Im Zuge einer 80 Meter tiefen Bohrung im Garten der Geologischen Bundesanstalt im 3. Wiener Gemeindebezirk (Landstraße) wurden in einer Tonschicht des Wiener Beckens die Ablagerungen zweier Flüsse entdeckt: Die Ur-Wien und die Ur-Liesing. Die Beprobung und Analyse des Bohrkerns bringen nun neue Erkenntnisse aus der Ära des einstigen Pannonsees vor 10,4 Millionen Jahren.

Im Garten der Geologischen Bundesanstalt (Neulinggasse 38, 1030 Wien) wurde für geothermische und geophysikalische Testungen eine 80 Meter tiefe Bohrung durchgeführt. Der Bohrkern wurde wissenschaftlich analysiert und gibt auch Einblicke in die geologische Geschichte Wiens: Hier mündete vor 10,4 Millionen Jahren die Ur-Wien und die Ur-Liesing in den einstigen Pannonsee, der vom heutigen Alpenrand in Wien über Budapest bis Belgrad reichte.

Querschnitt eines Bohrkerns mit Schalen fossiler Wandermuscheln. Foto: © NHM Wien

Im Zeitraum von 11,6 bis 9 Millionen Jahren lag Wien mit dem Wiener Becken am Ostrand des Pannonsees. „Der See war vor 10,4 Millionen Jahren etwa halb so groß wie das heutige Schwarze Meer und damit der größte See Europas. Wien lag am Westufer dieses Sees. Über seine Zuflüsse aus den Alpen war aber bisher sehr wenig bekannt“, so Univ. Prof. Dr. Mathias Harzhauser, Leiter der Geologisch-Paläontologischen Abteilung am NHM Wien. Die blaugrauen, feinkörnigen tonreichen Ablagerungen des Sees bilden in weiten Bereichen der Stadt den Grundwasserstauhorizont (undurchlässige Tonschicht im Unterboden, bzw. Untergrund) und wurden im 19. und frühen 20. Jahrhundert in zahlreichen Tongruben für die Herstellung von Ziegeln abgebaut.
 
Die engmaschige Beprobung und multidisziplinäre Analyse des Bohrkerns an der Geologischen Bundesanstalt bringt nun neue Erkenntnisse aus der Ära des einstigen Pannonsees. Tonmineralogische Analysen ermöglichten Rückschlüsse auf das einstige Klima und den Sedimenteintrag aus dem etwa acht Kilometer entfernten Hinterland im Westen, dem heutigen Wienerwald mit der Flyschzone (Sandstein- und Mergelwechselfolgen) und den Nördlichen Kalkalpen (Kalke und Dolomite).

Kisten mit Bohrkernen im Garten der Geologischen Bundesanstalt im Juli 2019 mit Mathias Harzhauser (rechts) und Mandana Peresson (links). Foto: © NHM Wien

Unter der Leitung von Univ. Prof. Dr. Mathias Harzhauser (NHM Wien) erfolgte die Auswertung der tonmineralogischen und geochemischen Untersuchungen von Dr. Mandana Peresson und DDipl.Ing. Christian Benold von der Geologischen Bundesanstalt (GBA). Dr. Stjepan Ćorić (GBA) bearbeitete Nannofossilien, Dr. Oleg Mandic (NHM Wien) untersuchte Mikrofossilien. Prof. Dr. Gert J. De Lange aus Utrecht (Niederlande) half bei der Interpretation der geochemischen Parameter. „Die mineralogische Analytik zeigt klar den Einfluss des Hinterlandes, wobei wir gut zwischen Sedimenteintrag der Ur-Liesing und der Ur-Wien unterscheiden können“, so Dr. Mandana Peresson von der Abteilung Rohstoffgeologie der Geologischen Bundesanstalt.

Die Spuren der Ur-Wien und der Ur-Liesing

Dominieren im oberen Bereich der Bohrung im Tegel umgelagerte Nannofossilien (kleiner als drei hundertstel Millimeter) aus der Flyschzone, können damit Vergleiche zu einem Fluss ähnlich der heutigen Wien gezogen werden, die in der Flyschzone entspringt. Auch ein gröberer Horizont (ausgedehnte Ton- oder Gesteinsschicht) bei 30,7 Metern Tiefe ist eindeutig der Flyschzone zuzuordnen. Ein Bereich mit 10-fach überhöhten Karbonatwerten und Kiesen bei 32,5 Metern wird als Schüttung aus den Nördlichen Kalkalpen interpretiert und ist als Ur-Liesing zu betrachten. Dazu kommen vereinzelte Fossilhorizonte, die ebenfalls den Süßwassereinfluss des Hinterlandes zeigen.
 
Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology“ publiziert und sind frei zugänglich:
Harzhauser, M., Peresson, M., Benold, C., Mandic, O., Ćorić, S. & De Lange, G.J. (2022): Environmental shifts in and around Lake Pannon during the Tortonian Thermal Maximum based on a multi-proxy record from the Vienna Basin (Austria, Late Miocene, Tortonian). – Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, 610, 111332.

https://doi.org/10.1016/j.palaeo.2022.111332
 

www.facebook.com/Naturhistorisches.Museum.Wien

Quelle: NHM / Naturhistorisches Museum Wien

Lesen Sie noch mehr über das Naturhistorische Museum bei uns bitte hier;

www.nhm-wien.ac.at

Back to Top