Frank Goosen auf der Tribüne des Bochumer Ruhrstadions. Foto: Volker Wiciok
Frank Goosen auf der Tribüne des Bochumer Ruhrstadions. Foto: Volker Wiciok

Neulich Freitag stand ich um 18.15 Uhr in meinem ausgebauten Keller unter dem Beamer, der über dem großen Bild der 1974er Weltmeistermannschaft angebracht ist, und fragte mich, was ich da wollte. Nach ein paar Minuten fiel es mir wieder ein: Karlsruhe weghauen, das war der Plan gewesen! Allein bei dem Gedanken schalteten meine Speicheldrüsen in den Schleudergang. Bierdurst stellte sich ein, die ersten unflätigen Invektiven schlichen sich auf die Zungenspitze, welche abrupt innehielt, bevor die Stimmbänder die Klangerzeugung starten konnten. Die plötzliche Erkenntnis, dass ich völlig umsonst in diesem Raum stand, kam wie ein Schock. Mein Inneres glich Prypjat, der verlassenen Stadt in der Nähe des Reaktors, den wir als „Tschernobyl“ kennen.

Zwei Woche später fand ich mich um 12.30 Uhr vor dem Stadion an der Castroper Straße wieder und wusste erneut nicht, wie ich da hingekommen war. Zu Fuß? Mit dem Fahrrad? Per Luftfracht? Ich war allein, nicht einmal Autos waren unterwegs. Auch keine Kieler, denen man die Sprotten aus dem Rektum hätte ziehen können, wie eine Freund das mal vor einem Spiel gegen Holstein angedroht hatte, wenn auch in der Wortwahl ungleich drastischer.

Ich könnte mir jetzt einreden, dass, wenn mein Verein nicht spielt, ich mich nicht ärgern muss, aber dann denke ich, mein Zorn ist nur eine Seite einer Medaille, deren andere all die Glücksgefühle sind, die mir in diesem Betonrechteck schon zuteil wurden.

Es soll eine asiatische Liebestechnik geben, bei der man den Akt kurz vor dem Höhepunkt unterbricht, um für eine gewisse Zeit völlig belanglosen Tätigkeiten nachzugehen. Dann legt man wieder los und unterbricht noch mal, bevor es ernst wird. Diesen Vorgang soll man mehrere Tage hintereinander wiederholen, bevor man auch den letzten Schritt geht. So ungefähr fühlt sich das mit diesem verdammten Virus und dem Fußball an. Die bloße Erwähnung des Wortes Fußball, ja jede geometrische Form, die auch nur annähernd rund ist, treibt einen in eine quasi-erotische Raserei. Phantom-Erregung! Und die fällt dann binnen Sekunden wieder in sich zusammen. Ich kann so nicht arbeiten, ich reise ab!

Und zwar in den Keller. Da sehe ich mir jetzt DVDs von den UEFA-Cup-Spielen des VfL 1997 in Endlosschleife an. Sagt mir Bescheid, wenn das draußen wieder Leben möglich ist.

Über Frank Goosen

Der weit über die Grenzen des deutschen Ruhrgebiets hinausreichend bekannte und beliebte Autor, Kabarettist und Feuilletonist Frank Goosen ist langjähriger, bekennender und leidgeprüfter – ob der schier übermächtigen Konkurrenz aus Dortmund und Schalke – Anhänger des VfL Bochum von 1848. Als solcher steht er nach wie vor treu ergeben zu den einstmals „Unabsteigbaren“, schließlich zählten die Blau-Weißen aus der Herbert Grönemeyer-Stadt Bochum von 1971 bis 1993 ununterbrochen zur höchsten deutschen Spielklasse. Nach Jahren des Paternoster-Daseins – „Wir steigen auf, wir steigen ab – und zwischendurch Europacup“ – in Anlehnung an die Aufstiege, die bis in den UEFA-Cup führten, um sich im Jahr darauf erneut in der 2. Spielklasse wieder zu finden, müsste es nun „Die Unaufsteigbaren“ heißen, denn seit knapp 10 Jahren kennt man an der Castroper Straße die 1. Deutsche Bundesliga nur mehr vom Hörensagen. Aber genau genommen machen gerade solche Vereine mit ihrem treuen Gefolge die Fußballwelt bunt und interessant, denn zu permanent siegreichen Teams zu stehen, das kann doch schließlich jeder.

https://frankgoosen.de

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