Ernst Waldbrunn (* 14. August 1907 in Krumau (heutiges Český Krumlov), † 22. Dezember 1977 in Wien) wurde bekannt und berühmt als hervorragender Partner von Karl Farkas.
Die Doppelconférencen dieser beiden Parade-Kabarettisten – Farkas mimte den Gescheiten, Waldbrunn als sein Pendant den Blöden – der österreichischen Nachkriegszeit waren – und sind es auch heute noch – das absolut Beste, was das österreichische Kabarett in vielen Jahrzehnten aufweisen konnte.
Waldbrunn, der als hervorragender Charakterdarsteller, aber auch als Autor fungierte, schrieb gemeinsam mit Lida Winiewicz ein heute leider völlig in Vergessenheit geratenes Theaterstück mit dem simplen Titel „Die Flucht“.
Seine Uraufführung hatte das Stück mit Ernst Waldbrunn und Albert Lieven in den Hauptrollen am 8. Oktober 1965 im Kleinen Theater der Josefstadt in Wien. Regie führte Hermann Kutscher. Neben Waldbrunn als Karl Anton Winter und Lieven als Dr. Krantz wirkte Heribert Aichinger als Svoboda mit. Weiters traten auf: Curt Eilers, Adolf Beinell, Elfriede Ramhapp, Christian Fuchs, Peter Gavaida und Rose Renée Roth.
Das Stück, das die eigenen Erlebnisse Ernst Waldbrunns zur Hitlerzeit verarbeitet, erhielt nach seiner Uraufführung überschwängliche Rezensionen:
„Dieser Applaus, der schon nach einzelnen Szenen vehement einsetzte und am Schluss alle Hausrekorde schlug, galt der Uraufführung eines Stücks, mit dem lapidaren Titel „Die Flucht“ von Ernst Waldbrunn und Lida Winiewicz; einer inhaltlich und formal großartigen Partitur, hautdicht durchkomponiert, bestürzend direkt und indirekt zugleich. Ein kleines Meisterstück beider Autoren, fesselnd, überzeugend, glänzend spielbar. Rache oder Unterlassung stehen plötzlich als menschlich-übermenschliche Alternative zur Debatte.“, so Manfred Vogel für die Wochenpresse, Wien.
Dem Schauspiel wurde ein großer Siegeszug über sämtliche Bühnen prophezeit. Dieser blieb jedoch aus und später wurde das Stück kaum noch gespielt.
Zum Inhalt:
“Die Flucht“ handelt von den Erlebnissen des den Holocaust überlebenden halbjüdischen Komödianten Karl Anton Winter zur Zeit des Dritten Reichs. Ausgangspunkt und Zusammenhalt der Szenenfolge ist ein Vortragsabend Winters unter dem Titel „Humor mit Herz“ im Jahre 1965, 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Naziregimes, als er von der Bühne aus einen seiner damaligen Peiniger unter den Zuschauern zu entdecken glaubt bzw. eine Ähnlichkeit feststellt und daraufhin die Bühne fluchtartig verlässt. Stunden später in das leere Haus zurückkehrend, erklärt der Schauspieler dem Nachtwächter des Theaters, einem gewissen Svoboda, der wiederum ein außerordentlicher Bewunderer von Winters Kunst ist, seine Beweggründe, gleitet dabei aber bald selbstvergessen in eine Reflexion der sieben schlimmsten Jahre seines Lebens ab;
Winter, der aufgrund seiner teilweisen jüdischen Herkunft nach dem Anschluss Österreichs 1938 an Hitler-Deutschland nur aufgrund einer Sondergenehmigung in Wien als Schauspieler wirken darf, droht aufgrund der Schließung seines Theaters die Arbeitslosigkeit und die Deportation in ein Arbeitslager. Eine Bekannte legt bei dem Intendanten des Oberschlesischen Theaters in Gleiwitz ein gutes Wort für ihn ein, doch eine Antwort bleibt lange aus. Buchstäblich in allerletzter Sekunde verhindert eine doch stattfindende telegrafische Einladung, dass Winter in eine berüchtigte Kohlegrube geht. In Gleiwitz entsteht dann eine von nervöser Angst geprägte Trinkfreundschaft mit dem Gauleiter und literaturbegeisterten Dr. Krantz (Doktorarbeit über Heinrich Heine), einem „Bluthund“, der ob seiner Grausamkeit gefürchtet wird. Dieser steht auch dem KZ Auschwitz vor, wo Winter mit seinem Theater vor der Belegschaft des Konzentrationslagers auftritt. Am Ende kommt der Schauspieler jedoch auch selbst nicht um einen längeren Aufenthalt in einem Arbeitslager herum.
Als ihm von dort die Flucht gelingt, geht er nach Kattowitz, wo er in das Arbeitszimmer von Dr. Krantz gelangt. Der Gauleiter unterstützt nach anfänglicher Empörung die weitere Flucht Winters unter anderem mit einem Pass. Winter spürt derweil tief in sich das Verlangen den Gauleiter zu töten, nimmt jedoch die Hilfe des Nazis an. Nach dem Ende des Dritten Reichs hört Winter, inzwischen wieder erfolgreicher Schauspieler in Wien, davon, dass Dr. Krantz als Kriegsverbrecher gesucht wird. Wenn nun Krantz, der ihm damals das Leben gerettet hatte, plötzlich vor seiner Tür stehen würde und um Hilfe und um sein Leben flehen würde? Winter nimmt sich nach schwerer Überlegung vor, das „Monstrum“ dennoch der ihm drohenden Hinrichtung auszuliefern. Dann steht Krantz eines Tages tatsächlich vor Winters Tür. Sein folgendes Handeln bereitet dem Schauspieler fortan Gewissensqualen: Er versteckt den Gesuchten, bis dieser seine Flucht fortsetzt, mehrere Tage in seiner Wohnung.
Svoboda reißt Winter aus seinen Überlegungen, die qualvoll sein damaliges Tun zu bewerten suchen, und rät zu einem Achterl Wein mit einem Schuss Rum, dem Saft einer halben Zitrone, zwei Löffel Zucker und, wenn vorhanden, ein paar Gewürznelken: „Heiß machen, ziehen lassen und auf einen Zug herunter.“ Winter jedoch beschäftigt noch eine andere Frage: Hätte sein Komödienpublikum, das von ihm „Humor mit Herz“ erwartet, ihm ebenso zugehört wie der treue Svoboda?
Über die Entstehung des Stücks äußerte sich Ernst Waldbrunn selbst:
„Ich möchte eigentlich dieses Stück schreiben, dachte ich eine Zeitlang. Dann wollte ich es schreiben, und dann musste ich es schreiben. Es sollte einen menschlichen Konflikt nicht im abstrakten Raum politischer Parabel und verfremdeten Humanitätssymbols behandeln, sondern eine Gewissensfrage – Rache oder Unterlassung – ganz konkret und direkt stellen. Nach 18 Jahren und der – vorsichtig gerechnet – zwölften Fassung wollte ich aufgeben. Das Stück war zu lang. Das Stück war zu kurz. Es war zu hart. Es war zu weich. Zu schwarz. Zu weiß. Es war ein Stück Gewissenserforschung. Ein Stück Bekenntnis. Aber es war kein Stück. Da traf ich Lida Winiewicz. Ich zeigte ihr, wie meine Menschen zitterten und drohten, wie sie sich ans Leben klammerten, wie sie hofften und zweifelten, wie sie liebten und verachteten, wie sie stammelten und aufbrüllten, was sie redeten und wie viel sie redeten. Sie zeigte mir, wie sie redeten und wie wenig. So entstand „Die Flucht“!“
„Ernst ist das Leben, heiter der Waldbrunn!“ stellte Hans Weigel einst über den beliebten Komiker fest, aber auch: „Von Ernst Waldbrunn gehe unter Verzicht auf den gewohnten Waldbrunn nur Ernst aus.“
Als der heitere Waldbrunn ist er ja im Gedächtnis haften geblieben: als der begnadete Blödler in den Doppelconférencen mit Karl Farkas, mit denen Waldbrunn schon seit 1950 am Wiener Kabarett „Simpl“ brilliert hatte, die ihn allerdings auch in späteren Jahren beim breiten Fernsehpublikum populär gemacht hatten.
Und in seinem eigenen, 1965 fertig gestellten autobiografischen Bühnenstück „Die Flucht“ – der Tragödie einer Komödie – spielte Waldbrunn, als Hauptdarsteller, einen Komiker, der seinen Peiniger, einen SS-Mann, unbedingt zum Lachen bringen muss. Der um sein Leben spielt. Und der in seiner Verzweiflung sich selber als seinerzeitigen Solokabarettisten zu imitieren versucht …
Ernst Waldbrunn war allerdings nie ein Mann der tausend Gesichter, ganz im Gegenteil: Er hatte dieses eine, ganz und gar unverwechselbare Gesicht, aus dem freilich tausend Seelen zu sprechen vermochten. Er war präsent, so würde die Kritik wohl heute über ihn sagen, man hörte ihm gerne zu und er brachte die Leute zum Lachen, immer und immer wieder aufs Neue.
Dank PREISER RECORDS gibt es nun eine gut 60 Minuten andauernde Hör-CD von „Die Flucht“, die wahrlich unter die Haut geht. Und wer ganz genau hinhört, dem wird mehr und mehr klar werden, dass es sich dabei auch um die Autobiographie des unvergessenen Ernst Waldbrunn handelt.
Quelle: Redaktion www.oepb.at
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