Ein Grazer Stadt-Derby zu Wien-Favoriten? Die zahlreich angereisten SK Sturm Graz-Fans glaubten gestern Abend ihren Augen kaum zu trauen, als die Violetten des FK Austria Wien in komplett roten Dressen angetreten waren. Rot ist der GAK (Grazer AK) und bei rot sehen die heißblütigen Grazer „Schwarzen“ auch gerne schon einmal Rot. Der geneigte Austrianer weiß allerdings auch, dass der FAK bereits einmal, nämlich am 21. März 2010, anlässlich eines Heimspieles komplett in rot aufgelaufen war. Damals bei einem 1 : 1 (1 : 0) gegen Red Bull Salzburg aus Anlass der seinerzeitigen Anti-Aids-Kampagne RED. Die neue „Rote Wäsch“ der Austria wird in der kommenden Spielzeit getragen werden und in der über 105jährigen Geschichte des Klubs assoziiert man damit erstmals auch bei “Austria“ den Begriff „Österreich“. Dies war im übrigen auch mit ein Grund, als man sich am 28. November 1926 umbenannte. Die bis dahin populären und erfolgreichen „Amateure“, die alles andere denn das waren, nannten sich von da an „FK Austria“. Dr. Emanuel „Michl“ Schwarz war mit Dr. Willy Meisl, der die Amateure nach dem 1. Weltkrieg mit dem Schwimm-Club Austria fusioniert hatte, Vorreiter dieser Namens-Änderung. Und für den Arzt der Schwimmer, Michl Schwarz, der später dann auch als „Fußball-Wunderdoktor“ und Funktionär der Austria in die Geschichte eingehen sollte, stand der Name Austria ohnehin auch für Österreich. Soweit bereits damals, vor 90 Jahren, der Weitblick eines Austria-Funktionärs.
36. Spieltag tipico-Bundesliga / Samstag, 15. Mai 2016, 17.30 Uhr / Generali-Arena, 10.682 Besucher, Schiedsrichter Robert Schörgenhofer
Zurück zur Gegenwart und die hieß erneut SK Sturm Graz. STURM GRAZ – immer wieder Sturm Graz … Am 17. Mai 2012 verlor die Austria nach vorheriger 1 : 0-Pausenführung in Graz mit 1 : 3 und vergeigte damit am letzten Spieltag die Europacup-Qualifikation. Zwei Jahre später, am 11. Mai 2014 vergab Alexander Grünwald beim Stand von 1 : 2 einen Elfmeter in Wien. Hätte er getroffen, wäre die Austria in Europa dabei gewesen. Grünwald knallte ans Lattenkreuz, der FAK verlor mit 1 : 2 und blieb Europacup-technisch im Herbst 2014 zu Hause. Vor einem Jahr, am 9. Mai 2015, trennte man sich nach einem – um es höflich auszudrücken – nicht gerade guten Spiel, in Wien mit 0 : 0. Und heuer? Gut, die Austria war für die Europacup-Startplätze mit Tabellenplatz Drei bereits qualifiziert. Aber mit einem vollen Erfolg wollte man sich selbst nicht nur den schönsten Abschied vom alten Horr-Platz bereiten – die Generali-Arena wird in den kommenden beiden Jahren bekanntlich umgebaut – sondern auch Austria-Legende Ernst Baumeister helfen, der als Trainer von Admira/Wacker selbst auf Schützenhilfe „seiner“ Austria angewiesen war, um mit Platz 4 ebenso im kommenden Herbst international spielen zu können …
Zum Spiel:
Vor der Begegnung wurden bei den Wienern – auch das ist bereits lieb gewordene Tradition – jene Spieler unter tosendem Applaus verabschiedet, die die Veilchen fix verlassen werden. Neben den mit 19 Treffern absoluten Top-Scorer der Saison, Alexander Gorgon, der sich neuen Herausforderungen stellen möchte, verlassen Fabian Koch, Vanche Sikov und Marco Meilinger die Austria. Der deutsche Trainer aus Westfalen, Thorsten Fink, möchte sich detto verändern. So wird gemunkelt. Eine Entscheidung darüber soll in den nächsten Tagen fallen.
Nach einer an Ereignissen kärglichen Anfangsphase gab es in Minute 23 das erste Ausrufezeichen in der Partie. Sturm Graz-Verteidiger Tanju Kayhan traf in der Hitze des Gefechtes Alexander Grüwald im eigenen Strafraum am Standbein, der Schiedsrichter Robert Schörgenhofer sah darin allerdings kein Foul und pfiff demnach nicht. Im Anschluss wurde die Austria giftiger, jedoch weder Raphael Holzhauser (31. Minute) als auch Olarenwaju Kayode (35. Minute) konnten mit ihren Schüssen das Gehäuse von Sturm-Torhüter Michael Esser ernsthaft gefährden. In der 42. Minute schwächten sich die Gäste selbst, nachdem Marvin Potzmann wegen wiederholten Foulspiels – er hielt den durchbrechenden Lucas Venuto am Trikot fest – mit Gelb-Rot vom Platz musste.
Die Nachspielzeit der Ersten Spielhälfte entschädigte für viel Leerlauf in Halbzeit Eins. Kayhan foulte in der 45. Minute David de Paula im Strafraum, der Referee stand unmittelbar daneben und entschied sofort auf Elfmeter. Was folgte, waren endlos lange Diskussionen von Grazer Spielern mit Schörgenhofer und seinem Assistent. Zeit, die eher Esser, denn Gorgon half. Denn während ein Torhüter bei Strafstössen immer nur gewinnen kann, ist der Ausführende seit jeher der Gelackmeierte – wenn er eben nicht trifft. Und so war es auch gestern. Gorgon hätte mit seinem 20. Tor noch gute Chancen auf die Torjäger-Krone haben können, scheiterte jedoch mit dem Versuch an Esser, der die Ecke erraten konnte und den nicht scharfen, aber platziert getretenen Ball unter seinem Körper begraben konnte.
Nach Wiederbeginn wurden die Gäste offensiver, sie mussten aber auch mehr für das Spiel tun, denn nur bei einem vollen Erfolg hätte Sturm Graz noch die Chance auf einen Europapokal-Startplatz gehabt. Donis Avdijajs Schuss stellte in Minute 47 jedoch kein Problem für Austria-Tormann Patrick Pentz dar. Der 19jährige kam gestern zu seinem Bundesliga-Debüt, weil Team-Torhüter Robert Almer kurzfristig erkrankt war. Der Debütant meisterte die Aufgabe mit Bravour und blieb fehlerlos.
Die Schwarz-Weißen aus Graz blieben am Drücker. Nach einem guten Querpass von Avdijaj verstolperte Bright Edomwonyi in der Mitte (50. Minute), kurz darauf versuchte es der Nigerianer erneut vergeblich mit einem Distanzschuss (56. Minute). Und Edomwonyi war es auch, der die beste Chance für die Gäste vorfand, allerdings traf er nach einem langen Abschlag von Esser und einem fast perfekten Abschluss lediglich die Torstange (73. Minute).
Die letzte Viertel Stunde gehörte der Austria, die vorerst drei Abseits-Tore erzielte. Man merkte den Wienern jedoch an, dass diese den Sieg auf jeden Fall haben wollten. Von Sturm kam, die eine Halbzeit lang nur mit 10 Mann agierten, nichts mehr. Und als dem eingewechselten Kevin Friesenbichler in der 86. Minute mit einem gefühlvollen Heber das heiß ersehnte 1 : 0 gelang, brachen die Grazer in sämtliche Einzelteile auseinander. Nach Larry Kayode, der nach einer Drehung überlegt in Minute 90 zum 2 : 0 abschloss, setzte Raphael Holzhauser in der Nachspielzeit noch einen drauf. Sein Solo war sehenswert und der Abschluss ins lange Eck zum 3 : 0 ebenso.
Ein würdiger Abschluss für den FAK nach 43 Jahren Horr-Stadion. Und auch hier schloss sich der Kreis, denn am 26. August 1973 pilgerten 11.000 Zuschauer beim 4 : 1-Erfolg über den First Vienna FC erstmals auf den ehemaligen Wiener Verbandsplatz und gestern bevölkerten die nunmehrige Generali-Arena ebenso fast so viele Menschen, denn die 10.682 offiziellen Besucher bekamen ein abwechslungsreiches Spiel und einen in dieser Höhe absolut verdienten Sieg ihrer Wiener Violetten letztmalig frei Haus geliefert. Da die Austria aufgrund des Stadion-Umbaus nun für die kommenden beiden Jahre in das Ernst Happel-Stadion ausweicht, brachen nach dem Schlusspfiff alle Dämme. Die Fans stürmten den Rasen und feierten ihr Team, das nach dreijähriger Abstinenz endlich wieder auf der europäischen Fußball-Bühne zurück ist und mit dem dritten Tabellenplatz auch ein zufriedenstellendes Saisonziel erreicht hatte. Die Grazer erwiesen sich nicht als „Abriss-Kolonne“ und zogen betrübt von dannen. Die Austrianer feierten und dürfen träumen – von ereignisreichen Spielen in Europa.