Die vier Flaggen der Bestzungsmächte USA, England, UdSSR und Frankreich weisen vor dem Nürnberger Justizpalast auf das Memorium der Nürnberger Prozesse hin. Foto: © oepb

Am 20. November 1945 begann im Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher der Nazi-Diktatur – mit dem Auftritt eines Österreichers im Zeugenstand.

Als dieser den Gerichtssaal betrat, verbreitete sich unter den Angeklagten hörbare Unruhe und Ärger. Die Aufregung der noch am Leben gewesenen Nazi-Größen schien verständlich, denn jener Man, der nun zum ersten Mal den Zeugenstand betrat, wusste über ihre Verbrechen mehr, als ihnen lieb war.

Generalmajor Erwin von Lahousen war ein führender Kopf der „Abwehr“ gewesen, des militärischen Geheimdienstes der Deutschen Wehrmacht. Der Wiener von Lahousen war der engste Vertraute des von den Nazis hingerichteten Chefs der Abwehr, Wilhelm Canaris, und er war wie Canaris im Widerstand gegen das Regime gewesen.

21 führende Vertreter des NS-Regimes mussten sich wegen ihrer Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit vor einem internationalen Gericht verantworten. Bereits 1943, also noch während des tobenden Zweiten Weltkrieges (1. September 1939 bis 8. Mai 1945), beschlossen die Alliierten, die Verbrechen der Nationalsozialisten vor ein gemeinsames Gericht aller Alliierten zu stellen. Man trug Beweise zusammen und sammelte Grundlagen für den künftigen Prozess. Ein Abkommen zur Gründung des „Internationalen Militärgerichtshofes“ wurde allerdings erst im August 1945 unterzeichnet.

Blick auf den Justizpalast Nürnberg. Foto: © oepb

Die Bedeutung der Verfahren für die Entwicklung des modernen Völkerstrafrechts verhalf dem „Saal 600“ zu weltweiter Berühmtheit. Die aus dem Internationalen Militärgerichtshof hervorgegangenen „Nürnberger Prinzipien“ bilden heute die Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Niederlande). Sie verdeutlichen, dass sich seit 1945/46 die Haltung gegenüber denen, die für die Geschicke der Völker Verantwortung tragen, gewandelt hat.

Erwin Heinrich René Lahousen Edler von Vivremont, geboren 1897 in Wien, war der Sohn eines hochrangigen Militärs der k.u.k. Armee. Dass er überhaupt als Kronzeuge der Anklage auftreten konnte, war einem Zufall zu verdanken: Lahousen war an der Planung des Attentates auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt gewesen. Dass das NS-Regime ihn nicht, so wie beinahe alle anderen Verschwörer verhaftete und hinrichtete, verdanke der Berufs-Offizier jenem Umstand, dass er selbst just am Tag vor dem Attentat an der Ostfront verwundet wurde und so für sehr lange Zeit im Lazarett lag.

Hinweisschild durch die Dauerausstellung. Foto: © oepb

Erwin von Lahousen war Mitglied des österreichischen Geheimdienstes gewesen. Wie zahlreiche andere Österreicher besserer Herkunft machte auch er aus seiner Zuneigung zu Frankreich kein Hehl. Um seine Französisch-Sprach-Kenntnisse zu verbessern wandte er sich an eine Botschafts-Mitarbeiterin, Madeleine Bihet-Richou. Diese war Spionin für den französischen Geheimdienst. Ihre Schwärmerei für Österreich und seine Liebe zur „Grande Nation“ zufolge verliebten sie sich und wurden ein Paar – ein Agentenpaar.

Nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland (13. März 1938) holte Wilhelm Canaris Erwin von Lahousen in seinen Geheimdienst. So war von Lahousen von Kriegsbeginn an ein Doppelagent und als führendes Mitglied des Deutschen Geheimdienstes konnte er seine Geliebte ständig mit Informationen aus dem engsten Kreis der NS-Führung versorgen. Die Männer, denen er nun im Zeugenstand zu Nürnberg im August 1945 gegenübertrat, kannte er persönlich aus zahlreichen Besprechungen – und sie kannten ihn und wussten, dass er dabei gewesen war, auch, als die Planungen für den millionenfachen Mord auf den Tisch kamen. Erwin von Lahousen avancierte somit zu einem der wichtigsten Zeugen in Nürnberg.

In der Ausstellung: Links die Angeklagten, im Hintergrund die Anklagebänke. Foto: © oepb

Die Jagd nach den Angeklagten

Hermann Wilhelm Göring stellte sich mit einer Ladung von 17 LKWs den Alliierten. Andere NS-Größen wurden gesucht: Ernst Kaltenbrunner wurde Wochen nach Kriegsende in Altaussee aufgespürt. Julius Streicher, der Verleger der NS-Schrift „Der Stürmer“ hatte sich als Maler verkleidet und Joachim von Ribbentrop, der in Hamburg untergetaucht war, wurde dort aufgespürt und verhaftet.

Der Schauplatz

Die Alliierten hatten mit Nürnberg bewusst jene Stadt der pompösen NSDAP-Parteitage gewählt, der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher fand im Justizpalast statt. Die Angeklagten waren bis zu Prozessbeginn in einem einstigen Luxushotel in Luxemburg, andere in einer Burg bei Frankfurt/Main untergebracht, die zuvor eine Kommandozentrale der Deutschen Wehrmacht gewesen war.

Der Saal 600 im Jahre 1945 …

Modelfall Nürnberg

Die Prozesse werden zum Modellfall für modernes Völkerrecht. Für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt es keine Immunität. Erstmals werden die Vertreter eines souveränen Staates für ihre Kriegsverbrechen im Rahmen dieses Staates zur Rechenschaft gezogen. Die Nürnberger Prozesse werden somit zum Vorbild für die UN-Kriegsverbrechertribunale für Jugoslawien oder Ruanda und für den Internationalen Strafgerichtshof.

Zahlen und Fakten

4 Ankläger, 27 Verteidiger, 218 Verhandlungstage, 16.000 Seiten Protokoll, 12 Todesurteile, 3 Freisprüche, 12 Nachfolge-Prozesse;

… und als Ort der Rechtsprechung heute. Beide Fotos: © oepb

Urteile und Vollstreckung

Zehn einstige NS-Größen wurden vor 75 Jahren, am 16. Oktober 1946 nach ihrer Verurteilung vom Internationalen Militärgerichtshof im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess hingerichtet, ihre Leichen unter strengster Geheimhaltung verbrannt und die Asche an einer nicht näher bekannten Stelle in einem Fluss verstreut.

Der Prozess und deren Verlauf

Bis dato streiten Juristen über die Korrektheit dieses Verfahrens. Weder die Auswahl der Richter, noch die Formulierung zahlreicher Anklagepunkte hätte einem rechtsstaatlich korrekten Verfahren entsprochen. Vieles sei moralisch, jedoch nicht korrekt juristisch begründet worden. Die 12 Nachfolgeprozesse nach dem Hauptverfahren werden dafür kritisiert, dass sie zu rasch und ohne ausreichende Zeugenaussagen durchgeführt worden sind und viel zu viele schwer belastete Nationalsozialisten aus politischen Gründen einem Verfahren entkamen, oder übereilt begnadigt wurden.

Eine Schautafel in der Ausstellung. Foto: © oepb

Deutschland und die Geschichte

Für die Bundesrepublik Deutschland stehen die Nürnberger Prozesse samt deren Urteilsverkündungen für das Ende der Schreckensherrschaft zwischen den Jahren 1933 (am 30. Jänner 1933 kam Adolf Hitler als Reichskanzler in Deutschland an die Macht, 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs und 1939 war der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges) und 1945. Jene Grundlagen, die damals nach dem Krieg von den Besatzungsmächten geschaffen wurden, mündeten letztendlich 1949 in einem freien und demokratisch rechtsstaatlichen Staat Deutschland mit einer eindeutigen Bindung an den Westen. „Ex captivitate salus“ – Befreiung aus der Gefangenschaft – ein Heil für Deutschland nach der Fremdherrschaft.

Blick auf das Memorium Nürnberger Prozesse, in dem der Saal 600 untergebracht ist, ein Nebentrakt des Justizpalastes. Foto: © oepb

Memorium Nürnberger Prozesse

Eine Dauerausstellung der Museen der Stadt Nürnberg in der Bärenschanzstraße 72 informiert am Originalschauplatz des Nürnberger Justizpalastes über die Vorgeschichte, den Verlauf und die Nachwirkungen der Verfahren. Historische Ton- und Filmdokumente vermitteln einen lebendigen Eindruck vom damaligen Prozessgeschehen. Und der Saal 600 ist nach wie vor ein Ort der Rechtssprechung. Die Besichtigung im Rahmen eines Ausstellungsbesuches kann daher nicht immer gewährleistet werden. Er verfügt jedoch über zwei kleine Fenster, von denen aus man den Saal einsehen kann.

Quelle: Redaktion www.oepb.at

Memorium Nürnberger Prozesse

Die Museen der Stadt Nürnberg

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