Wembley! Ein Name als Programm für ruhmreiche Tradition der englischen Fußball Cup-Geschichte. Im Londoner Wembley-Stadion fanden ab 1923 alljährlich bis ins Jahr 2000 die Endspiele um den FA-Cup – Football Association Challenge Cup – statt.
Nach dem Umbau des Wembley-Stadions und dem zwischenzeitlichen Ausweichquartier in Cardiff steigen seit 2007, und das bis heute, wieder die Finalspiele im neuen Wembley-Stadion in London. Traditioneller kann Fußball-Geschichte gar nicht mehr gelebt werden. Es scheint daher nur allzu verständlich, dass viele Nationen Wembley kopieren wollten.
In Österreich zum Beispiel versuchte man ab dem Jahre 1990 das Wiener Praterstadion als dauerhaften Endspielort zu etablieren. Man ist gescheitert, probierte andere Final-Orte aus und glaubt nun seit 2014, mit dem Klagenfurter Wörthersee Stadion der Weisheit letzter Schluss gefunden zu haben.
BERLIN war keine leichte Geburt
„Eine in der Öffentlichkeit zunächst überaus umstrittene Entscheidung des DFB war, die Pokalendspiele dauerhaft nach Berlin zu verlegen. Denn warum, so wurde 1984/85 gefragt, sollen die Vereine und ihr Anhang beschwerliche Reisen, mit DDR-Grenzschikanen garniert, sowie viel zu hohe Hotelpreise in Kauf nehmen, wo doch die alteingesessene Lösung, nämlich eine geographisch günstig liegende Stadt zu bestimmen, viel idealer war? Alle Bedenken haben sich jedoch sehr bald schon in der Berliner Luft aufgelöst. Man muss es einfach selbst hautnah gespürt haben, das Flair der Hauptstadt Berlin und die Atmosphäre im Olympiastadion, um all diejenigen verstehen zu können, die von einem einmaligen Erlebnis schwärmen. Kein Wunder also, dass der Kampf um die Eintrittskarte für das nächste Finale beginnt, sobald der aktuelle Sieger geehrt worden ist. Zugegebenerweise hatten wir immer mit ein wenig Neid nach Wembley geblickt, weil das englische Cupfinale eine riesengroße Tradition besitzt. Doch nun können wir ehrlich stolz auf unser „Deutsches Wembley“ sein!“, so der seinerzeitige DFB-Präsident Egidius Braun anlässlich „60 Jahre Deutscher Fußballpokal“ im Jahre 1995.
Berlin im Jahre 1985
Berlin war eine geteilte Stadt! Das, was heute der jüngeren Generation schier unglaublich erscheint, fand in den August-Tagen des Jahres 1961 tatsächlich statt. Eine Mauer wurde quer durch die Stadt gezogen, man trennte den „Westen“ vom „Osten“ ab. West-Berlin – 1,85 Millionen Einwohner im Jahre 1985 – glich einer Insel inmitten der DDR (Deutsche Demokratische Republik). Quasi über Nacht wurden Familien auseinander gerissen und die „geteilte Stadt Berlin“ sollte sagenhafte 28 Jahre lang in die Geschichte eingehen. Erst mit dem Mauerfall im November 1989 wurden ehemals eingefahrene Wege und Straßen, sowie Menschen, Freunde, alte Bekannte und Familien wieder zusammengeführt. Die DDR-Hauptstadt Berlin (Ost-Berlin) wies im Jahre 1985 knapp 1,22 Millionen Einwohner auf.
Der Fußball in Berlin 1985
Mitte der 1980er Jahre war im „Westen“ die Hertha (Hertha BSC Berlin), des Berliners größtes Sorgenkind, nur in der 2. Deutschen Bundesliga ansässig. Man ritterte mit der heute nicht mehr existenten Sp.Vg. Blau-Weiß 1890 Berlin – später 1992 als SV Blau Weiss Berlin geführt, um seit 2015 wieder unter dem Namen Blau-Weiß 90 Berlin aktiv zu sein – um die Vorherrschaft in der Stadt. Und verlor. Die Mariendorfer standen 1984/85 sieben Plätze vor der Hertha, verloren allerdings beide Stadt-Derbys. Hätte Blau-Weiß die Hertha zweimal geschlagen in jenem Jahr, die „Alte Dame“ wäre in ärgste Abstiegsnöte geraten. Zu all dem Überfluss stieg Blau-Weiß 90 im Jahr darauf in die höchste Spielklasse auf, und der Hertha erwuchs mit Tennis Borussia Berlin 1985/86 ein weiterer Rivale um die Vorherrschaft in Liga 2 in West-Berlin. Ganz anders die Situation im Osten der Stadt. Der als „Stasi-Klub“ – Ministerium für Staatssicherheit der DDR – in die Geschichte eingegangene BFC Dynamo Berlin aus Hohenschönhausen feierte in der DDR-Oberliga Serien-Meisterschaften. Von 1978/79 bis 1987/88 wurde der BFC durchgehend Oberliga-Meister. Wiederum anders die Situation in Köpenick. Der 1. FC Union Berlin – 2019 erstmals in die 1. Deutsche Bundesliga aufgestiegen – spielte 1984/85 nur in der 2. Liga der DDR. Man hielt sich im DDR-Oberhaus, so man dort vertreten war, stets nur mit allerhöchster Mühe in der Liga. Berlin war damals, um es auf den Fußballsport zu beziehen, nicht unbedingt die allererste Adresse in Deutschland. Auch war 1985 von einem etwaigen Mauerfall, einer Wiedervereinigung zwischen Ost und West, oder gar der neuen deutschen Hauptstadt absolut keine Rede. Man wollte das im Fußballsport dahinsiechende Berlin einfach salonfähig machen. Und weil dem so war, wurde die Idee des DFB, von nun an – ab 1985 – das Pokalfinale in Berlin auszutragen, allerorts angenommen, wenngleich auch mit leisen Bedenken.
70.398 Zuschauer am 26. Mai 1985
„Ich finde die Atmosphäre viel zu kühl, besonders dann, wenn das riesige Stadion nur zur Hälfte gefüllt ist!“, so Norbert Brinkmann nach dem Abschlusstraining im leeren Olympiastadion zu West-Berlin am 25. Mai 1985, seines Zeichens Manndecker des FC Bayer 05 Uerdingen (heutiger Krefelder FC Uerdingen 05). Seine Befürchtungen waren unbegründet, denn am 26. Mai 1985 zur „Premiere“ des DFB-Pokalfinales in Berlin waren über 70.000 Zuschauer anwesend. Gegner der Werksmannschaft vom Niederrhein war der FC Bayern München. Eine imposante Kulisse, wenn man bedenkt, dass 19.100 Besucher im Herbst 1984 und 26.559 Zuschauer im Frühjahr 1985 zum Derby zwischen Blau-Weiß 90 und der Hertha in der 2. Deutschen Bundesliga gekommen waren. Und die Zuschauerzahlen damals waren mit jenen von heute nicht zu vergleichen. Uerdingen beispielsweise kam 1984/85 in der Bundesliga auf einen Schnitt von 14.013, die Bayern verbuchten 32.388 Fans im Münchner Olympiastadion und der heutige Zuschauerkrösus Borussia Dortmund wusste durchschnittlich „nur“ 25.767 Anhänger hinter sich. Umso imposanter war das ausverkaufte Olympiastadion zu Berlin anlässlich des 42. DFB-Pokalfinales 1985, dem ersten Endspiel übrigens wieder in Berlin seit 1942.
SK RAPID Wien & First Vienna FC
Die seit dem Jahre 1935 bestehende DFB-Pokalgeschichte – in den Jahren 1944 bis 1952 wurden keine Pokalsieger ermittelt – bestimmten auch zwei Vereine aus Österreich entscheidend mit, die kurzerhand in Deutschland den „Cöp“ – den Cup – gewannen. Österreich war als „Ostmark“ ab dem März 1938 ein Teil des Deutschen Reiches und im Zuge dessen spielten auch die österreichischen Vereine in Deutschland eine sehr gute Rolle. Der SK RAPID Wien schaffte es am 8. Jänner 1939 ins Finale, das auch damals bereits im Berliner Olympiastadion gespielt wurde. Vor 40.000 Zuschauern gewannen die Hütteldorfer Kanoniere gegen den FSV Frankfurt mit 3 : 1 (Pausenstand 0 : 1) Bemerkenswert dabei, dass die drei Treffer RAPID´s allesamt erst in den letzten 10 Minuten gefallen waren.
Und auch der First Vienna FC, in Deutschland gerne so vortrefflich als „Vienna Wien“ tituliert, kam zu Cup-Ehren. Die Döblinger standen am 31. Oktober 1943 im Endspiel, diesmal im Stuttgarter Stadion, dem späteren Neckarstadion. Auch hier setzten sich die „Ostmärker“ durch. Gegner war der LSV Luftwaffen Sport-Verein Hamburg, der erst am 8. Dezember 1942 vom Oberst im Generalstab Fritz Laicher aus der Taufe gehoben wurde und eine Mannschaft aus allen Landesteilen des Reiches zusammengewürfelt stellen konnte. Am Ende konnte sich die Vienna mit 3 : 2 – 2 : 2 nach 90 Minuten, 0 : 1 zur Halbzeit – in der Verlängerung durchsetzen.
David gegen Goliath
Der Favorit FC Bayern München war im Mai 1985 als Tabellenführer unterwegs zum achten Deutschen Meistertitel. Mit dem SV Werder Bremen saß den Bayern allerdings eine gehörig Gwandlaus im Pelz. Drei Runden vor Schluss trennten beide Teams lediglich zwei Punkte. Im DFB-Pokal war man bisher siebenmal erfolgreich und gleichzeitiger Titelverteidiger von 1983/84. Der Außenseiter aus Krefeld, der FC Bayer 05 Uerdingen, spielte eine ordentliche Saison 1984/85 und stand zum Zeitpunkt des Pokalfinales an der 5. Stelle der 1. Deutschen Bundesliga. Und somit ganze sechs Plätze vor Bayer 04 Leverkusen. Ein Umstand, der in der Werkszentrale der Bayer AG in Leverkusen nicht allerorts Beifall fand. Damals war es so, dass das Finale nicht erst am darauffolgenden Wochenende des letzten Bundesliga-Spieltages ausgetragen wurde, so wie dies heutzutage der Fall ist, sondern während der Saison. Die Bayern empfahlen sich für Berlin mit einem 2 : 1 zu Hause gegen Bayer 04 Leverkusen, die Uerdinger schlugen den Karlsruher SC mit 3 : 0 und in einem Nachholspiel dem Hamburger SV mit 2 : 1. Selbstvertrauen war also vorhanden, auf beiden Seiten.
Bayern hat verloren
Der Sinn des Pokals ist letzten Endes doch, dass der „Kleine“ dem „Großen“ ein Haxl stellt. Wenn sich dieser Umstand anschickt, kann es schon passieren, dass neutrale Zuschauer die Fronten wechseln. Die Stimmung im Olympiastadion an jenem 26. Mai 1985 war bereits nach 9 Minuten hervorragend, denn das 0 : 1 von Dieter Hoeneß wurde quasi im Gegenzug von Horst Feilzer zum 1 : 1 egalisiert. Zählt man die gut 20.000 Bayern-Fans im Stadion weg, standen nun 50.000 Zuschauer im Lager der „Grauen Maus“, der Uerdinger. Und die spielten das Match ihres Lebens. Immer wieder berannten sie das Bayern-Tor, in dem sich Raimond Aumann mehr und mehr auszeichnen konnte. Der Favorit, er wankte. Und als dann noch in der zweiten Hälfte Wolfgang Dremmler nach einem Foul an Wolfgang Funkel ausgeschlossen wurde, war für Uerdingen mit einem Mann mehr am Platz die Sensation zum Greifen nahe. In der 66. Minute war es passiert: Wolfgang Schäfer traf zum Entsetzen des Freistaates Bayern ins Tor der Münchner. 2 : 1 für Uerdingen und „Janz Berlin stand Kopf“. Für Bayer 05 Uerdingen bedeutete dieser Pokal-Gewinn den größten Erfolg in der Vereinsgeschichte. Die Bayern holten sich einige Tage später ihre Meisterschaft und im Jahr darauf – abermals in Berlin – mit einem 5 : 2 gegen den VfB Stuttgart das Double.
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin
Nun, es soll ja Menschen geben, die immer noch einen Koffer in Berlin haben. Andere wiederum skandieren bereits in der DFB-Pokal Vorrunde nach einem längst überfälligen Tor des haushohen Favoriten gegen Neududel-Au, nach Berlin fahren zu wollen. So passt es auch irgendwie ins Bild, dass der Lokalmatador, oder eben die Lokalmatadore, die in Berlin ansässigen Vereine, es teilweise bis heute nicht geschafft hatten, sich für das Finale zu Hause zu qualifizieren. Bis auf zwei Ausnahmen.
Schuss, Tor, Hurra – wir holen den Pokal …
... noch ist es ein Traum, doch uns ist klar, wir wollen den Titel an uns reißen!
Immer wieder dröhnte der Pokal-Hit durch die Kabine der damals als „Hertha-Bubis“ bezeichneten Truppe. Die Amateure von Hertha BSC Berlin qualifizierten sich doch tatsächlich für das Endspiel am 12. Juni 1993 im Berliner Olympiastadion. Gegner war diesmal Bayer 04 Leverkusen, in dessen Reihen auch der spätere ÖFB-Teamchef Franko Foda stand. „Wir können heute die Deppen Europas werden!“, so das Bochumer Urgestein Martin Kree in den Reihen der Rheinländer stehend. Und das Olympiastadion, das einmal mehr mit 76.391 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllt war, stand auch wie ein Mann, zieht man 10.000 Bayer Leverkusen-Fans ab, geschlossen hinter den Hertha-Amateuren. Umso erfreulicher war das 0 : 0 zur Halbzeit. In der 77. Minute war es dann doch passiert: Schuss Franko Foda, der sensationelle Hertha-Keeper Christian Fiedler lässt den Ball abprallen, Flanke von Pavel Hapal und Ulf Kirsten trifft zum 1 : 0-Endstand für den haushohen Favoriten. Die Amateure der Hertha gaben bis zuletzt alles und zogen erhobenen Hauptes – trotz der Niederlage – nach dem Schlusspfiff unter tosendem Applaus des „neutralen“ Berliner Publikums ab.
EISERN UNION
Wiederum einige Jahre später gelang es dem 1. FC Union Berlin ins Berliner Olympiastadion zum DFB-Pokalfinale einzuziehen. Man schrieb den 26. Mai 2001 und Gegner war der FC Schalke 04. Rock-Röhre Nina Hagen positionierte sich vor Spielbeginn vor die rot-weiße Fan-Kurve der Eisernen und trieb lautstark mit der Vereinshymne „EISERN UNION“ die Ost-Berliner hin bis zur Ekstase. Genützt hatte es freilich wenig, denn der Drittligist, der als Meister in die 2. Bundesliga am Ende der Saison 2000/01 aufstieg, hatte gegen die Königsblauen vom Schalker Markt nur wenig zu bestellen. 73.000 Zuschauer erlebten ein 2 : 0 der Knappen, Jörg Böhme war zweimal erfolgreich. Erwähnenswert sei vielleicht, dass Schalke damals ein Heimspiel hatte. Die Ostkurve war tief in Blau und Weiß gehüllt, lediglich rechts vom Marathontor aus gesehen standen die Unioner, die ihrerseits aber auch gut und gerne 20.000 Anhänger stellen konnten. Optisch und stimmungsmäßig jedenfalls, wie jedes Finale zu Berlin, eine Augenweide.
Corona 2020
Am 23. Mai 2020 hätte das DFB Pokalfinale in Berlin steigen sollen, Corona-bedingt fand es erst am Samstag, 4. Juli 2020 statt. Als Gegner standen sich der FC Bayern München und Bayer 04 Leverkusen gegenüber, die Bayern siegten mit 4 : 2. Ebenso und ohne Kulisse verhielt es sich am 13. Mai 2021, als Borussia Dortmund den Finalgegner RB Leipzig mit 4 : 1 aus dem Olympiastadion katapultierte. Und morgen, am Samstag, 3. Juni 2023 steigt nun das 45. Endspiel in der Geschichte des DFB-Pokals, gerechnet seit 1935, im Berliner Olympiastadion und das 39. Finale in Serie in Berlin, gerechnet seit 1985. Finalgegner werden der aktuelle DFB-Pokal-Titelverteidiger RB Leipzig und der fünffache Pokalsieger (zuletzt 2018), die SG Eintracht Frankfurt sein. Anstoß ist um 20 Uhr.
Der Begriff „Deutsches Wembley“ scheint also durchaus angebracht zu sein.
Quelle: Redaktion www.oepb.at