Beim Wetter kennen wir den Begriff der „gefühlten Temperatur“. In Bezug auf das schönste Stadion Deutschlands sei hier der Begriff des „gefühlten Besitzes“ in den Sprachgebrauch eingebracht. Wir Anhänger des VfL Bochum 1848 sind stolze Besitzer einer geräumigen Immobilie mit hohem Wohlfühlfaktor – jedenfalls wenn man sich von den Ereignissen auf dem Rasen dann und wann ein wenig abkoppeln kann. Was macht diese Immobilie so einzigartig?
Jeder Makler wird bestätigen: Das Wichtigste an einer Immobilie ist immer die Lage! Während andere Fans entbehrungsreiche Reisestrapazen auf sich nehmen müssen, um zu einem sterilen Areal irgendwo vor den Toren der Stadt zu gelangen – wohin man früher die Pestkranken und Aussätzigen verfrachtet hat – liegt unser fußballerisches Zuhause dort, wo es hingehört, mittendrin nämlich. Ja, man hat fast den Eindruck, dass unser ganzes Dorf rund um dieses Stadion gebaut worden ist.
Die Verkehrsanbindung ist vorbildlich. Nur wenige wissen, dass die U-Bahn-Linie 308/318 ursprünglich bis zum Harpener Hellweg weitergebaut werden sollte, man dann aber beschloss, die Rampe zur Sonne, zur Freiheit neben dem Stadion, hochkommen zu lassen. Diesen Anblick wollte man keinem Fahrgast missgönnen. Zum VfL geht es immer nach oben, sagt diese Symbolik außerdem. Kommt die Bahn aus dem Untergrund, geht neben ihr das Stadion auf. Das hat sich einer mal richtig was gedacht.
Ein weiterer Vorteil der Lage unseres Stadions ist die Justizvollzugsanstalt gegenüber. Gästefans, die sich daneben benehmen, können hier gleich verklappt werden und dürfen sich in ihren Zellen die Jubelgesänge beim nächsten Heimsieg anhören.
Immer wieder bemängelt wurde der Zustand der sanitären Anlagen, welche aber für die Frauen-WM runderneuert wurden. Zudem bedaure ich jeden, der sich in einem Fußballstadion über die Qualität der Entsorgungseinrichtungen beklagt. Wenn wir verlangen, dass die Jungs auf dem Rasen sich das Trikot schmutzig machen, sollten wir in der Keramik nicht Zimperlichkeit vorleben.
Oft unterschätzt wird übrigens das Unterhaltungspotential in unserem VIP-Bereich. In Block B bin ich jedenfalls noch nicht auf der Toilette von einem Arzt angesprochen worden, warum der VfL nicht endlich auf alternative Heilmethoden wie Akupunktur und Kräuterwerfen bei Vollmond setzt. Ein Geschäftsmann, der in einer großen Bochumer Firma im mittleren Management tätig ist, äußerte sich nach etwas ausufernden Fanprotesten und den öffentlichen Vorwürfen, da sei Pöbel unterwegs, auch schon mal so: „Wenn die Pöbel sind, dann bin ich auch Pöbel!“ Und wer jemals gesehen hat, wie der Chef der Stadtwerke seinen Sitz aus der Verankerung schraubt und nur mit Mühe davon abgehalten werden kann, ihn in Richtung des Schiedsrichters zu schleudern, wird sich von ihm demnächst gern zu 12 Bier einladen lassen.
Wie sehr so ein Stadion wirklich ein Zuhause ein kann, merke ich persönlich immer dann, wenn bei Sonderveranstaltungen fremde Menschen auf meinem angestammten Platz sitzen. Da muss man bei Konzerten oder Länderspielen auch schon mal darauf hinweisen, dass dieser Platz so zu verlassen ist, wie man ihn vorzufinden wünscht: „Also sitz gerade, wippe nicht hin und her, das tut der Lehne nicht gut, und pass auf, dass deine Schorle (gemeint ist ein „gespritztes“ Getränk) unterm Sitz nicht umkippt. Du bist hier nur Gast!“
Ja, das ist MEIN Stadion. Es mag das Eigentum von jemand anderem sein. Aber es ist in meinem Besitz. Und wenn ich es recht bedenke, ist das eine Gewissheit und nicht nur ein Gefühl.
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