Von Juli 1975 bis 9. März 1976 schwang Max Merkel als Trainer das Zepter in Gelsenkirchen. Eine Zweierbeziehung, die nur von kurzer Dauer war. Foto: Erwin H. Aglas / oepb

Der ehemals als „Flankengott vom Kohlenpott“ titulierte Außenstürmer Rüdiger „Abi“ Abramczik – in der Saison 2002/03 als Trainer beim FC Kärnten in Österreich aktiv – erinnert sich auch aus Anlass seines 66. Geburtstages am 18. Februar 2022 an seinen als „Peitschenknaller“ verschrienen Wiener Trainer Max Merkel und ist sich auch heute immer noch sicher, dass der FC Schalke 04 und „MM“ nie und nimmer zusammengepasst hatten.

1975/76 war es, als der Meistertrainer von 1965/66 des TSV 1860 München und 1967/68 des 1. FC Nürnberg Max Merkel in Gelsenkirchen anheuerte. Auf  Geheiß und Idee von S.04-Präsident Günter Siebert. Aber Max Merkel und der Ruhrpottverein, diese Liaison sollte nur von kurzer Dauer sein.

Dazu Rüdiger Abramczik in seiner Erinnerung:

Zum ersten Training kam ein dicker Mercedes vorgefahren, mit Münchner Kennzeichen und danach MM am Nummernschild. Da hatten wir alle mal genauer hingesehen. Und tatsächlich, es war Max Merkel, der da aus dem Wagen stieg. Nicht einmal unsere älteren Spieler waren eingeweiht, plötzlich wurde Merkel als unser neuer Trainer vorgestellt. Und der rührte auch gleich kräftig um, in dem er den Sommerurlaub kürzen wollte, um mit dem Training früher zu beginnen. Doch das ging schlecht, da fast alle Spieler den Familienurlaub bereits gebucht hatten. Und stornieren ging nicht mehr. Also schaltete sich das Präsidium ein, stellte sich auf die Seite der Spieler und so wurde der neue Trainer gleich einmal bloßgestellt.

oepb: Aber Max Merkel hatte doch einen guten Namen! Als Meister-Trainer in Österreich, in Spanien, in Deutschland …

Der heute 66-jährige Rüdiger Abramczik erinnert sich an einen seiner Trainer, den Wiener Meistermacher Max Merkel. Autogrammkarten-Foto: Sammlung oepb

R.A.: Ja, trotzdem war er nichts für Schalke. Er fand nie den richtigen Draht zu uns und wirkte stets arrogant. Wir nahmen ihn einfach nicht ernst. Er hatte als einziger Ahnung vom Fußball, alle anderen waren Blinde. Außerdem waren wir ein bisserl verwöhnt von seinem Vorgänger Ivica Horvat. Der hörte sich schon einmal die Meinung von uns Spielern an. Mit ihm konnten wir diskutieren. Dies war mit MM leider nicht möglich.

oepb: Der Start in der Bundesliga verlief ja auch nicht gerade verheißungsvoll.

R.A.: Ja, das kann man wohl so sagen. Gleich zum Auftakt, am 9. August 1975, ging es zum HSV. Merkel wollte, dass ich statt Rechtsaußen plötzlich rechter Verteidiger spielen sollte. Das ging gründlich in die Hose. Der Georg „Schorsch“ Volkert hat mich nach sämtlichen Regeln der Fußballkunst „eingedreht“ und sprichwörtlich nass gemacht. Die Strafe von MM sah so aus, dass ich nicht im Mannschaftsbus hätte mit zurückfahren dürfen. Da schaltete sich Präsident Siebert ein und intervenierte. MM war stinksauer auf mich und kreidete mir die 1 : 4-Schlappe in Hamburg fast alleine an. Dabei posaunte er noch vor dem Spiel, dass die HSV-Kicker alle lahme Säcke seien, die wir in Grund und Boden laufen würden. Weit gefehlt: Johann „Buffy“ Ettmayer – übrigens auch ein Wiener wie MM – und Konsorten spielten groß auf und wir hatten nicht den Funken einer Chance.

oepb: Am 2. Spieltag allerdings dann gleich ein 5 : 1-Erfolg gegen Revier-Nachbar MSV Duisburg.

R.A.: Ja, zur Pause stand es 2 : 0 und in der 46. Minute durfte ich ran. Wir führten mit 5 : 0, ehe den Zebras der Ehrentreffer gelang. So konnten wir wenigstens die Schlappe vom ersten Spieltag gleich vergessen machen.

oepb: Wie ging es mit dem neuen Trainer weiter?

R.A.: Die Abläufe waren normal, es war nichts ungewöhnliches dabei. Lediglich wenn die Presse ab und an beim Training da war, wurde auf Theater gemacht, mit Medizinbällen und Gewichten hantiert. Und wenn wir verloren hatten oder schlecht spielten, dann gab es ein Straftraining. Und ich erinnere mich, dass es das oft gab.

oepb: Auch seine Sprüche waren bereits zu Lebzeiten legendär. Ehe Sie Deutscher Nationalspieler werden würden, würde er in der Metropolitan Opera singen, meinte Max Merkel einmal.

R.A.: Ja! Mir ist aber nicht bekannt, dass er das 1977 dann auch getan hatte. (Anm.: Rüdiger Abramczik gab am 27. April 1977 gegen Nordirland beim 5 : 0-Erfolg für Deutschland sein Debüt und spielte bis 1979 19 Mal für die DFB-Auswahl).

oepb: Ihr Verein, der FC Schalke 04 kam mit MM nie so richtig in Schwung.

R.A.: Das kann man wohl so sagen. Wir haben unter Max Merkel keinen guten Fußball gespielt. Und auch bei den Fans besaß er keinen Kredit. Eines Tages kam er mit dem Taxi zum Training.

oepb: Was war passiert? Sprang sein Wagen nicht an?

R.A.: Besser noch! Einer seiner vorlauten Sprüche war unter anderem jener, dass das Schönste an Gelsenkirchen die Autobahn nach München sei. Also fand er eines Tages in der Früh seinen Mercedes vor der Haustüre ohne Räder vor. Wer die geklaut hatte, wurde nie festgestellt. Na ja, die Autobahn nach München musste er ja dann auch gar nicht mehr nehmen, denn als wir am 6. März 1976 im Olympiastadion beim FC Bayern München mit 2 : 3 verloren hatten, wurde MM entlassen. Er konnte somit gleich im Süden bleiben.

oepb: Die Trennung von Max Merkel war ein Befreiungsschlag für die Spieler?

R.A.: Auf jeden Fall. Als Merkel ging, waren wir Achter. Unser Co-Trainer Friedel Rausch übernahm und fand gleich einen sehr guten Draht zu uns Spielern. Wir zogen als Sechster zum Schluss dann noch in den UEFA-Cup ein. An uns Spielern kann es also nicht gelegen haben.

Der einstige “Flankengott vom Kohlenpott” Rüdiger Abramczik in seiner besten Zeit für den FC Schalke 04 in den späten 1970er Jahren. Autogrammkarten-Foto: Sammlung oepb

Anmerkung: Max Merkels Zeit in Gelsenkirchen dauerte lediglich 8 Monate. Mit den Königsblauen kam MM im Herbst 1975 in der 1. Deutschen Bundesliga auf 5 Siege, 8 Remis und 4 Niederlagen bei einer Tordifferenz von 35 : 27 was Tabellenplatz 6 bedeutete. Im Februar 1976 klettere Schalke sogar auf Rang 4. Nichtsdestotrotz passte MM nicht zu Schalke und umgekehrt. In seinem Buch „Geheuert / Gefeiert / Gefeuert“ aus dem Jahre 1980, erschienen im Wilhelm Goldmann Verlag, München, erinnert sich Max Merkel an seine Zeit beim FC Schalke 04, in seiner für ihn so typischen Art und Weise:

„Wer Schalke hört, denkt an Skandal und wird selten enttäuscht. Sie haben einen Flankengott und einen Torschützen, die können alles, nur nicht laufen. Dabei ist gerade das im Fußball so wichtig. Die nächste große Investition bei den Schalkern wird eine Drehtüre im Vereinsheim sein. Da kann Günter Siebert als Präsident hineingehen und als Manager wieder herauskommen, oder auch umgekehrt. Wie ihm halt gerade zumute ist. Bei Schalke ist die Mannschaft nicht so wichtig. Es geht um mehr als um madige Punkte. Wichtig ist, wer mit wem gerade vor Gericht oder am Vereinsstammtisch sitzt. Günter Siebert kaufte als Präsident um viel Geld die falschen Spieler ein. Er hätte beim Muschelhandel bleiben sollen, vielleicht hätte er wenigstens in einer Auster einmal eine Perle gefunden. Los ist bei Schalke immer was und sie haben noch alle Skandale überstanden. Sie haben sogar Lorants Raumdeckungs-Strategie überlebt, und das will schon was heißen. Wenn Schalke 04 wirklich irgendwann einmal die Meisterschaft gewinnt, werden sie die Schüssel ins Pfandhaus tragen und Günter Siebert wird aus dem Erlös einen Jugoslawen kaufen, der vielleicht ein neuer Beckenbauer wird, wenn Schalke ihn rechtzeitig an den FC Bayern weiterverkauft. Merke: Bei Schalke 04 kann ein Fußballer alles werden, wenn er den Verein verlässt …“

Aus diesen markanten Worten von Max Merkel klingt selbst heute noch – knapp 50 Jahre später – sehr viel Frust. Zahlreiche Zeitzeugen dieser Tage leben nicht mehr. Der FC Schalke 04 kam im Laufe der Jahre, auch dank Manager Rudi Assauer, gewissermaßen zur Ruhe und man arbeitet heute seriös und beinahe schon bieder „Auf Schalke“. Bloß die gewonnene Meisterschaft, die „Salatschüssel“, auf die warten die Knappen seit 1958. Man war zwar einige Male bereits denkbar knapp dran, aber ganz gereicht hatte es nie. Und 1975 wurde der vorlaute „MM aus Wien“ ja auch gerade für diesen Zweck verpflichtet, um endlich wieder die „Schüssel in den Pott“ zu holen, wie dies seinem Wiener Vorgänger Eduard „Edi“ Frühwirth als Trainer mit den Königsblauen zuletzt, eben 1958, gelungen war. Nun, diese Herkulesaufgabe zu erfüllen, dies werden künftighin andere versuchen …

Quelle: Redaktion www.oepb.at

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