Der Austria-Fan ist seit jeher dafür bekannt, überall dort genau dann zu sein, wo sein Klub gerade nicht spielt. Die Liebe zu seinem Verein findet woanders statt, in den seltensten Fällen allerdings vor Ort im Stadion aktiv und live bei einem Match-Besuch. Das war früher schon so und ist heute unwesentlich anders. Bereits Hugo Meisl matschgerte in den 1930er Jahren darüber, dass der „ach so getreue“ Austria-Anhang in einem der zahlreichen Wiener Kaffeehäuser im I. Bezirk der Inneren Stadt herumsitzt und immer noch über die letzte Niederlage des FAK raunzt, währenddessen der FK Austria Wien just zur gleichen Zeit „unten“ im Stadion erneut einen Fußball-Kampf austrägt. Umso erstaunlicher erscheint daher folgende Geschichte;
Wien in den frühen 1960er Jahren
Es war die Zeit, als Fußball-Österreich über sein zweites Wunderteam verfügte. Unter Teamchef Karl Decker eilte die ÖFB-Auswahl von Erfolg zu Erfolg und blieb von 29. Mai 1960 bis 19. November 1961 in 11 Länderspielen 9-mal siegreich. Dass die Zuschauer damals das Wiener Stadion regelrecht stürmten, war in Anbetracht der erfolgreichen Duelle mit großen Nationen wie der Sowjetunion, Spanien, England, Ungarn und dergleichen nicht allzu verwunderlich. In jener Zeit waren auch über 90.000 Zuschauer bei den ÖFB-Länderspielen keine Seltenheit.
Benfica Lissabon erneut zu Gast in Wien
Der Europacup 1960/61 hat den Ruf Benficas als ein Team der internationalen Spitzenklasse begründet. Újpest Dóza Budapest (6 : 2 und 1 : 2), Aarhus GF (3 : 1 und 4 : 1) und der SK Rapid Wien (3 : 0 und 1 : 1) waren die Stationen auf dem Weg ins Finale, in dem dann der Außenseiter aus Lissabon den berühmten FC Barcelona mit 3 : 2 bezwang. Der höchste Erfolg, der Gewinn des sogenannten Weltpokals, ist Benfica allerdings knapp versagt geblieben. Das Duell gegen den Südamerikameister Penarol Montevideo ging knapp verloren, nach einem 1 : 0 in Lissabon und einem 0 : 5 in Montevideo mit einem 1 : 2 im Entscheidungsspiel in der Hauptstadt Uruguays. Der regierende Europapokalsieger der Landesmeister, heute vergleichbar mit dem aktuellen Champion der Champions-League, Benfica Lissabon gasierte mit seinem Erfolgs-Coach Bela Guttmann in der 2. Runde zum Hinspiel des Europapokals der Landesmeister am Dienstag, 31. Oktober 1961 demnach abermals in Wien. Die Vorfreude rund um diesen Schlager war enorm, allerdings auch ein bisserl getrübt, war doch der letzte Wien-Auftritt der Portugiesen noch allgegenwärtig und in den Köpfen der Fußball-Anhänger. Am 4. Mai 1961 trennten sich der SK Rapid Wien und Benfica Lissabon vor 62.000 Zuschauern im Wiener Stadion 1 : 1, das Hinspiel hatte Benfica mit 3 : 0 gewonnen. Die Begegnung wurde jedoch in der 89. Minute aufgrund eines Platzsturms der Zuschauer abgebrochen, jedoch nicht strafverifiziert, sondern später mit 1 : 1 beglaubigt. Der englische Referee Reginald Leafe hatte mit seinen Pfiffen die Besucher im Praterstadion derart in Rage versetzt, sodass sich des Volkes Zorn anhand eines Platzsturms entlud. Nach dem Match beruhigte sich die Lage nicht und zahlreiche Zuschauer lieferten sich eine regelrechte Schlacht mit der Polizei, die zahlreiche eingeschlagene Fensterscheiben, brennende Parkbänke auf der Hauptallee und 63 Verletzte nach sich zog. Und nun sollte eben der Stadtrivale Rapids, die Wiener Austria gegen Benfica Lissabon im Europapokal der Landesmeister antreten.
Zeitzeuge Norbert Lopper erinnert sich
Im Rahmen eines bunten Zusammentreffens im WIEN MUSEUM aus Anlass der Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz wurde das Gespräch mit dem jahrzehntelangen Austria-Sekretär Norbert Lopper natürlich auch auf diese Begegnung mit Benfica Lissabon geleitet. Norbert Lopper damals im Klartext: „Es war für uns der helle Wahnsinn. Die Freude anhand der Auslosung war riesengroß, wir wussten aber auch, dass wir da einen schweren Brocken vorgesetzt bekommen haben. Es gelang mir, mit den Portugiesen einen Platztausch zu erwirken, sodass das Hinspiel in Wien stattfand. Ursprünglich hätten wir zuerst in Lissabon antreten müssen und hätten dann bei einer etwaigen Niederlage zu Hause vor leerem Haus gespielt. So kam es aber anders. Die Freude war groß und mein Telefon-Apparat im Café Savoy, in dem wir damals das Sekretariat hatten, stand nicht mehr still. Auch draußen vor dem Café bildeten sich lange Warteschlangen, alle wollten eine Karte für dieses Match. Ich lachte mir damals einen mir wohlgesonnenen, muskulösen und kräftigen Taxler an, der mich mehrmals am Tag mit diesen Karten-Einnahmen zur Bank chauffierte. Die Summe, die wir da an Karten-Verkäufen erzielten, sprengte alles bisher Dagewesene für uns. Die Menschen verhielten sich aber auch mustergültig und es kam zu keinen gröberen Rangeleien oder sonstigen Unruhen, da wir quasi rund um die Uhr die Karten verkauften und sämtliche Nachfragen bedienen konnten. Ich freute mich schon auf das Spiel, denn ich wusste, dass es da für uns die höchste Kulisse geben wird, die jemals bei einem Klub in Österreich live im Stadion war. Und so kam es auch. Gut 80.000 Ticket hatten wir verkauft, 82.000 Zuschauer waren dann im Stadion live dabei. Eine denkwürdige Stimmung war das damals für uns alle.“
Rudolf Stark versus Ernst Ocwirk
Am Spieltag, den 31. Oktober 1961, brach rund um das Praterstadion alles zusammen. Die Tramway-Garnituren waren zum Bersten gefüllt und auch die PKW-Kolonne, die sich zum Stadion im Schritttempo bewegte, riss nicht mehr ab. Viele der Besucher bekamen um 20 Uhr das 0 : 1 durch José Aguas – der zwei Jahre später selbst in den FAK-Dress schlüpfte – in der 30. Minute nicht live vor Ort im Stadion mit, da man sich noch irgendwo im Umfeld der Praterschüssel in riesigen Menschentrauben befand. Zur Halbzeit waren dann alle Besucher im Stadion und die offizielle Zuschauerzahl schwankte zwischen 78.000 und 82.000 Menschen, was Besucher- und auch Einnahmerekord in Höhe von 1,5 Millionen Schilling für den FAK bedeutete. In der zweiten Hälfte war die Austria absoluter Herr im eigenen Haus. Mit rollenden Angriffen beschäftigten die Wiener Violetten den Benfica-Keeper Alberto da Costa Pereira, der an diesem Abend mehr als nur warmgeschossen wurde. Horst Nemec rührte im Sturm kräftig um und servierte perfekt einige Abschluss-Möglichkeiten auf Ernst Ocwirk. An diesem lief das Spiel an jenem Tag allerdings völlig vorbei. Für ihn in die Bresche sprang in der 70. Minute der 18-jährige Rudi Stark, der mit einem Bombenschuss aus knapp 30 Metern direkt ins Kreuzeck den Teufelskerl Pereira zum 1 : 1-Endstand bezwang. Stark, der nach seinem Tor den Rasen küsste, meinte hinterher im Interview, dass der Jubel um diesen Treffer um ihn herum im Stadion so laut war, dass er dachte die Welt stürze ein. Und Nemec diktierte den wartenden Journalisten in den Notizblock, dass der Ocwirk daran schuld sei, dass die Austria nicht gewonnen habe. Aber man dürfe dem „Ossi“ nicht böse sein, er laboriere noch immer an den Folgen seines Achillessehnenrisses und sei eben nicht mehr ganz der Alte. Das Rückspiel eine Woche später verlor die Austria im Estadio da Luz vor ebenso 80.000 Zuschauern sang- und klanglos mit 1 : 5. Norbert Lopper sollte recht behalten. Was wäre gewesen, hätte die Austria zuerst nach Portugal reisen müssen? Das Rückspiel mit einem etwaigen 1 : 5 im Gepäck hätte man getrost als Matinee am LAC-Platz austragen können.
Fakten für die Ewigkeit
Der Fußball-Europapokal und der FK Austria Wien – eine zwischenzeitlich über 60-jährige Erfolgsgeschichte – gehen derzeit schöne, aber auch wenig erfolgreiche Wege. Dies ändert allerdings nichts an dem Umstand, dass es hier immerwährende violette Superlativen gibt, die auch in der ruhmreichen und über 111-jährigen Geschichte dieses Vereins ihren Niederschlag finden:
.) Die Wiener Austria war 1978 der erste rot-weiß-rote Vertreter, der bis in ein Europapokal-Finale vordrang.
.) Der FK Austria Wien feierte 1983 mit einem 10 : 0-Erfolg gegen Aris Bonneweg den bis heute höchsten Sieg einer österreichischen Mannschaft im Fußball-Europapokal.
.) Und – last but not least – der FAK begrüßte mit über 80.000 Zuschauern im Jahre 1961 gegen Benfica Lissabon die bis heute höchste Besucher-Kulisse bei einem Spiel einer österreichischen Klubmannschaft.
Anmerkung: Fairerweise muss erwähnt werden, dass auch der Wiener Sport-Club am 4. März 1959 im Rahmen seines Heimspiels im Europapokal der Landesmeister gegen Real Madrid (0 : 0) eine beachtliche Kulisse im Stadion aufzuweisen hatte. Jene offiziellen 78.000 Zuschauer galten zwei Jahre lang, bis eben zum 31. Oktober 1961, als die höchste Zuschauerzahl einer Klubmannschaft in Österreich. Die 91.000 Zuschauer vom 30. September 1960 anlässlich des Länderspiels zwischen Österreich und Spanien (3 : 0) im Praterstadion allerdings, die bleiben jedoch wohl unerreicht bis in alle Ewigkeit …
Quelle: Redaktion www.oepb.at
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