Blick vom Atomium aus auf das Brüsseler Heysel-Stadion im Jahre 1987, zwei Jahre nach der Katastrophe. Foto: © oepb

Ein Mittwoch Abend, jener vom 29. Mai 1985, sollte in die Geschichte als „Die Katastrophe von Heysel“ eingehen. Eine Katastrophe, die nicht als Unglück zu bezeichnen war, sondern als Massaker, das von Menschenhand heraufbeschworen, gesteuert und gelenkt wurde.

Der Fußball in Österreich im Mai 1985

Die heimische Bundesliga – damals noch firmierend als 1. Division – lag in den letzten Zügen. Die 16er Liga stand vor dem Ende ihrer dritten und letzten Saison, zwei Spieltage waren noch ausständig. Der FK Austria Wien stand bereits früh- und vorzeitig als Fußballmeister 1984/85 fest und auch das bevorstehende Cupfinale hierzulande ließ mit dem großen Wiener Derby RAPID gegen Austria die beiden besten Klubs des Landes die Klingen kreuzen. Wien war damals auch in Sachen Fußball die Hauptstadt von Österreich, denn wie erwähnt war die Austria bereits Meister und der SK RAPID Wien stand am 15. Mai 1985 erstmals in seiner Geschichte – und als zweiter österreichischer Fußballverein überhaupt nach der Wiener Austria 1978 – in einem Europapokal-Endspiel. Im Europacup-Finale der Pokalsieger verloren die Hütteldorfer in Rotterdam gegen den FC Everton mit 1 : 3. Die Österreichische Nationalmannschaft hatte nach einem 1 : 1 am 1. Mai 1985 – ebenfalls in Rotterdam – gegen die Niederlande noch berechtige Chancen, sich für die Fußball-WM 1986 in Mexiko zu qualifizieren. Es schien also alles Eitel, Wonne, Sonnenschein im „Fußballlandl Österreich“ zu sein.

8. Mai 1996, Europapokalfinale der Pokalsieger, Brüssel, Paris St.-Germain gegen SK RAPID Wien (1 : 0), Stade Roi Baudouin. Blick von der Tribüne 4, der einstigen Palast-Kurve, in der sich 11 Jahr zuvor das “Massaker von Brüssel” ereignet hatte, ins Stadion. Foto: © oepb

Europacup-Finale der Landesmeister 1984/85 – Juventus Turin versus FC Liverpool

Im Fußball-Europa freute man sich auf das Meistercup-Finale. Mit den „Reds“ aus Liverpool und der „Alten Dame“ aus Turin trafen nicht nur zwei Traditionsklubs aufeinander, beide Vereine galten – und tun dies auch heute noch – als wahre Aushängeschilder ihrer Nationen. Die „Juve“ kam über Ilves Tampere, Grasshoppers Zürich, Sparta Prag und Girondins Bordeaux ins Endspiel. „Die Roten“ aus der Beatles-Stadt Liverpool eliminierten auf ihrem Weg ins Finale Lech Posen, Benfica Lissabon, den FK Austria Wien (1 : 1 in Wien, 1 : 4 in Liverpool aus Sicht des FAK), sowie Panathinaikos Athen. Und während Juventus Turin im Jahr zuvor den Europapokal der Pokalsieger gewann, war der LFC regierender Titelträger im Meisterpokal. Die Superstars hießen Michel Platini (Juventus) und Ian Rush (Liverpool). Nicht vergessen darf man allerdings auch Kenny Dalglish, Bruce Grobelaar, Ronnie Whelan und John Wark auf der einen, sowie den Polen Zbigniew Boniek und Gaetano Scirea, Paolo Rossi, und Antonio Cabrini – allesamt Fußball-Weltmeister von 1982 – auf der anderen Seite. Man freute sich demnach in Brüssel – und nicht nur dort – auf ein Fußballfest sondergleichen.

Das Schicksal nahm seinen Lauf

Während aus Italien 30.000 Tifosi erwartet wurden, rechnete man mit „nur“ 7.000 LFC-Fans von der britischen Insel, aber für die hatte man – so dachte man – vorgesorgt. Das Heysel-Stadion sollte einer Festung gleichen, ein Haftrichter war vor Ort und hätte sofort bei der kleinsten Übertretung seines Amtes walten sollen, denn bereits am Vorabend kam es beim Betreten der Fußballfans auf europäischem Festland, von der britischen Insel kommend in Ostende, zu einigen Handgreiflichkeiten der Engländer.

Die Paris-Anhänger, die in Summe jenen aus Wien am 8. Mai 1996 um nichts nachstanden, waren stimmungsmäßig den RAPID-Anhängern bei weitem unterlegen. Foto: © oepb

Spielbeginn 20.10 Uhr

Während einerseits um 20.10 Uhr das Match hätte angepfiffen werden sollen, begannen andererseits die Engeländer „ihr Match“ bereits um 19.15 Uhr. Heute weiß man, dass sich die Stimmung in der Stadt bereits Stunden vor dem Spiel aufgeschaukelt hatte. Immer wieder trafen Italiener auf Engländer, immer wieder folgten auf gegenseitige Schmähungen wilde Prügeleien. Im Stadion selbst verhielt es dann so, dass sich beide Parteien mit Steinen aus dem mehr als nur baufälligen Heysel-Stadion bewarfen. Als dann die Italiener Leuchtmunition in den Sektor der Engländer abfeuerten, war die Meute nicht mehr zu halten. Die Hardcore-Fans aus Liverpool stürmten aus ihrem Block in Richtung Nachbar-Block, der zwar neutral gehalten war, darin befanden sich jedoch zahlreiche Juve-Anhänger, teilweise älteren Semesters und absolut keine Radaubrüder. Panik brach aus und hunderte Fußball-Anhänger wurden am Ende des Block Z gegen eine Mauer gepresst. Es gab kein Entrinnen. Einerseits die aufgebrachte Liverpool-Meute, anderseits das Ende vom Stehplatz-Sektor. Irgendwann gab unter dem Druck der Masse das Mauerwerk nach und die Menschen stürzten samt den alten Betonstufen und den zerborstenen Wellenbrechern zu Boden, Hunderte weitere Fußballplatz-Besucher auf die bereits am Boden liegenden Italiener darauf.

Exekutive geschockt und hilflos

Es dauerte eine ganze Weile, ehe die Ordner und die Polizei die Sachlage erkannten. Gemeinsam versuchte man nun, die eingezwängten Menschen mit bloßen Händen aus deren misslicher Lage zu befreien. Dies gelang nur schwer. Was sich dann abzeichnete, war ein Bild des Grauens: Oft nur mit T-Shirts bedeckt wurden die Toten auf die Laufbahn gelegt. Die Rettungskräfte waren mit dem Bergen der zahllosen Verletzten völlig überfordert.

Spielbeginn 21.43 Uhr

Man schien fassungslos, als der Schweizer Referee André Daina das Europapokal-Finale der Landesmeister 1984/85 mit „90minütiger Verspätung“ doch noch anpfiff. Dieser Umstand wurde später dann damit argumentiert, um „weiteren Tumulten vorzubauen und so die ganze Sache doch noch irgendwie zu einem vernünftigen Ende zu bringen.“ Frei nach dem Motto: The Show must go on! Während sich also vor dem Stadion tote Fußballfans und hunderte Verletzte aneinanderreihten, wurde im Stadion-Innenraum fröhlich gekickt.

Hätte RAPID damals, am 8. Mai 1996 den Ruf seiner Anhänger erhört, man hätte den Europapokal gewonnen. Der Lärmpegel von der Tribüne 4 kommend, der sich über die 90 Minuten mehr und mehr aufbaute, war gigantisch. Foto: © oepb

Falscher Elfmeter entschied die Partie

Schiedsrichter Daina stand abermals in der Mitte des Geschehens, als er in der 58. Spielminute einen Penalty pfiff, wenngleich das Vergehen außerhalb des Strafraumes war.

Der Franzose Michel Platini ließ sich die Möglichkeit zum vorentscheidenden Treffer nicht nehmen und verwertete den geschenkten Elfmeter zum 1 : 0 für Juventus.

Dabei war es auch geblieben. Unglaublich schien, dass die Italiener, die nicht antreten wollten, dann doch gespielt hatten. Zahlreiche Juve-Spieler saßen weinend in der Kabine, als sie während des Aufwärmens mitbekamen, was sich auf den Rängen Bestialisches abspielte. Beim Spiel selbst merkte man allen 22 Akteuren an, dass sie lediglich die Pflicht erfüllten und ihr Pensum abspulten.

Eine Bilanz des Grauens

39 Tote und 454 Verletze forderte die Europapokal-Nacht von Brüssel anno 1985. Man war geschockt und fassungslos – in England, in Italien, in Europa … Die eifrige Suche nach den Schuldigen setzte nun ein. Einerseits versuchte man sich an der örtlichen und ihren Dienst im Stadion versehenden belgischen Polizei „abzuputzen“, um andererseits darüber hinwegzutäuschen, dass das Heysel-Stadion auf gut wienerisch „a Häusl“ war, schäbig, heruntergekommen und absolut baufällig. Auch sämtlichen Warnungen im Vorfeld aus Italien und England, dass es durchaus möglich sein kann, dass es zu schweren Krawallen kommen könnte, wurden wenig bis gar keine Beachtung geschenkt. Die Suche nach dem oder den Schuldigen wurde vertagt.

Übrigens: Den höchsten Auswärtssieg in der ÖFB Länderspiel-Geschichte – gerechnet seit 1902 – feierte die Österreichische Fußballnationalmannschaft im Brüsseler Heysel-Stadion und zwar im Jahre 1951. Foto: © oepb

Fußball-Europa ohne England

Die UEFA handelte sofort und schloss das „Mutterland des Fußballs“ auf unbestimmte Zeit aus allen europäischen Bewerben aus. Eine etwaige Strafe und Bestrafung für Juventus Turin wurde dabei geflissentlich übersehen, da einzig und allein die Engländer die Schuldigen waren, so hieß es. Warum diese jedoch derart ausgerastet sind – auch unter dem Aspekt, dass zu einem handfesten Wickel immer Zwei gehören – dieser Umstand wurde nicht weiter verfolgt.

Fußball wieder mit den Briten und ein neues Stadion

Nach 5 Jahren wurde die Sperre gegen sämtliche Vereine aus England aufgehoben, Liverpool durfte nach 6 Jahren Pause wieder am Europapokal – die erforderliche geschaffte Qualifikation in der heimischen Meisterschaft dafür vorausgesetzt – teilnehmen. Und auch das Heysel-Stadion wurde zur Geschichte. Das baufällige Areal wurde nach dem 29. Mai 1985 noch einige Zeit als Leichtathletik-Stadion genützt, um dann anlässlich „100 Jahre KBVB / Belgischer Fußballverband“ im Jahre 1995 komplett erneuert eingeweiht zu werden.

Am 14. Oktober 1951 gewannen die Mannen um Teamchef „Sir“ Walter Nausch in Brüssel gegen Belgien mit 8 : 1 (Pausenstand 2 : 1). Ernst Happel brachte mit einem Eigentor die Belgier in Führung, aber dann lief das Werkel der Österreicher wie am Schnürchen. Dieses 8 : 1 ist bis heute der höchste Auswärtstriumph einer ÖFB-Auswahl. Im Bild von links: Victor Lemberechts und Bob van Kerkhoven (beide Belgien), dahinter der Doppel-Torschütze an jenem Tag Ernst Stojaspal Foto: © oepb

11 Jahre nach Heysel erneut ein Finale

Am 8. Mai 1996 war das nunmehr als König Roi Baudouin-Stadion Brüssel wieder erstandene Areal erneut Austragungsort eines Europapokal-Endspieles. Im vormaligen Heysel-Stadion fanden von 1958 bis 1985 bereits acht diesbezügliche Endspiele statt. An diese Tradition wollte man anschließen. Traurig zu beobachten dabei war nur, dass im Endspiel-Programm vom 8. Mai 1996 in keinster Weise das vorangegangene Massaker von Heysel anno 1985 publizistischen Niederschlag fand.

Dennoch war es für Brüssel, aber auch für Paris und Wien, ein Festtag, dieser 8. Mai 1996. Paris St.-Germain empfing zum Finale den SK RAPID Wien. Die Stadt war insofern abgeriegelt und gesichert, sodass man aus Österreich kommend bis zum Spielbeginn um 20.15 Uhr auf keinen Franzosen traf. Die ersten St.-Germain-Anhänger sah man lediglich beim Betreten des Stadions, und das auch nur aus der Ferne. Ähnlich verhielt es sich dabei für die französischen Fans, die ihrerseits wiederum auf keine Wiener trafen. Und auch die Leibesvisitationen damals im Mai 1996 waren gewöhnungsbedürftig, denn bis man endlich seinen Platz im Stadion erreicht hatte, musste man durch fünf Barrieren hindurch und sich immer wieder legitimieren und ausweisen. Das Stadion glich „Fort Knox“ – einer Festung – und die Exekutive ließ nichts unversucht, um alles in geregelten Bahnen ablaufen zu lassen. Nun, es gelang und es passierte auch nichts, der österreichische Vertreter erhielt die erwartete Niederlage im Ausmaß von 0 : 1 aufgebrummt und es gab keine nennenswerten Beanstandungen zu verzeichnen. Man hatte aus der Geschichte gelernt.

Brüssel wirkte nach in Österreich

Der Fußballsport, er wankte im Mai 1985 und es gab nicht wenige Besserwisser, die eine völlige Abschaffung von eben diesem forderten. Auch die Besucherzahlen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Die acht Partien in der heimischen Meisterschaft am darauf folgenden Wochenende besuchten in Summe 16.840 Zuschauer, was einen durchschnittlichen Wert von 2.105 Match-Tigern pro Partie ausmachte. Die ÖFB-Auswahl reiste 1986 natürlich nicht zur WM nach Mexiko und auch das ÖFB-Cupfinale, das noch ausständig war, wankte plötzlich, ehe man sich dazu entschied, aus den beiden Endspielen eines zu machen. Aber das ist eine andere Geschichte und bei uns hier zu lesen.

Brüssel und die Erinnerung

Es bleibt – bis heute – ein fader Beigeschmack, egal ob man 1985 live oder aber vor dem Fernsehgerät mit dabei war und ebenso 11 Jahre später, als 1996 akribisch darauf Acht gegeben wurde, dass so etwas nie wieder passieren darf. Das Massaker von Brüssel! Eine Tragödie, die 39 Menschen völlig sinnnlos beim Besuch eines Fußballspiels aus dem Leben riss …

Quelle: Redaktion www.oepb.at

www.bundesliga.at

Lesen Sie noch mehr über die Österreichische Fußball-Bundesliga bei uns bitte hier;

www.oefb.at

Und über den ÖFB bei uns bitte hier;

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