenden Lärm der weiß-blauen Massen unter. Der Bürgermeister ist dennoch am richtigen Ort bei der richtigen Veranstaltung, beim richtigen Verein, denn bis dato war noch jeder Oberbürgermeister ein blauer Löwe und noch nie ein roter Bayer.

Ganz München ist an jenem Abend komplett aus dem Häuschen. Die zahlreichen Kneipen und Beisln sind zum Bersten voll. Und selbst als der Regen endlich nachlässt und auch aufhört, ist die Stadt noch immer siegestrunken und im Freudentaumel – bis zum nächsten Morgen …!“ (Auszug aus: Als München den Meister stellte! von Erwin H. Aglas, 1. Juni 1966)

Jahre später sollte Torhüter Petar „Radi“ Radenkovic folgendes in Anlehnung an jene Jahre sagen: „Nie waren wir besser als in den 1960er Jahren. Und 1966 war der absolute Höhepunkt. Was für ein Team. Wir spielten mit lauter Individualisten und acht Internationalen den attraktivsten Fußball.“

Beide Aufnahmen stammen vom Mai 1988. Foto: oepb
Beide Aufnahmen stammen vom Mai 1988. Foto: oepb

Die Stärken der Löwen lagen im Gegensatz zum Vorjahresmeister Werder Bremen dort, wo der Fußballsport am schönsten ist – im offensiven Mittelfeld und im Angriff. Die dort agierenden Brunnenmeier, Grosser, Heiß, Konietzka, Küppers und Rebele machten den feinen Unterschied aus. Otto Luttrop dahinter und die Arbeitsbiene Zeljko Perusic machten gehörig Dampf und fütterten so die Torfabrik. Gerade auswärts agierten die Löwen äußerst bissig: 9 : 1 bei Borussia Neunkirchen, 5 : 0 bei Tasmania Berlin, 4 : 1 in Nürnberg. Und dennoch entschied sich alles in der 1. Spielminute am 1. Spieltag. Der von Max Merkel aus Dortmund verpflichtete Timo Konietzka machte mit seinem Derby-Tor den feinen Unterschied aus. Hätten die Löwen nämlich nur das erste Derby verloren und alle anderen Spiele wären ausgegangen wie gehabt, dann hätte der FC Bayern München gleich in seinem ersten Bundesligazugehörigkeits-Jahr das Double geholt. Die Bayern gewannen nämlich am 4. Juni 1966 mit einem 4 : 2 gegen den Meidericher SV, heutiger MSV Duisburg, den DFB-Pokal.

Quelle: oepb

Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang auch jene Buch-Rezension bei uns:

www.tsv1860.de

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