Im Jahr 2015 ist wiederum eine große Zahl von gewaltbetroffenen Personen beraten worden: 17.671 – um 586 mehr als im Jahr zuvor. Von der Polizei wurden im Zuge des Einschreitens bei häuslicher Gewalt 8.261 Betretungsverbote ausgesprochen und an die Gewaltschutzzentren übermittelt, diese Zahl bewegt sich seit einigen Jahren in dieser Größenordnung. Das heißt, im Schnitt werden täglich an die 23 Betretungsverbote wegen Gewalt in Wohnungen im Bundesgebiet verfügt! Da es in den überwiegenden Fällen zu strafbaren Handlungen durch Gewalttäter kommt, bieten die Gewaltschutzzentren und die Wiener Interventionsstelle psychosoziale und juristische Prozessbegleitung in Gerichtsverfahren an. Voriges Jahr wurden damit Gewaltopfer in 3.344 Strafverfahren und in 497 Zivilverfahren unterstützt.
Neuerungen im Gewaltschutz
Die Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt des Europarats, welche 2011 in Istanbul („Istanbul-Konvention“) beschlossen wurde, ist seit August 2014 in Kraft. In dieser Konvention sind hohe Standards für Gewaltprävention und Opferschutz vorgegeben, womit auch Österreich trotz mittlerweile vieler Errungenschaften weiter in die Pflicht genommen wird, Verbesserungen zu schaffen. Vor allem bei Maßnahmen zur Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung gibt es in vielen Bereichen Aufholbedarf, so etwa im Bildungs- Gesundheitswesen. In Österreich wurde im Anschluss an die Ratifizierung ein „Nationaler Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt“ ins Leben gerufen, der die Umsetzung von Vorgaben der Istanbul-Konvention zum Ziel hat. Dazu wurden dazu auf ministerieller Ebene Arbeitsgruppen unter Beiziehung von Expertinnen aus dem Gewaltschutzbereich eingerichtet. Anfang Juli wurde die Strafrechtsreform 2015 im Parlament beschlossen und trat mit 2016 in Kraft.
Einige neue Bestimmungen wurden bereits auf Basis der Istanbul-Konvention diskutiert und in das Strafgesetzbuch aufgenommen:
Der Schutz der sexuellen Integrität ist ein wesentliches Element eines selbstbestimmten Lebens von Frauen und Mädchen. In der Novelle des Strafgesetzbuchs wurde eine Ausweitung des Schutzes vor sexueller Belästigung geschaffen. Nicht mehr nur die Berührung der zur „unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen Körperpartien des Opfers“ (Vagina, Busen) wird künftig als Belästigung angesehen – sondern jede intensive und entwürdigende sexuelle Belästigung ist strafbar. Das ist ein wichtiger Schritt, der klarstellt, dass sexuelle Belästigung kein Kavaliersdelikt und gesellschaftlich nicht erwünscht ist.
Auch die neue Bestimmung „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“ ist eine wichtige Neuerung im Sinne der Frauen:
Wenn ein Täter eine sexuelle Handlung zwar ohne Drohung oder Gewalt aber trotzdem gegen den Willen des Opfers (erkennbar beispielsweise durch Nein sagen oder Weinen setzt), ist das jetzt strafbar. – Auch eine wichtige Klarstellung: „Ein Nein muss genügen!“
Weitere wichtige Verbesserungen:
• Einführung des Erschwernisgrunds „Gewalt in der Familie“ (und bei „hate crimes“);
• Stärkung der Opferrechte bei der Diversion: Opfer von Gewalt in Wohnungen und Opfer, die Anspruch auf Prozessbegleitung haben, bekommen nun immer das Recht zur Stellungnahme;
• „Verschlepptwerden“ ins Ausland zum Zweck der Zwangsverheiratung wird künftig bestraft;
• Einführung eines neuen Straftatbestandes „Cybermobbing“;
• Erhöhung der Strafen für qualifizierte Körperverletzungen (betrifft u.a. auch absichtliche schwere Körperverletzung wie FGM/Genitalverstümmelung);
Die Gewaltschutzzentren / Interventionsstellen Österreichs sind anerkannte Opferschutzeinrichtungen, die im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres und des Bundesministeriums für Bildung und Frauen Opfer von häuslicher, sexualisierter Gewalt und Stalking kostenfrei und vertraulich unterstützen. Das Bundesministerium für Justiz fördert die psychosoziale und juristische Prozessbegleitung.