Sehenswerte Choreographie der Ultras Nürnberg vor dem Relegations-Rückspiel gegen Eintracht Frankfurt. Beim Musikstück zum Auftakt "Die Legende lebt" sangen 45.000 Menschen mit. Foto: FCN
Sehenswerte Choreographie der Ultras Nürnberg vor dem Relegations-Rückspiel gegen Eintracht Frankfurt. Beim Musikstück zum Auftakt „Die Legende lebt“
sangen 45.000 Menschen lauthals mit. Foto: FCN

Relegation 2016 in der Deutschen Fußball-Bundesliga! Die Sachlage ist rasch erklärt: Während der eine „nachsitzen“ muss, da er die Spielzeit am drittletzten Tabellenplatz in Liga 1 beendet hat, darf der andere „Fleißaufgaben“ machen, da er als Dritter in Liga 2 die Chance hat, in Liga 1 aufzusteigen. Genau genommen kann immer nur der aus der höher gestellten Liga verlieren, in diesem Falle die Frankfurter Eintracht. Und so traf eben in diesem Falle heuer der 1. FC Nürnberg aus der 2. Deutschen Bundesliga auf die SG Eintracht Frankfurt aus der 1. Deutschen Bundesliga. Das Hinspiel am Donnerstag, 19. Mai 2016, endete vor mit 51.500 Zuschauern ausverkauftem Haus im Frankfurter Waldstadion – der nunmehrigen Commerzbank Arena –  mit 1 : 1 (0 : 1 Pausenstand). Die Auswärtstore zählen ähnlich dem Modus im Europapokal doppelt, demnach lag vor dem Rückspiel der Vorteil klar beim „Club“ aus Nürnberg. Die Erwartungshaltung im Frankenland war dementsprechend hoch.

DFL Relegation 2016 / Montag, 23. Mai 2016, 20.30 Uhr / Grundig Stadion, 50.000 Zuschauer (ausverkauft), Schiedsrichter Christian Dingert

Frenetisch wurde der Club-Bus knapp eine Stunde vor dem Anpfiff am Stadion begrüßt. Foto: FCN
Frenetisch wurde der Club-Bus knapp eine Stunde vor dem Anpfiff am Stadion begrüßt. Foto: FCN

Wenn man seit knapp 30 Jahren immer wieder an eine gewisse Spielstätte fährt, ist der dortige Hausgebrauch hinlänglich bekannt. So erspäht man immer wieder aufs Neue die alten und bekanten Gesichter, plaudert mit „Hinz und Kunz“, was es Neues im Leben gibt und wundert sich, dass der alte Herr mit seinem Leierkasten diesmal nicht vor Ort die Leute mit den noch älteren musischen Weisen erfreut. Man erfährt, dass es dem Künstler nicht gerade gut geht und dieser – im Moment zumindest – seinem musischen Tagwerk nicht nachgehen kann. Schade, denn „der Leierkastenmann“ gehört zum „Club“, wie der Lebkuchen und die „Bratwürscht“ zur Frankenstadt Nürnberg. Und wenn eben der Club zu einem Heimspiel lädt, dann fällt auch für den freundlichen älteren Herrn ein gewisser finanzieller Obolus an Spenden der vorbeiziehenden Fan-Horden ab.

Wenn 50.000 Menschen auf ein Fußballspiel wandern, dann zeichnet sich der Andrang naturgemäß bereits Stunden vorher ab. Und die Weltmeister-Nation Deutschland ist ohnehin fußballverrückt bis in die kleinste Pore. Fan-Devotionalien-Stände wurden bereits zu Mittag aufgebaut, die zahlreichen Getränke- und Imbiss-Stände, sowie Fan-Labe-Stellen waren aufmagaziniert und der Anmarsch der Massen konnte beginnen. Auch aus Frankfurt war eine gehörige Besucherzahl angesagt, 5.000 Fans, demnach 10 Prozent der gesamten Stadion-Kapazität, sollten bis zum Anpfiff ihre Plätze in der Arena einnehmen. Es kribbelte, es war spannend und hundsgemein zugleich, denn einer dieser beiden absoluten Top- und Traditionsvereine würde am Abend nach Spielschluss mit leeren Händen dastehen, während sich der andere ins Fäustchen lachen könnte. Doch so ist nun einmal der Sport, so sind die Regeln, „einer hat eben immer das Bummerl“.

Georg Margreitter (links) und der spätere Gold-Torschütze Haris Seferovic schenkten einander nichts. Foto: FCN
Georg Margreitter (links) und der spätere Gold-Torschütze Haris Seferovic schenkten einander nichts. Foto: FCN

Der Duft der Bratwürste ist gefährlich. Man wird schwach und „pfeift“ sich die so genannten „Drei im Weckla“ – bedeutend für 3 Nürnberger Rostbratwürste im Semmerl – mit Hingabe hinein. Das Bier dazu muss nicht unbedingt sein – es gibt bessere Hopfen- und Gerstensäfte denn jene aus Deutschland – aber die Würsteln, die sind quasi beinahe lebensnotwendig.

Frisch gestärkt und voller Freude erklomm man also den zugewiesenen Platz am Juché, genoss einen herrlichen Überblick aus der Vogelperspektive über das gesamte Stadion-Areal und harrte der Dinge. Die Stimmung war bereits eine gute Stunde vor Anpfiff ohrenbetäubend. Schade, dass in Österreich nur der RAPID-Anhang zu solchen akustischen Dimensionen fähig ist. Beide Fan-Blöcke waren zum Bersten gefüllt und feuerten ihre Teams bereits beim Aufwärmen an.

Als es dann pünktlich um 20.30 Uhr endlich losging, kochte die Schüssel. Wenngleich „nur“ 5.000 Hessen den Heimischen gegenüberstanden, war der Lärmpegel beinahe pari. Und – die Eintracht gewann die Platzwahl und hatte Anstoß. Das für beide Vereine so wichtige Spiel konnte beginnen.

Und es begann auch – aus Sicht der ganz in weiß gekleideten Frankfurter! Die Eintracht setzte ihr Spiel nahtlos dem Hinspiel fort, war dominant, diktierte das Geschehen und suchte ihr Heil in der Offensive. Man wollte sehr bald das so wichtige erste Tor erzielen. Dem gegenüber stand eine Nürnberger Abwehrkette, die – so hatte es in Halbzeit Eins den Anschein – nie und nimmer zu durchbrechen sein würde. Club-Coach René Weiler  hatte den Zweitligisten sehr gut eingestellt, die Abwehrreihe hielt, was auch der 37jährige Keeper Raphael Schäfer im Club-Gehäuse versprach. Die Paraden des baumlangen Torhüters sind ohnehin legendär.

Die kleinen und auch versteckten Häkeleien wurden nicht weniger. Beide Teams schenkten sich nichts und auch der verletzungsbedingte Austausch von Marc Stendera, der im Eifer des Gefechtes einen schmerzvollen Kreuzbandriss erlitt, konnte die Wogen nicht glätten. Schäfer´s Fangkünste kamen zweimal zum Einsatz. Zuerst konnte er einen Haris Seferovic-Distanzschuss abwehren, dann bugsierte er einen Mijat Gacinovic-Kopfball über die Latte. An Eckbällen stand es zur Pause immerhin 2 : 4 aus Sicht des Clubs, beim Hinspiel „führte“ Frankfurt zur Halbzeit an Corner-Bällen mit 5 : 0. Aber egal, zählt alles nichts, nach 45 Minuten und zum Seitenwechsel war Nürnberg – aufgrund des Auswärtstores vom Hinspiel, erzielt übrigens als Eigentor vom Frankfurter  Marco Russ, bei dem zu allem Überfluss vor der Begegnung noch ein Hodentumor diagnostiziert worden war – aufgestiegen.

66 Minuten hielt das Bollwerk der von Dave Bulthuis (links) und Raphael Schäfer organisierten Abwehr des 1. FC Nürnberg, dann schlug die Eintracht erbarmungslos zu. Foto: FCN
66 Minuten hielt das Bollwerk der von Dave Bulthuis (links) und Raphael Schäfer organisierten Abwehr des 1. FC Nürnberg, dann schlug die Eintracht erbarmungslos zu. Foto: FCN

Nico Kovac, der seit 10 Wochen im Trainer-Amt ist und den glücklosen Armin Veh auf der Betreuerbank der Frankfurter Adler beerbt hatte, machte sein Team nun noch heißer. Nürnberg eröffnete zwar die Zweite Spielhälfte, konnte aber nur wenige Sekunden den Ball in den eigenen Reihen halten. Die SGE war sofort da und überaus bestrebt, nun „Nägel mit Köpfen“ zu machen. Frankfurt führte permanent den Ball, der Club kam aus der eigenen Spielhälfte kaum noch heraus. Während dieser Phase war der Ligen-Unterschied zwischen 1. und 2. Deutscher Bundesliga am klarsten ersichtlich.

Mit der Hereinnahme vom lange verletzt gewesenen Alexander Meier, der in Frankfurt so etwas wie einen „Fußball-Gott“ darstellt und der 2014/15 mit 19 Volltreffern Bundesliga-Torschützenkönig geworden war, wurden die Hessen noch aktiver. Der schlaksige Stürmer mit dem Haar-Knödel band stets zwei „Clubberer“ an sich und eröffnete dadurch Räume für seine Mitspieler. Eben diesen Raum wusste in der 66. Spielminute der 1 : 1-Torschütze vom Hinspiel, Mijat Gacinovic gewinnbringend für seine Farben zu nützen. Er tänzelte an der linken Seite durch, flankte in die Strafraum-Mitte, Abwehr-Chef Dave Bulthuis konnte das Leder nicht erreichen, und die Fußspitze von Haris Seferovic schlug blitzschnell zu. Auch der fehlerlose Schäfer musste sich eingestehen, dass er gegen diesen Schachzug chancenlos war.

Nürnberg-Coach Rene Weiler gratulierte seinem Pendant zum Erfolg und gab zu verstehen, dass der Club in beiden Spielen chancenlos war. Foto: oepb
Nürnberg-Coach Rene Weiler gratulierte seinem Pendant zum Erfolg und gab zu verstehen, dass der Club in beiden Spielen gegen die Eintracht chancenlos war. Foto: oepb

Frankfurt hatte das so wichtige Auswärtstor erzielt, führte mit 0 : 1 und war sich von nun an seiner Sache noch sicherer. Die Stimmung im Stadion kippte jedoch nicht, ganz im Gegenteil, beide Ultra-Gruppen gaben ihr bestes für ihre Farben. Ein lautstarkes und mit zahlreichen Bengal-Fackeln versehenes buntes Freuden-Spektakel setze ein. Man darf es jedoch vorwegnehmen, der Club war spielerisch nicht mehr in der Lage, dieser starken Frankfurter Mannschaft ernsthaft entgegenzutreten. Es gab kaum Angriffe aus Sicht des 1. FC Nürnberg, wenngleich die Hessen sich vermehrt zurückzogen und ihre Führung verwalteten.

Was folgte war nur mehr ein Ballgeschiebe, verbunden mit unzähligen Zeitverzögerungen, sodass das Zuschauen nicht mehr schön war. Die Pfiffe des Nürnberger Publikums störten die Frankfurter nicht, nach 95 Minuten war ohnehin alles vorbei und es blieb auch alles beim Alten: Frankfurt erst-, Nürnberg zweitklassig.

Wer nun glaubte, dass sich das Stadion ob der Niederlage des Heimvereins mit einem Pfeifkonzert leeren würde, der irrte gewaltig. Fast alle Zuschauer blieben auf ihren Plätzen und harrten aus. Während die einen natürlich vor der Gästekurve mit ihren Anhängern feierten, wippten, hüpften und tanzten, jubelte die gesamte Grundig Arena dem 1. FC Nürnberg zu. Den Spielern, die erschöpft, ausgelaugt und leer am Rasen lagen, schwappte eine Welle der Begeisterung und immer wieder kehrenden Anfeuerung entgegen. Es herrschte eine sensationelle Stimmung für einen Verlierer.

Gewonnen hatte an diesem Abend der Fußballsport. Es wurde Spannung, Dramatik und ein ausverkauftes Haus geboten, verbunden mit einem Bahöl der wahrhaft einzigartig war. Wie eingangs erwähnt, muss es leider einen Verlierer geben, in diesem Falle der vermeintliche „Underdog“ aus Liga 2, der 1. FC Nürnberg. So sind die Regeln, so ist das Spiel …

Nico Kovac, seit 10 Wochen auf der Eintracht-Kommando-Brücke, konnte mit der SGE das schlimmste in Form des Abstieges verhindern. Er wünsche sich jedoch, eine derartige Stress-Belastung wie jene der Relegation nicht mehr erleben zu müssen. Foto: oepb
Nico Kovac, seit 10 Wochen auf der Eintracht-Kommando-Brücke, konnte mit der SGE das Schlimmste in Form des Abstieges verhindern. Er wünsche sich jedoch, eine derartige Stress-Belastung – wie jene der Relegation – nicht mehr erleben zu müssen. Foto: oepb

Im Anschluss gratulierte der Schweizer René Weiler seinem Trainer-Kollegen Niko Kovac mit einer festen und innigen Umarmung zum Erfolg. Beide hatten Tränen in den Augen. Weiler wusste, dass die Eintracht für seinen Club in beiden Relegationsspielen schlichtweg eine Nummer zu groß war. Er wolle nun nach dem Verdauen des verpassten Aufstieges zuerst einmal den Urlaub genießen, um frisch gestärkt im Herbst zurückzukommen, und mit Nürnberg einen neuen Versuch in punkto Rückkehr 1. Deutsche Bundesliga unternehmen.

Und Niko Kovac stellte ohnehin gleich das ganze System in Frage. Seine Meinung, dass Deutschland ähnlich anderen Ligen in Europa, 20 Vereine, statt bisher 18, im Oberhaus vertragen könnte, es somit drei Fixabsteiger und drei Fixaufsteiger gäbe und man sich dadurch das nervenaufreibende System einer Relegation ersparen könnte, ist durchaus überlegenswert. Er verstehe zwar die Vereine und die Fans, die sich auf zwei „Endspiele“ ähnlich dem Europapokal freuen, aber für die Trainer ist das ganze mit einem erheblichen Nervenaufwand verbunden. Womit er sehr wohl Recht behalten sollte.

Und nachdem die Würzburger Kickers gestern Abend in Westfalen beim MSV Duisburg mit 2 : 1 erfolgreichen blieben – das Hinspiel gewannen man mit 2 : 0 – ist die Relegation auch in Liga 2 beendet. Hier steigt der höher gestellte – in diesem Fall der MSV – ab und der „Kleine“ kommt aus der 3. Liga hoch. Was wiederum den Umkehrschluss zulässt, dass im kommenden Jahr Nürnberg neben der SpVgg Greuther Fürth ein weiteres Derby ins Haus steht, gegen den Newcomer FC Würzburger Kickers.

Ein Wort noch zu den beiden mächtigen ULTRA-Gruppierungen:
Während die traurige Nachricht die Welt erschütterte, dass die englische „Königin der Herzen„, Lady Diana, in ihrem Wagen tödlich verunglückt sei, traf am Sonntag, 31. August 1997 im Rahmen des 5. Spieltages in der 2. Deutschen Bundesliga im Frankfurter Waldstadion die Eintracht auf den 1. FC Nürnberg. 45.000 Zuschauer waren Zeuge einer Frankfurter Fußball-Gala im Ausmaß von 4 : 1 (3 : 0 Pausenstand). Dieser Tag gilt als die Geburtsstunde der ULTRAS Frankfurt, da große Teile des traditionellen Fan-Blocks G an jenem Tag auf die Gegentribüne gewandert waren, um dort permanent und über 90 Minuten die eigenen Farben zu unterstützen.

Die Ultras aus Nürnberg zogen wenig später nach und auch, wenn sich die Gruppierungen nicht gerade grün sind, so zählen beide ULTRA-Gruppen heute zur absoluten Créme de la Créme im Deutschen Klub-Fußball.

www.fcn.de

www.bundesliga.de

www.eintracht-frankfurt.de

 

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