Eine neue Forschungsarbeit von Wissenschaftlerinnen des NHM Wien / Naturhistorisches Museum in Kooperation mit dem Naturkundemuseum Stuttgart über die Pollenwespen-Gattung Quartinia beschreibt die Fähigkeit der Weibchen, ihre Nester durch den Einsatz von selbst produzierter Seide als Bindemittel im Sand zu bauen und so in Wüstengebieten zu überleben. Die Quartinia-Arten kommen vor allem rund um das Mittelmeer und im südlichen Afrika vor und verbinden beim Nestbau Sandkörner und Seidenfäden miteinander. So stabilisieren sie ihre Nester und können sogar in losem Sand nisten.
Pollenwespen sind eine Unterfamilie der Faltenwespen mit etwa 300 beschriebenen Arten. Alle Vertreter dieser einzeln lebenden Wespen versorgen wie Bienen ihre Larven mit Pollen. Die meisten Pollenwespen-Arten graben ihre Nester in feste, lehmige Böden oder verwenden Lehm, um oberirdisch freie Brutzellen z.B. an Steine zu bauen. Die Vertreter der vor allem im Mittelmeergebiet und im südlichen Afrika vorkommenden Gattung Quartinia errichten ihre Nester hingegen in losem Sand. Die Weibchen stabilisieren dabei die Wände, indem sie die Sandkörner innen mit einem seidenartigen Gespinst fixieren.
Während bei Larven die Produktion von Seide recht häufig ist, kommt sie bei ausgewachsenen Insekten nur selten vor. Bisher war bekannt, dass beim Nestbau die Seidenfäden mit der Mundregion aufgetragen werden. Im Rahmen vergleichend-morphologischer Untersuchungen wurde nach den spezifischen Strukturen gesucht, die mit dieser Verhaltensweise zusammenhängen.
„Wir haben die Köpfe von verschiedenen Weibchen dieser Gattung mit denen von Männchen und anderen Pollenwespen verglichen. Dabei konnten wir eine bisher unbekannte Drüse in den Mundwerkzeugen der Weibchen identifizieren, die mit der Seidenproduktion in Zusammenhang steht. Außerdem haben wir einen ganz ungewöhnlichen Fortsatz an der Spitze der Unterkiefer entdeckt, der wahrscheinlich zum Spinnen der Fäden benutzt wird. Bei Vertretern anderer Gattungen sowie bei den Männchen fehlen diese Strukturen.“, erklärt Dr. Dominique Zimmermann, Kuratorin der Hautflügler-Sammlung des NHM Wien.
Wie kann man die Mundwerkzeuge einer nur 4 mm „großen“ Wespe untersuchen?
„Die Oberflächen haben wir systematisch mit dem Rasterelektronenmikroskop abgesucht.“, so Zimmermann. „Um die Gewebe mit dem Lichtmikroskop anschauen zu können, wurden die Köpfe erst in Kunststoff eingebettet und dann Serien von dünnen Schnitten mit einem Diamantmesser an einem Ultramikrotom angefertigt.“ Ergänzt wurden die Untersuchungen durch den Einsatz eines Micro-Computertomographen. „Eigentlich ist es unglaublich, dass man inzwischen Drüsen in den Mundwerkzeugen einer so winzigen Wespe mit einem Micro-CT in 3D untersuchen kann.“, begeistert sich Koautor Volker Mauss, Citizen Scientist und ehrenamtlicher Mitarbeiter am Naturkundemuseum Stuttgart, für die High-End-Methode, die bei der Studie zum Einsatz kam.
Die neu entdeckten Strukturen sind sogenannte Schlüsselanpassungen der Gattung Quartinia, die ihr die Besiedelung von Sandhabitaten, und damit einer für Pollenwespen völlig neuen ökologischen Zone, ermöglichten. Zwar kommen alle Pollenwespen in trockenen Gebieten vor, sie sind dort aber grundsätzlich an feste Lehmböden gebunden und benötigen zumindest temporäre Wasserstellen, da sie den harten Boden beim Nestbau zum Graben mit Wasser aufweichen. Nur die Arten der Gattung Quartinia finden wir in sandigen Wüsten, Halbwüsten oder auch Küstendünen, wo sie durchaus zahlreich sein können und auch wichtige Bestäuber von Wüstenpflanzen sind. Die Stabilisierung der Neströhren ist dabei von herausragender Bedeutung für die Besiedlung dieser Sandareale. Neben der Fähigkeit zur Seidenproduktion bei Weibchen weisen alle Vertreter der Gattung weitere Anpassungen an die unwirtlichen Bedingungen in Wüstengebieten auf: sie können unter extremen Bedingungen wie hohen Temperaturen oder starken Winden fliegen und ihre geringe Körpergröße von nur 2 bis 7 mm ermöglicht es ihnen, mit den geringen Ressourcen, die in wüstenartigen Lebensräumen zur Verfügung stehen, auszukommen und sich dort zu vermehren. Es wird nicht nur kein Wasser für den Nestbau benötigt, auch der Eigenbedarf an Wasser wird von der Wespe direkt über den Nektar blühender Pflanzen gedeckt.
Mit über 140 bekannten Arten ist Quartinia die artenreichste Gattung innerhalb der Pollenwespen. Die Fähigkeit der Quartinia-Weibchen, die Wände ihrer Nester in losem Sand durch den Einsatz von selbst produzierter Seide als Bindemittel zu stabilisieren, ist eine Schlüsselinnovation, die die Entstehung der Artenvielfalt dieser Gattung wesentlich begünstigt haben könnte. Die chemische Zusammensetzung der Seidenfäden, die von Quartinia-Weibchen produziert werden, ist noch unbekannt.
Quelle: NHM / Naturhistorisches Museum Wien
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