Die Wiener Wahlergebnisse aus 100 Jahren Nationalratswahlen. Grafik: HdGÖ
Die Wiener Wahlergebnisse aus 100 Jahren Nationalratswahlen. Grafik: HdGÖ

Ein interaktives Ausstellungs-Modul zeigt im Haus der Geschichte Österreich / kurz HdGÖ die Details der Nationalratswahlen in der Ersten und Zweiten Republik. Ab sofort können Interessierte auch online in einem eigens entwickelten Tool Infos und Hintergründe zu den Wahlen der letzten 100 Jahre erkunden. Ganz neu integriert: Das Wahlverhalten der Wiener Bevölkerung und letzte Wahlen.

Wie entwickelt sich das Wahlverhalten von einer Wahl zur nächsten? Das haben die ExpertInnen des SORA Instituts, bekannt für präzise Hochrechnungen und Wahlanalysen seit 1994, gemeinsam mit dem Haus der Geschichte Österreich untersucht. Bislang nur im Museum selbst zu erleben, stehen diese Daten nun auch online in einem eigens entwickelten Web-Tool frei zur Verfügung. Die umfangreiche Web-Ausstellung wurde nun präsentiert. Unter und unter sind die Ergebnisse, Wählerströme, ihre Interpretation und Hintergründe sowie auch Fernsehbeiträge, Fotos und Plakate zur jeweiligen Wahl abrufbar.

Das Online-Tool ermöglicht, neben dem bundesweiten Ergebnis der Nationalratswahlen von 1919 bis 2019 nun auch das Wahlverhalten der Wiener Bevölkerung abzurufen. Dabei werden in kurzen Hintergrundinformationen die historischen Besonderheiten der Wiener Ergebnisse zusammengefasst. Eine Wien-Karte zeigt zudem die einzelnen Bezirksergebnisse.

Wir wollen Demokratiegeschichte lebendig und nachvollziehbar machen. Beim interaktiven Wahl-Modul in unserer Hauptausstellung halten sich BesucherInnen besonders lange auf: Weil die Ströme der WählerInnen die entscheidenden politischen Veränderungen auf einen Blick sichtbar machen und es viele unbekannte Hintergrundinfos zu entdecken gibt. Dieses Wissen teilen wir nun, gut aufbereitet und auf einen Klick zugänglich, frei im Web. Gerade im Vorfeld der Wien-Wahl bietet das interessante Einblicke“, so hdgö-Direktorin Monika Sommer.

Von allen Nationalratswahlen werden die Trends von 2002 der kommenden Gemeinderatswahl am ähnlichsten sein. Die SPÖ profitierte von der Oppositionsrolle, die FPÖ hatte starke Verluste in Richtung ÖVP“, analysiert Günther Ogris, Geschäftsführer des SORA Instituts. Allgemein sei die Wiener Bevölkerung seit 1995 zwar um etwa 400.000 Menschen angewachsen, bei der Zahl der Wahlberechtigten gäbe es jedoch einen Trend nach unten. „Die Wiener Wahlbevölkerung ist durch Zuwanderung aus den Bundesländern, Einbürgerung und Abwanderung in die Bundesländer immer vielfältiger und die Parteienlandschaft immer bunter geworden“, so der Experte weiter.

Im Rückblick: Politische Prozesse und die Rolle von Wien

Die Auswertung der Wiener Wahlsprengel und der Vergleich mit den bundesweiten Ergebnissen ermöglicht gezielte Interpretationen. Dadurch entsteht ein besseres Verständnis der politischen Prozesse, die die Entwicklung der Republik in den letzten 100 Jahren geprägt haben.

Die SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) bzw. SPÖ schnitt in der Bundeshauptstadt immer etwas besser ab als im gesamten Bundesgebiet. Dagegen war die CSP (Christlichsoziale Partei) und spätere ÖVP vor allem in ländlichen Regionen erfolgreicher. Solche Unterschiede zwischen dem „Roten Wien“ und den anderen Bundesländern lassen sich mit der starken Verbindung von Wirtschaftsstruktur und politischem Engagement erklären. Diese bestimmt bis in die 1970er-Jahre das Wahlverhalten, besonders drastisch sichtbar bei allen Wahlen der Ersten Republik: 1930, in der Zeit der extremsten Polarisierung zwischen rot und schwarz, erreichte die SDAP in Wien um 17,8 Prozentpunkte mehr als beim nationalen Ergebnis. Das ist der größte Unterschied an Stimmenanteilen, den eine Partei jemals im Vergleich Wien – Gesamt-Österreich erzielte. Die seit 1919 vertretene „Bauernpartei“, aber auch der „Landbund“ wurden in Wien praktisch gar nicht gewählt.

In den Anfangsjahren der Zweiten Republik wiederum war die Bundeshauptstadt die stärkste Bastion der KPÖ. Deren VertreterInnen konzentrierten sich stark in und auf den städtischen Raum und erzielten dadurch durchwegs doppelt so hohe Prozentergebnisse wie im Rest Österreichs.

Der nun mögliche, präzise Vergleich zeigt aber auch Ähnlichkeiten zwischen Wien und Österreich: VDU und FPÖ beispielsweise erzielten in Wien in der Zweiten Republik durchwegs immer ein ähnliches Ergebnis wie in den anderen Bundesländern. Auch die massiven Veränderungen in der Wahldynamik, die ab den 1980er Jahren das Ende der Großparteien einläuteten, sind kein urbanes oder ländliches Phänomen, sondern zeigen sich ähnlich in beiden Bereichen.

Im Vergleich der Wahlbeteiligung wiederum wird schnell sichtbar, dass in der Ersten Republik das Bewusstsein für den Wert von Wahlen in der Stadt deutlich ausgeprägter war als am Land: 1923 kletterte die Wahlbeteiligung in der Bundeshauptstadt auf 91,2% und lag somit 4,1 Prozentpunkte über dem gesamtösterreichischen Wert, ein Rekordvorsprung aus Wiener Sicht. Bei den Wahlen 1949 lag sie wieder in Balance, aber auf einem sehr hohen Wert. Dazu leisteten die damals erst seit Kurzem wieder erreichte Demokratie, eine Wahlpflicht und ein aggressiver Wahlkampf ihren Beitrag und sorgten für eine extrem hohe Wahlbeteiligung: In Wien gaben 97% und in Österreich 96,8 % ihre Stimme ab.

Allein an diesem kleinen Auszug kann man sehen, wie viel Geschichte in Wahlergebnissen und WählerInnenströmen steckt. Mit diesem neuen Tool kann jede und jeder einfach klicken und ein Stück Demokratie entdecken“, lädt Direktorin Sommer ein. Ein Überblick und Interpretationen sind unter abrufbar.

Auf der hdgö-Webseite finden Interessierte zudem in einem eigenen Schwerpunkt weiterführende Informationen zu Demokratie und Verfassung in Österreich, darunter auch eigens aufbereitete Lehrmaterialien zum Download für den Unterricht.

Quelle: Haus der Geschichte Österreich / hdgö

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Das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) 

Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das hdgö in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung. Viele interessante Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at  immer wieder Neues aus der Vergangenheit.

SORA Institute for Social Research and Consulting

Das SORA Institut wurde im Jahr 1996 von Christoph Hofinger und Günther Ogris gegründet und zählt zu den führenden privaten sozialwissenschaftlichen Instituten in Europa. Als renommierte Autorität in der Politik- und Sozialforschung kooperiert SORA mit europäischen Spitzeninstituten. SORA forscht im Auftrag der Europäischen Kommission, von Bund, Ländern und Gemeinden sowie namhafter Privatunternehmen.

www.sora.at

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