Autor Charles Foster wollte immer schon wissen, wie es ist, als Tier zu leben. Also tat er es! Der britische Tierarzt und Ethikexperte ließ sich im Wald einen Bau ausheben, ernährte sich von Würmern, kroch auf allen vieren nächtelang über den Waldboden und wurde zum Dachs in Menschengestalt. Dasselbe wiederholte er mit Füchsen, Ottern, Hirschen und Mauerseglern. Abgesehen von der Frage, ob er noch ganz bei Trost sei, musste sich Foster eine zweite Frage gefallen lassen: Ist es nicht eine Anmaßung, als Mensch zu glauben, so sehr seine Perspektive verändern zu können?

Charles Foster ist ein Tier. Gleichzeitig ist er auch Tierarzt, Jäger, Fischer, hat Jus studiert, schreibt Kolumnen, trägt Tweed-Jacken, unterrichtet Ethik und Rechtsmedizin in Oxford und ist auch sonst in jeder Hinsicht very british. Dass Foster ein Tier ist, damit ist hier nicht gemeint, dass er sich ungebührlich benimmt, und ebenso wenig, dass die Menschheit an sich eine Tiergattung darstellt und Foster eben dazugehört. Foster wollte schon als Kind ein Tier sein – und zwar nicht der Fähigkeiten halber, nicht weil er fliegen wollte wie ein Adler oder stark sein wie ein Löwe. Er wollte die Welt mit den Augen der Tiere sehen, und das hat sich bis heute nicht geändert: „Ich möchte eine verständlichere Unterhaltung mit dem Land führen. Für mich ist es eine Methode, um mich besser kennenzulernen, und in meiner Ich-Besessenheit bilde ich mir ein, dass es sich lohnt. Einen verständlicheren Austausch mit den pelzigen, gefiederten, schuppigen, brüllenden, im Sturzflug herabstoßenden, kreischenden, schwebenden, grunzenden, malmenden, hechelnden, flatternden, furzenden, Beute reißenden, watschelnden, Gelenke auskugelnden, hoppelnden, Fleisch zerfetzenden, galoppierenden, springenden und herumtollenden Haufen Land zu führen, die wir als Tiere bezeichnen, ist ein guter Weg dafür.“

Das Terroir von Regenwürmern

Nach der Lektüre des Buches möchte man Foster zugestehen, dass er sich seinen Traum erfüllt hat, dass er die Grenze eingerissen hat zwischen seinem inneren Tier und der Tierwelt. Also: Charles Foster ist ein Tier. Ein größeres Kompliment kann man ihm nicht machen. Und wodurch hat er sich dieses Kompliment verdient? Durch schonungslosen Körpereinsatz – wobei, eigentlich durch den schonungslosen Einsatz seiner Sinne.

An den Anfang seines Buches stellt Foster eine gastrokritische Abhandlung, die geneigt ist, dem Leser den Magen umzudrehen: Würmer, erfährt man hier, versuchen zu entkommen und schlängeln sich zwischen Zahnlücken und rund um die Zunge, wenn man sie isst; Je nach Jahreszeit schmecken sie anders und je nach Wald kann eine Note von Schweinemist, Zitrus oder Erde die schleimige Konsistenz unterstreichen.

Die Nase als Orientierungsorgan

Foster weiß das aus seiner Zeit als Dachs, weil sich Dachse zu 85 Prozent von Würmern ernähren und auch er es nicht anders gehalten hat, als er seinen Bau im Wald bewohnte, den ihm ein befreundeter Bauer mit dem Bulldozer ausgehoben hatte. Dabei lernte Foster nicht nur die Geschmacksnuancen der Würmer kennen, sondern kartografierte seine Umwelt auch zusehends nach dem Geruch – wie es Dachse eben tun.Denn Dachse sehen nicht gut, sind aber Meister im Wahrnehmen von Gerüchen und Geräuschen. Foster bewegte sich auf allen vieren vorwärts, mit der Nase ganz in der Nähe des Bodens, und hielt sich zudem untertags in seinem Bau auf, während er des Nachts, halb blind von der Dunkelheit, die Umgebung erkundete, sein Territorium olfaktorisch vermaß und lernte, die Geräusche des Waldes zu deuten. Ähnlich hielt er es auch mit seinen restlichen „Tierversuchen“, wobei er nach eigenen Angaben am Mauerseglerdasein mangels Flugfähigkeit völlig gescheitert ist. Am nächsten kam er seinem Ziel als Dachs.

Skandal im Dachsbau

Zwei Fragen stellen sich, wenn man das humorvolle, sowohl mit wissenschaftlichen Fakten gespickte als auch von Anekdoten durchdrungene Buch Fosters liest: Ist dieser Mann, der sich als Rothirsch von einem Jagdhund hetzen ließ, der als Otter stundenlang einen Fluss hinuntertrieb, der erfolglos versuchte, sich in einen Mauersegler hineinzuversetzen und der mit Stadtfüchsen gemeinsam im Gras herumkugelte und Insekten fraß noch ganz bei Trost? Und Frage Nummer zwei: Was ist der Erkenntnisgewinn der Übung?

Zu Frage eins: Dass sein Buch international auf einhellige Zustimmung stößt und niemand „Skandal“ schreit, darf verwundern. Denn bei seinem Leben als Dachs hatte Foster seinen achtjährigen Sohn dabei, der seinen Vater in Sachen Würmerfangen und -fressen noch deutlich übertraf – und auch bei Regen im Erdloch nächtigte. Seine Kinder erkennen einander zudem am Geruch des Kots, weil Foster mit ihnen im Wald „Revierkampf“ spielt, wobei man sein Revier nicht nur verteidigen, sondern auch markieren muss.

Regenwürmer und „Revier markieren“

In den Sandkisten der Boboparks europäischer und US-amerikanischer Städte wird die Frage diskutiert, ob es für die Immunabwehr gesund ist, wenn das Kind hin und wieder Erde frisst oder einen Stein in den Mund nimmt. Aber Regenwürmer? Revier markieren? Das geht deutlich weiter. Andererseits: Dass es den Kindern tierisch Spaß macht, Tiere zu spielen, glaubt man Foster sofort. Wenn das britische Jugendamt nicht einschreitet, soll es dem Leser also recht sein.Bleibt die zweite Frage – jene nach dem Erkenntnisgewinn. Foster ist kein selbst ernannter Schamane und auch sonst ist ihm jede Art von Esoterik fremd. Das heißt: Spektakuläre Aussagen über das „Seelenleben der Tiere“ oder das „Tier im Menschen“ darf man sich nicht erwarten. Streckenweise, wenn sich Foster in Neurowissenschaften verliert, ist das Buch sogar recht trocken. Aber ein wenig kann man als Leser dennoch von Fosters Erfahrung profitieren.

Empathietraining für Anfänger

Der Faktor Zeit macht seine Erlebnisse zu nachhaltigen Eindrücken; die buchstäbliche Verschiebung der Perspektive passiert nicht von heute auf morgen, doch nach Wochen des Kriechens auf allen Vieren und des Schnupperns an Tierkot stellt sich das System Mensch langsam um – auf Tiermodus. Noch radikaler lässt sich die eigene Perspektive nicht verändern. Es ist eine Sensation, dass das überhaupt möglich ist – und eine lohnende Übung, wo es doch den meisten schon schwer fällt, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Das oepb meint dazu:

Ein ebenso gewagtes wie beeindruckendes Experiment, bei dem der Autor an die Grenzen des Menschseins kommt, mehr und mehr zum Tier wird und den Leser in eine unglaubliche und faszinierende Welt mitnimmt. Sensationell, man gewinnt anhand der Lektüre den Eindruck, wieder zurückzukehren in die ursprünglichsten Anfänge des Menschseins.

Der Geschmack von Laub und Erde
Wie ich versuchte, als Tier zu leben
von Charles Foster
Malik Verlag
www.malik.de
288 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen
ISBN 978-3-89029-262-5
Direkt zu bestellen bitte hier:

Back to Top