Jeder will heute prominent sein. Wichtigtuer erschleichen sich klangvolle Titel und rittern um einen Eintrag im „Who is Who“ des Allerlei … Dies ist eines von vielen Dingen, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Dabei wimmelt es auch dort von Exemplaren, die es zu etwas „gebracht“ haben – zu einem Namen, zu Ruhm, vielleicht sogar zu literarischer Verewigung. Ihnen ist Dietmar Griesers jüngste Spurensuche gewidmet: der Chow-Chow-Hündin Jofie, die Sigmund Freud als „Ordinationshilfe“ gedient, den Schmetterlingen, denen „Lolita“-Autor Vladimir Nabokov sein Leben lang nachgejagt, den Möpsen, die Loriot zur Kultfigur erhoben, oder den Boxerhunden, denen Bruno Kreisky gehuldigt hat.
Aber auch Persönliches darf in einer Menagerie wie dieser nicht fehlen: Unter dem Stichwort „Maikäfer flieg“ aktiviert Dietmar Grieser seine „tierischen“ Kindheitserinnerungen, und was die Fernsehgewohnheiten des Zweiundachtzigjährigen betrifft, so outet er sich als Fan der „Sendung mit der Maus“. Ein Buch, das eine Fülle von Hintergrundwissen vor dem Leser ausbreitet, das zum Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Tier anregt und das vor allem ungeheuer viel Spaß macht.
Da beschreibt der Autor zum Beispiel Sigmund Freuds Affenliebe zu den „Therapiehunden“. Der Begründer der Psychoanalyse verwöhnte seine Chow-Chows des Morgens mit Milch und Schwarzbrottoast, dazu einem Teelöffel Lebertran, zwei Tropfen Heilbuttöl, sowie Beigaben von Calcium und Phosphat. Abends gab es Kuchen oder Keks.
Zugetragen von einer Leserin, überliefert der Professor h.c. die innige Beziehung zwischen Leo Perutz und dessen vierbeinigem Freund. Der Schriftsteller bot nach schwerer Kriegsverletzung dem ausgemergelten Begleiter seine herausoperierte Rippe zur Stärkung an, der treue Hund wich verstört zurück. Es flossen Tränen.
Katze / Ausführlich legt der Literaturkenner den handschriftlichen Liebesbeweis von E.T.A. Hoffmann vor. Er gilt dem echten Kater Murr. Der Romantiker gab am 30. November 1821 eine Todesanzeige für seinen „geliebten Zögling“ auf: „Wer den verewigten Jüngling kannte, wird meinen tiefen Schmerz gerecht finden und ihn durch Schweigen ehren.“, schrieb der tierisch Vernarrte in Trauer.
Anderes Getier / „Ich wollte mich im vorliegenden Buch nicht nur Hunden und Katzen zuwenden.“, sagt Dackel-Fan Grieser, der zeitlebens (aufgrund ausgeprägter Reisetätigkeit) nur mit Leih-Dackeln unterwegs war, Katzen gingen ihm nie zu: „Ich wollte den Blick auch auf anderes Getier lenken.“
Schwein / Ein derartiges Borstenvieh entdeckte Weltenbummler Grieser im Wiener Stephansdom, linkes Seitenschiff, an der Seite des heiligen Antonius von Ägypten – dem Schutzpatron der Fleischhauer, Viehhüter und Landwirte. Die späteren Ordensbrüder des ersten Mönches hielten bevorzugt Schweine. Tierliebe kann durch den Magen gehen.
Ross / Der Faktensammler zeichnet den spannenden Krimi um Franz Marcs verschollenes Ölgemälde „Der Turm der blauen Pferde“ nach. Das Meisterwerk wurde zunächst als entartet ausgemustert, nach mehreren Zwischenstopps, darunter beim kunstsinnigen Reichsmarschall Hermann Göring, verschwand es 1945 gänzlich von der Bildfläche.
Insekten / Tausendsassa Grieser begeistert sich für die Gottesanbeterinnen des Waldviertler Malers Bernhard Hollemann. An anderer Stelle führt er aus, wie es zur Biene Maja kam: Als der schwermütige Schriftsteller Bernd Isemann die Ameisengeschichte „Nala und Re“ fertig gestellt hatte, bat er seinen Hausgenossen Waldemar Bonsels um ein Urteil. Es fiel vernichtend aus. Und brachte den Vertrauten auf die Idee einer eigenen Bienengeschichte.
Der letzte Teil beschäftigt sich mit literarischen „Urbildern“. Hier trifft man auf E.T.A. Hoffmanns Kater Murr, Leo Tolstojs Pferd, Felix Saltens Bambi, Waldemar Bonsels‘ Biene Maja, Marie Ebner-Eschenbachs Krambambuli, Dr. Dolittles Menagerie und Alan Milnes Bären Pu. Hier gibt es auch eine ganz besonders nette, persönliche Geschichte. Bekanntlich wurden zahlreiche Bücher von Dietmar Grieser in viele Sprachen übersetzt, so auch der „Tiergarten der Weltliteratur“ ins Japanische. Eine Geschichte darin handelt von Friedrich Schillers Ballade „Der Kampf mit dem Drachen“. Ein Kreuzritter besiegt das böse Tier, doch das passt nicht zur japanischen Mythologie. Dort ist es „das hehre Symbol des Herrscherhauses, der Inbegriff von Wohltätigkeit und gottgleich verehrte(r) Glücksbringer.“ Daher musste das Kapitel „dem fernöstlichen Drachenkult geopfert werden, die acht Seiten fielen weg.“
Mit Vergnügen genießt man das Buch und ist schon neugierig auf eine Fortsetzung, … denn, wie ein Sprichwort sagt: „Herrgott´s Tiergarten ist groß!“
Über den Autor:
Prof. Dietmar Grieser wurde 1934 in Hannover / Niedersachsen geboren und lebt seit 1957 in Wien. Der „Literaturdetektiv”, der dem PEN-Club angehört, hat sich mit seinen Bestsellern, welche in mehrere Sprachen übersetzt und etliche davon auch fürs Fernsehen verfilmt wurden, einen Namen gemacht. Zu seinen Auszeichnungen zählen unter anderem der Eichendorff-Literaturpreis, der Donauland-Sachbuchpreis, der Buchpreis der Wiener Wirtschaft, der tschechische Kulturpreis „Artis Bohemiae Amicis“ und das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, sowie das große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.
www.facebook.com/permalink.php?id=110179465675021&story_fbid=1408002075892747
Geliebtes Geschöpf Tiere, die Geschichte machten Von Dietmar Grieser 276 Seiten, gebunden, mit vielen Abbildungen und Fotos ISBN: 978-3-99050-045-3 Direkt zu bestellen bitte h i e r : www.amalthea.at