Das köstlichste und amüsanteste aller Silvester-Dinner steht vor seinem 100. Geburtstag. Der britische Autor Lauri Wylie (* 1880, † 1951) verfasste das Stück bereits in den 1920er Jahren. Die Premiere auf der Bühne erfolgte allerdings wesentlich später. 1948 gelangte das Stück im Londoner Theater Duke Of Yorks im Rahmen einer Revue-Show zu seiner Uraufführung. Die Premiere in Deutschland erfolgte 1963, als der deutsche Entertainer Peter Frankenfeld das so herrliche Duo May Warden (sie spielt Miss Sophie) und Freddie Frinton (er mimt den Butler James) in England entdeckte und in seine Fernsehshow einlud. Damals, 1963, hatte der englische Komiker Frinton bereits seit über 10 Jahren diesen Sketch in seinem Repertoire und detailverliebt bis ins allerkleinste Mosaiksteinchen verfeinert. So lehnte er, so ist es überliefert, das vom NDR (Norddeutscher Rundfunk) zur Verfügung gestellte Eisbärenfell als Requisite ab und bestand auf sein eigenes Tigerfell. Wieder verflogen die Jahre, ehe dem Stück im Silvester-Programm 1972 im Fernsehen – Freddie Frinton war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben – der endgültige Durchbruch gelang. Seit dieser Zeit gehört das kongeniale Duo „Miss Sophie“ und ihr „Butler James“ zum alljährlichen Silvester-Ritual am 31. Dezember und erfreut sich immer noch überaus großer Beliebtheit. 1997 verfolgten beispielsweise knapp 12 Millionen deutsche Fernseh-Zuschauer das „Dinner for One“. Diese Einschaltquote war höher, als jene anlässlich der Neujahrs-Ansprache von Bundeskanzler Helmut Kohl tags darauf.
Die Handlung
Schon alleine die Einführung in das Stück von Sprecher Heinz Piper als „die gleiche Prozedur wie jedes Jahr“ ist aller Ehren wert. Dieser berichtet seinem bereits gespannt wartenden Publikum in kurzen und prägnanten Sätzen auf Deutsch, was von dem Stück, das gänzlich in englischer Sprache abgehalten wird, zu erwarten ist. In englischer Sprache deshalb, da sich Freddie Frinton sein ganzes Leben lang geweigert hatte, das „Dinner“ in ein „Abendessen“ oder „Nachtmahl“ umzuwandeln.
Miss Sophie begeht ihren 90. Geburtstag. Aus gegebenem Anlass lud sie dazu ihre vier besten Freunde ein. Nun, da Miss Sophie auch nicht mehr die Jüngste war, ist es nur allzu verständlich, dass ihre Freunde – Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom – allesamt bereits das Zeitliche gesegnet haben. So schlüpft Butler James kurzerhand und alle Jahre wieder in die Rolle(n) aller vier nicht persönlich anwesenden Herren.
Das Geburtstags-Mahl besteht aus Mulligatawny-Suppe, Schellfisch, Huhn und zum Nachtisch Obst. Dazu kredenzt Butler James die ausgewählten Getränke, bestehend aus Sherry, Weißwein, Champagner, sowie Portwein. Butler James nimmt seine Rolle sehr, sehr ernst und trinkt alle Gläser bei jeder Servierrunde pflichtgetreu aus. Dies schadet jedoch beim weiteren Verlauf des Abends seiner würdevollen Haltung. Die zahllosen Varianten seines Einschenkens gipfeln nach 15 ausgetrunkenen Gläsern in nur 10 Minuten mit einer Blumenvase in dem Spruch: „ I will kill that cat.“
Der dritte Protagonist bei „Dinner for One“ ist zweifellos das Tigerfell. Butler James stolpert elfmal über dessen Kopf und als absoluter Höhepunkt saust er einmal sogar gänzlich daran vorbei. Zum Schluss folgt sogar noch ein graziler Sprung über den Fell-Kopf des Tigers. Apropos stolpern: In der Originalversion war dieser Gag gar nicht vorhanden. Erst als Frinton im Rahmen einer Theateraufführung über eine herumliegende Requisite stolperte und sich das Publikum dabei fast tot lachte, wurde der Gag mit dem Tigerfell dauerhaft eingebaut …
Die beiden Hauptdarsteller
May Warden wurde am 9. Mai 1891 in Leeds als Tochter eines fahrenden Schauspielers geboren. Der Beruf des Vaters brachte mit sich, dass die Familie zeitlebens über keinen festen Wohnsitz verfügte. In Folge dessen konnte die kleine May nie eine Schule besuchen. Im Jahre 1915 heiratete sie den Künstler und Komiker Silvester Stewart. Die gemeinsame Tochter Audrey ehelichte detto einen Künstler, Len Howe. In den 1950er Jahren führte das Paar Audrey und Len Howe „Dinner for One“ auf, ehe im Jahre 1954 Freddie Frinton in die Rolle von Howe schlüpfte. Fortan überließ Audrey ihrer Mutter die Rolle von Miss Sophie. May Warden verstarb am 5. Oktober 1978 in London 87-jährig.
Freddie Frinton erblickte am 17. Jänner 1909 in der Grafschaft Lincolnshire in England das Licht der Welt. Frinton war das uneheliche Kind einer Näherin und werkte bereits mit 14 Jahren in einer Fischfabrik. Diese Arbeit war für ihn derart eintönig, so dass er seine Arbeitskollegen bereits mit Parodien unterhielt. Was folgte war der Rausschmiss aus der Fabrik und der Einstieg ins Unterhaltungsfach. Der junge Frinton startete als Komiker und Sänger voll durch. Neben „Dinner for One“ wurde er auch dank der 40-teiligen Serie „Meet The Wife“ zum britischen Fernsehstar. Auf dem absoluten Höhepunkt seiner Schauspiel-Karriere erlitt Frinton jedoch am 16. Oktober 1968 in London einen Herzinfarkt, an dem er nur 59-jährig verstarb.
Die immer wiederkehrende Aufführung
Der Sketch ist in Schwarz-Weiß gehalten und auch genau das macht ihn aus. Im Jahre 1968 wäre jedoch eine Farbaufzeichnung geplant gewesen, die aufgrund des plötzlichen Ablebens von Frinton nicht mehr realisiert werden konnte. 1988 schaffte es „Dinner for One“ auch ins Guinness-Buch der Rekorde, als die weltweit am häufigsten wiederholte TV-Produktion. Kurios dabei ist, dass das Stück in England, wo es spielt und auch zu seiner Uraufführung gelangte, kaum bekannt ist. Dafür ist es in Ländern wie Österreich, Deutschland, der Schweiz, Finnland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Luxemburg, Estland, Australien und Südafrika am Silvester-Abend DAS Kult-Ereignis schlechthin. Einzig und allein die Schweden echauffierten sich am übermäßigen Alkoholkonsum im Stück und die TV-Ausstrahlung wurde sechs Jahre lang verboten, ehe 1969 das Stück wieder freigegeben wurde. In den 15 Bechern befand sich ohnehin nur Saft.
Lacher im Publikum
Jener im Hintergrund besonders laut zu vernehmenden Lacher gehört der NDR-Mitarbeiterin Sonja Göth. Diese bekam im Zuge der Aufzeichnung des Sketches einen derartigen Lachanfall und somit zählt sie seitdem quasi auch zur Geschichte. Frinton selbst fühlte sich kurioserweise während der Aufführung von dem Lachen gestört. Nun, dies ist dem Vernehmen nach auch in Hinblick auf die Gage zu verstehen, und nur allzu verständlich, dass den Protagonisten hier eher zum Weinen zumute war. 4.150 Deutsche Mark (EUR 2.111,00) erhielten die Beiden für ihre so herrliche Darbietung. Tantiemen für Wiederholungen wurden nicht vereinbart, da das damals unüblich war.
Nichtsdestotrotz zählen die beiden Hauptdarsteller May Warden und Freddie Frinton zum festen Bestandteil eines Silvester-Abends im TV in zahllosen Haushalten Europas und sind immer wieder überaus gern gesehen Gäste – eben „The same procedure as every year!“
Übrigens – es wurden zahlreiche Versuche unternommen, diesen Schwarzweiß-Brüller zu kopieren. Harald Juhnke gelang dies einst vortrefflich in der Rolle des Butler James. Und ein großes österreichisches Einrichtungshaus bringt detto alle Jahre wieder dieses Stück im Werbefernsehen, um auf den bevorstehenden Möbel-Schlussverkauf hinzuweisen. May Warden und Freddie Frinton, aber auch Lauri Wylie als Autor sind somit unsterblich.
Quelle: Redaktion www.oepb.at