Die riesige graue Vorstadt mit dem klingenden Namen Favoriten hat eine Geschichte. Es ist die Geschichte des arbeitenden Volkes, die Geschichte von Namenlosen, die diese Stadt mitgeformt, sie verteidigt und wieder aufgebaut haben. Hier wurde von Austrofaschisten auf Arbeiterhäuser geschossen, hier herrschten Arbeitslosigkeit und Not und viele Favoritner ließen für ein freies Österreich ihr Leben. Aus persönlichem Blickwinkel erzählt eine Favoritner Lehrerin, deren Familie seit der Bezirksgründung hier lebt, die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen und Umbrüche ihres Heimatbezirks. Texte von historischen Persönlichkeiten wie Victor Adler, Adelheid Popp, Max Winter oder Johann Pölzer vertiefen den Blick auf Favoriten. Die Zeitreise wird durch humorige und emotionale Familiengeschichten sowie die zahlreichen historischen und zeitgenössischen Fotografien besonders lebendig.

Über die Autorin

Gitta Tonka arbeitete als Lehrerin und leitete 17 Jahre eine Favoritner Volksschule. 2016 gab sie die Manuskripte ihrer Mutter Oswalda Tonka als Buch heraus: Buchengasse 100 – Geschichte einer Arbeiterfamilie (Promedia Verlag). Sie lebt – natürlich – in Wien-Favoriten.

oepb-Rezension:

Ich bin ein Kind der Stadt. Die Leute meinen und spotten leichthin über unsereinen,
dass solch ein Stadtkind keine Heimat hat.

In meine Spiele rauschten freilich keine Wälder. Da schütterten die Pflastersteine. Und bist mir doch ein Lied, du liebe Stadt.

von Anton Wildgans

Die Autorin Gitta Tonka blickt auf eine unglaubliche 170-jährige Familiengeschichte zurück, die sich in der Favoritner Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung abgespielt hat. Ihr Urgroßvater Jakob Sokopp kam in den 1870er-Jahren nach Wien. 16 Jahre war er alt, als er seiner Mutter nachfuhr, die aus Böhmen nach Wien gezogen war, um hier das kleine Glück zu suchen. Metalldrucker lernte er, er war in der allerersten Generation der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften aktiv, lange bevor der Sozialistenführer Victor Adler die Arbeiter vereinigte. 2015 begann sie aus den Memoiren und historischen Aufzeichnungen ihrer verstorbenen Mutter Oswalda Tonka – geborene Sokopp – ein Buch zu machen mit dem Titel: Buchengasse 100, Geschichte einer Arbeiterfamilie. Während dieser interessanten Arbeit lernte sie auch die Geschichte der Arbeiterbewegung kennen, die wiederum untrennbar mit Favoriten verbunden ist.

Somit wurde ihr Interesse an der Vergangenheit neuerlich geweckt und sie holte ihre alte Favoritenmappe wieder hervor. Da sich aber in der Zwischenzeit so vieles seit ihrer Studienzeit geändert hatte – historisch Gebäude, Fabriken und vertraute Plätze waren mittlerweile verschwunden, weil sie modernen Stadtzentren und Skylines weichen mussten – gab es für sie jetzt die Möglichkeit, in eine digitale Zeitmaschine einzusteigen und so forschte sie weiter im Internet auf Wikipedia und ANNO (Austrian Newspaper Online der Österr. Nationalbibliothek). Diese Einträge ergänzten ihre analogen Bilder und Texte und halfen mit, die Vergangenheit dieses Bezirkes genauer kennenzulernen. Zu dem studierte sie noch Bücher, in denen Zeitzeugen aus ihrer Kindheit und über „ihr“ Favoriten erzählten. Diese Erinnerungen deckten sich oft mit jenen der Mutter und der Großtanten, durch deren Erzählungen und Geschichten sie ihre ganze Kindheit hindurch begleitet wurde.

Es ist schier unglaublich, diese riesige graue Vorstadt mit dem klingenden Namen „Favoriten“, und den großen und überaus einfühlsamen Geschichten dahinter … Eine Geschichte des arbeitenden Volkes, aber auch eine Geschichte der Namenlosen, die diese Stadt mitgeformt, geprägt, verteidigt und speziell nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut hatten.

Hier gab es keine Ritterspiele und keine Festspiele. Hier machten sich einst die Römer breit, hier verwüsteten Barbaren das Land, hier zogen die Türken und die Franzosen durch. Hier wurde auf Arbeiterhäuser geschossen, hier herrschten Arbeitslosigkeit und Not, und viele Favoritner mussten für ein freies Österreich ihr Leben lassen. Hier hat sich das Dichterwort bewahrheitet, „…dass unserer Vaterstadt ärmster Sohn zugleich ihr getreuester ist.“

Die Gegend des heutigen Bezirks Favoriten war bereits zur Römerzeit besiedelt. Viele Funde im heutigen Unterlaa weisen darauf hin. Alte Ziegel, Urnen, Tongefäße, Münzen und entlang der Triester Straße auch Meilensteine. Schon damals wurden am Wienerberg Tonwaren hergestellt. Der reiche Industrielle Alois Miesbach erwarb 1820 die von Kaiserin Maria Theresia gegründete staatliche Ziegelei am Wiener-Favoriten-Linie Berg und baute sie systematisch aus. Als Kaiser Franz Josef nach der Revolution 1848 das Arsenal als festungsähnliche Kaserne errichten ließ, beauftragte er Miesbach mit diesem Riesenprojekt. Allein für den Ziegelrohbau waren hundert Millionen Ziegel nötig und auch der Bedarf an Bau- und Ziegelarbeitern stieg enorm. Viele Slowaken, die sich hier um Arbeit bewarben, siedelten sich in primitiven Behausungen neben der Großbaustelle an. Im Volk wurden die Arbeiter und ihre Familien abschätzig Krowodn genannt, und ihre Ansiedlung Krowodndörfl. Auf einem alten Stadtplan entdeckte sie die Kroatengasse, so hieß damals der östliche Teil der heutigen Gudrunstraße. Immer mehr Menschen siedelten sich vor dem Linienwall an.

Nun – neugierig geworden? Ja, man muss bzw. sollte als Wiener neugierig sein: Wie entstand Favoriten und wie entwickelte sich Favoriten – diese einwohnermäßig nach Wien und Graz drittgrößte „Stadt“ Österreichs – bis in die heutige Zeit?

Mit diesem Buch liefert Gitta Tonka geschichtliche Informationen und hilft dabei, diese mit erlebten und erzählten Geschichten von Favoritnern und Favoritnerinnen zu verbinden, um einen wunderbaren Gesamt-Überblick über die Vergangenheit ihres Heimatbezirkes zu erlangen. Eine Zeitreise nach Wien-Favoriten, ein sehr gutes Bezirksbuch, äußertet informativ und detailgenau beschrieben mit interessanten Einblicken, die bis ins kleinste Detail gehen, ausgestattet. Auch die Bildauswahl zahlreicher historischer Ansichten ist aller Ehren wert.

FAVORITEN – Auf den Spuren eines Wiener Arbeiterbezirks ist für alle „Zuagrasten“ überaus empfehlenswert, aber auch für alte und eingesessene Wiener und Favoritner. 

FAVORITEN – Auf den Spuren eines Wiener Arbeiterbezirks
Von Gitta Tonka
Erschienen bei mandelbaum verlag
www.mandelbaum.at
160 Seiten, Format: 17 x 24 cm
mit zahlreichen Abbildungen zum Preis von € 18,00
ISBN: 978-3-85476-943-9
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