„Lassen Sie sich in aller Eile – denn ich bin schon wieder auf dem Sprung zu einer Auslandsreise – für Ihre großartige Leistung danken! So gut hat mir der „Schüler Gerber“ seit 38 Jahren nicht mehr gefallen!“
Von einem begeisterten Radiohörer bekam Burgtheater-Schauspieler Michael Heltau am 8. Oktober 1968 Post. Besagter Hörer musste das Ersterscheinungsdatum des Romans nicht lange nachrechnen. Es war der Autor selbst, der große Romancier und Moralist Friedrich Torberg der dem Schauspieler Heltau zu seiner Titelpartie als unglücklicher Gymnasiast Kurt Gerber in der Geschichte über schwarze Pädagogik, Drill und Schülerselbstmord gratulierte, denn gerade war die dramatisierte Erstfassung des Romans durch den Äther geschickt worden.
Als der erst 20-jährige Torberg sein im Jahre 1930 veröffentlichtes Erstlingswerk – damals unter dem Titel „Der Schüler Gerber hat absolviert“ – schrieb, saß ihm die eigene Schulzeit noch höchst präsent im Nacken. Der Sohn aus einer gutbürgerlichen jüdischen Familie war einige Jahre zuvor mit dieser von Wien nach Prag übersiedelt, wo das Schulsystem im Gegensatz zu dem in Wien noch aus der untergegangenen Monarchie stammte. Torberg fiel beim ersten Matura-Antritt glatt durch.
Aber nicht nur die Angst vor der Reifeprüfung seines frühreifen und hochintelligenten, aber faulen Alter Egos Kurt Gerber, auch der verhasste Mathematikprofessor „Gott“ Kupfer und die Liebe zur Mitschülerin Lisa dürften autobiografische Züge in sich getragen haben. Kritiker wie Kurt Tucholsky und Robert Musil lobten den Roman 1930 für seine Unmittelbarkeit, in der er den Schulalltag und seine Dynamiken beschrieb. „Das ist ein lebendiges Buch!“, urteilte Tucholsky – und der autoritäre Mathematiklehrer sei „ein echtes Sinnbild“. Torberg habe die alte Schule mit ihrer fragwürdigen Pädagogik ernst genommen. Genau das müsse man tun, um ihre Abschaffung zu erreichen.
Hintergrund
“Der Schüler Gerber hat absolviert“ – so der Originaltitel des 1930 erstmals erschienenen Buches – wurde vermutlich durch Torbergs persönliche, teils negative Auseinandersetzung mit der Reifeprüfung inspiriert. Torberg fiel 1927 durch die Matura und wurde erst beim zweiten Versuch 1928 für „reif“ erklärt. Das tragische Ende der Roman-Hauptfigur Kurt Gerber wurde möglicherweise von mehreren Zeitungsberichten über Schülerselbstmorde im Jänner und Februar 1929 inspiriert, die der Autor zu Beginn des Buches erwähnt.
Kernstück dieses Romans – abseits der erzählten Geschichte – ist ein Plädoyer gegen die damals (und teilweise auch heute noch) gültigen Maßstäbe der Notenvergabe und deren Subjektivität. Wären die guten Schüler immer noch gute Schüler – und die schlechten Schüler immer noch schlecht – wenn man das Lehrerkollegium austauschte?
Gerade in dem Punkt empfand sich der Autor aber als gescheitert: „Der Schüler Gerber“ sollte zwar sein wirtschaftlich erfolgreichstes Buch bleiben und sich bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten 1933 50.000 Mal verkaufen. Doch die erhoffte Veränderung an den Schulen habe er nicht bewirken können, meinte Torberg.
„Das ist kein Schulroman mehr, das ist ein hellsichtiger, überwacher, visionärer Durchblick ins Gesamtbild unseres Daseins. Das Rätsel „Schule“ wird nach allen Richtungen hin in das größere Rätsel „Leben“ eingebaut. Und damit leistet der tapfere Roman mehr an Erkenntnis, als wenn er mit groben Tendenzen und Reformversuchen dreinführe.“, so Max Brod über „Der Schüler Gerber“.
“Was wird aus dem einmal werden?“, fragte Tucholsky anerkennend über den blutjungen Schreiber 1930.
Er sollte nach Jahren der Flucht und einer Exilkarriere in der Schweiz, Frankreich und den USA 1951 nach Wien zurückkehren und dort dem jüdischen Bürgertum mit späten Erzählbänden wie der „Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten“ ein Denkmal setzen. Da lag sein Roman über die unglücklichen Schülertage längst wieder in den Klassenzimmern und blieb dort bis heute.
Das oepb meint dazu:
Welche Macht hat ein Lehrer? Wie setzt er diese ein und wie übt er sie aus? Ist er ein guter Pädagoge, wenn er zeitig früh des Morgens das Klassenzimmer betritt und einen „seinen Lieblingsschüler“ ohne weitere Angabe von Gründen grundlos eine Stunde lang mit Blick zur Wand in die Ecke stellen lässt? Dass die Psyche eines jungen Menschen damit demoralisiert werden kann, dieser sich ausgeschlossen fühlt, aufgibt, nicht mehr mitlernt, aufgrund dieses Umstandes schlechte Noten erhält und durchfällt, ist das Ende vom Lied. Welche Wirkung aber hat das alles auf die Mitschüler? Beziehen sie Partei für den Kollegen, oder kriechen sie dem vortragenden Lehrkörper in den Allerwertesten?
Dieses Hör-Buch – bestehend aus 4 CDs – handelt von der Machtposition eines Lehrers gegenüber seiner Schüler und der Problematik, die daraus entsteht, bzw. entstehen kann und muss.
Klassiker als Hörbuch sind etwas ganz besonderes. Die Erzähler – ein jeder für sich – sind ein wahrhafter Ohrenschmaus und dieser Friedrich Torberg-Roman aus dem Jahre 1930 ist somit immer allgegenwärtig und schier unsterblich.
Eine klare Kaufempfehlung für all jene Menschen, die sich der sprachlichen „Jetzt-Zeit“ – ein Horror, wofür die ständig verwendeten Worte „spannend“ und „okay“ heutzutage schon alles herhalten müssen – nicht anpassen und das „altehrwürdige“ nach wie vor zu schätzen wissen. Perfekt geeignet zum Entspannen und Zuhören zu Hause, aber auch anhand von längeren Auto- und/oder Eisenbahnfahrten. Sprachlich ein wahrer Hochgenuss, von allen Beteiligten! Der Schüler Gerber Dramatisierte Fassung nach dem Roman von Friedrich Torberg mit Michael Heltau Edition Ö1 ORF-CD 816 / LC 11428 – bestehend aus 4 CDsGesamtspieldauer: 311 Min.
Direkt zu bestellen bitte hier:
Mitwirkende:
Gert Westphal (Erzähler), Michael Heltau (Schüler Gerber), Elisabeth Gassner (Lisa), Peter Pikl (Hobbelmann), Sepp Scheepers (Prof. Borchert), Michael Abendroth (Blank), Stefan Matousch (Schleich), Wolfgang Weiser (Prof. Kupfer), Uwe Bremer (Lewy), Fritz Bischof (Prof. Prochaska), Raimund Kuchar (Prof. Seelig), Gert Frosch (Kaulich), Jörg Hube (Benda), Gert Laubscher (Severin), Robert Tessen (Prof. Matusch), Gerhard Balluch (Prof. Filip), Isolde Stiegler (Mutter), Hermann Schober (Vater), Gunvor Raffelsberger (Ditta), Richard Tomaselli (Prof. Hussak), Paul Horn (Doktor Kron), Günther Verdin (Weinberg), Wolfgang Uhl (Zasche), Walter Svarovsky (Bob Urban), Wolfram Besch (Paul Weismann), Hans Georg Egger (Mertens), Peter Jost (Inspektor), Rosemarie Schrammel (Lizzi), Peter Pechlaner (Lengsfeld), Hermann Dellacher (Schönthal), Franz Wettig (Prof. Ruprecht), Rose Erburg (seine Frau), Gertrud Friemel (Dirne), Harald Harth (Nachrichtensprecher)
Übrigens: Die Buchausgabe „Der Schüler Gerber“ von Friedrich Torberg ist im Paul Zsolnay Verlag im Jahre 1958 erschienen und im Handel heute noch erhältlich.
Zahlreiche Friedrich Torberg-Geschichten finden Sie bei uns komplett gesammelt bitte hier;
Eine Kostprobe aus dem Hörbuch: