Am 23. Juli 2023 wäre der deutsche Ausnahme-Schauspieler und grandiose Charakter-Darsteller Götz George 85 Jahre alt. Wäre – denn bereits vor sieben Jahren, am 19. Juni 2016, verstarb der Sohn des deutschen Schauspieler Ehepaares Berta Drews und Heinrich George.
Lesen Sie hier einen oepb-Nachruf aus dem Jahre 2016 auf den Schauspieler, der sich auch in Österreich großer Beliebtheit erfreute;
Wie nur langsam durchsickerte, verstarb der großartige Deutsche Schauspieler Götz George bereits am 19. Juni 2016 knapp 78jährig in Hamburg. Es war der „Letzte Wille“ des Schauspiel-Stars im engsten Kreise seiner Familie beigesetzt zu werden. Diesem Wunsch wurde entsprochen.
In den letzten Jahren wurde es ruhig um Götz George. Der Schauspieler, der auf der Bühne oder aber vor der Kamera stets präsent war und für sein Publikum alles gab, lebte zurückgezogen und gab anhand eines Interviews preis, dass er ohnehin nicht mehr in die heutige Zeit gehöre. Dazu Götz George im Original-Ton: „Ich will mich gar nicht mehr einklinken. Ich bin verdammt noch mal alt, aber ich habe nie versucht, mich anzupassen. Und Handy besitze ich ohnehin keines. Und dadurch bin ich stärker und unabhängiger geworden. Ich habe auch keinen Laptop, vor dem ich sitze. Deswegen wurde mein Hintern auch nicht so breit. Wenn ich durch die Straßen laufe, bei den Fenstern hineinsehe und darin all die Leute am Computer sehe … schrecklich!“
Götz George kam am 23. Juli 1938 in Berlin als zweites Kind von Schauspiel-Ehepaar Berta Drews und Heinrich George (vormals Georg August Friedrich Hermann Schulz) zur Welt. Sein um sieben Jahre älterer Bruder Jan wurde später Fotograf und Dokumentar-Filmer. Der kleine Götz, der den Vornamen in Anlehnung an die Paraderolle des Vaters „Der Götz von Berlichingen“ erhielt, eiferte stets seinem „Alten“ nach und wollte wie dieser ein berühmter Schauspieler werden.
Bloß der Vater war nie da. Beide Söhne wuchsen bei der Mutter auf, der Vater drehte pausenlos und schauspielerte irgendwo. Berta Drews, die ihresgleichen selbst eine großartige Schauspiel-Künstlerin war, opferte quasi ihre noch junge Karriere für die Familie und die beiden Söhne. Götz sollte Jahrzehnte später einmal in einem Interview erzählen, dass er seiner Mutter unendlich dankbar sei, dass sie damals ihre noch so junge Laufbahn aufgab, um sich voll und ganz Jan und ihm widmen zu können.
Berta Drews über ihren Gatten Heinrich George: „Die Krönung seines Lebens sollte der König Lear werden. Diese gewaltigste aller Väterrollen will er zu seinem 50. Geburtstag am 9. Oktober 1943 spielen. Alles geht gut voran. Ich sollte eine der schlimmen Töchter sein. Da heulen in einer warmen Septembernacht die Sirenen. Diesmal schrillt das Telefon unmittelbar nach dem Einflug: Brandbomben im Schiller-Theater! Der Traum von König Lear liegt unter den Trümmern begraben.“
Der Zweite Weltkrieg war vorüber, Deutschland und die Reichshauptstadt Berlin lag in Schutt und in Asche. Heinrich George wurde von der Sowjet-Armee festgenommen, und wieder entlassen, um erneut festgenommen zu werden. Man warf ihm vor, mit der NSDAP-Propaganda-Maschinerie kooperiert zu haben. Im genauen Wortlaut hieß es: „Der Häftling sei einer der angesehensten faschistischen Künstler, der durch seine profaschistischen Agitationen in Rundfunk und Zeitung zur Fortsetzung des Krieges beitrug.“ Es gelang Heinrich George nicht, diese Anschuldigungen zu entkräften. Im Gegenteil, er schien sehr bald mit sich und der Welt fertig zu sein. Gattin Berta Drews berichtete später ihren Söhnen: ihr Vater solle gesagt haben, dass man ihn erschießen solle. Sie können ihm alles nehmen, ihn hungern lassen und ihn demütigen. Sollten sie ihm aber verbieten, weiter zu spielen, dann sterbe er.
Das schmucke Haus und traute Heim der Familie George im Stadtteil Zehlendorf am Wannsee in Berlin wurde beschlagnahmt. Amerikanische Offiziere bezogen dort Stellung. Die junge Mutter mit den beiden Söhnen stand auf der Straße. Durch Geschick und Glück gelang es ihr, in eine zugige Zwei-Zimmer-Wohnung in der Hohenzollernstraße 22 zu ziehen. Am 9. August 1945 schrieb sie ihrem Gatten: „Mein lieber Mann, – eben habe ich den Kohl aufs Feuer gesetzt und nun will ich versuchen zu schreiben! – So sieht mein Leben jetzt aus: 2 Zimmer, keine Hilfe und viele quälende Gedanken. Das Leben ist jämmerlich arm und prosaisch.“
Hilfe von ihrem Gatten gab es keine mehr. Dieser wurde in das sowjetische Speziallager Nr. 7 nach Sachsenhausen überstellt. Selbst dort hatte er vor den Wachmannschaften und den Inhaftierten weiter dem Schauspiel gefrönt, ehe er krank wurde, massiv an Gewichtsverlust litt und bei weitem nicht mehr den massiven Mann darstellte, als der er bekannt und berühmt geworden war. Der große und stattliche Heinrich George verstarb am 25. September 1946 abgemagert und ausgemergelt in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.
Die Witwe samt den beiden Kindern war nun noch mehr auf sich allein gestellt. „Vater steht immer hinter Euch!“ – so appellierte sie an die Buben Jan und Götz, als die wieder einmal, wie so oft, ihren irdischen Vater vermissten.
Und unter dem großen Vorbild „Heinrich George“ startete nun Götz George seine Schauspiel-Laufbahn. Bereits als 12jähriger stand er 1950 auf einer Berliner Theaterbühne, sein Debüt beim Film erfolgte 1953. Bei Else Bongers im UFA-Nachwuchsstudio absolvierte er in Windeseile seine Schauspielausbildung und schloss sich ab 1959 dem Deutschen Theater von Heinz Hilpert in Göttingen an. Er spielte sowohl in Unterhaltungsfilmen, als auch in anspruchsvollen Literaturverfilmungen. 1959, nur 21jährig, erhielt er für die Rolle als törichter Boxer in „Jacqueline“ den Bundesfilmpreis. Später folgten einige „körperbetone Cowboy“-Rollen in Karl May-Verfilmungen. Götz George – der im übrigen seine Stunts stets selbst darstellte und dabei auf die Dienste eines filmischen Doppelgängers verzichtete – war universell einsetzbar: einmal ein romantischer Held, dann auch wieder ein harter Hund und Draufgänger. Und als eben solcher sollte er später, mit 43 Jahren, seinen absoluten Durchbruch erzielen.
Als rauer und stets am schmalen Grat zwischen Zucht, Ordnung, aber auch Gesetzesbruch lustwandelnder Ruhrpott-Bulle „Horst Schimanski“ erlebte er ab 1981 seinen Schauspiel-Höhepunkt für die „tatort“-Verfilmungen beim WDR. „Duisburg Ruhrort“ hieß sein erster Fall, die Ausstrahlung erfolgte am 28. Juni 1981. Das deutsche Fernsehen und damit auch die ARD erschuf eine Figur, die abseits der bisherigen Ermittler-Methoden lag. Der Kumpel mit dem grauen Parker, der später als Makrenzeichen zur sprichwörtlichen „Schimanski-Jacke“ avancieren sollte, fühlte sich am Parkett der türkischen Gastarbeiter, der Rocker, der Stahlarbeiter und der „einfachen Leute“ um einiges wohler, als am glatten Eis der Obrigkeit.
Man erzählt sich heute noch im Ruhrgebiet, dass Götz George nach Abschluss der Dreharbeiten zu einem neuen Schimanski-Fall zu den Stahlarbeitern ging um mit ihnen zu plaudern und auch in die Streikkasse einzahlte. Im Fall „Der Pott“ aus dem Jahre 1989 wurde genau diese Thematik der streikenden Thyssen-Arbeiter in Duisburg verfilmt. Apropos Ruhrgebiet: die Figur Horst Schimanski verkörperte die Bewohner des „Reviers“ wie kein Zweiter. Ehrlich, treu, die Vorfahren aus Polen eingewandert, und eben auch ein bisserl einfach gestrickt – so verhalf Götz George den Bewohnern von Duisburg bis weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus zu Bekannt- und Beliebtheit. Und noch eine Phalanx durchbrach er mit Bravour – er fluchte in seiner Rolle wie ein Bierkutscher. Das Wort „Sch….“ kam in seinen Fällen sehr oft vor und wurde von ihm im Deutschsprachen Fernseh-Raum damit salonfähig gesprochen. Was heutzutage in Film und Fernsehen gang und gäbe ist, war damals, in den 1980er Jahren ungeeignet, verpönt und nicht erwünscht.
Seine Schimanski-Popularität war Mitte der 1980er Jahre dermaßen ausgeprägt, dass die Rolle auch für das Kino verfilmt wurde. „Zahn und Zahn“ 1985 war so ein Streifen, ebenso ZABOU im Jahre 1987.
1991, in „Der Fall Schimanski“ stand ihm das Wasser bis zum Hals und er kämpfte wie ein Löwe bis zum Schluss um seine Reputation. Götz George hatte von der Rolle des Horst Schimanski genug und quittierte den Dienst. „Wenn dich die Leute auf der Straße mit dem Filmrollen-Namen ansprechen, weil sie deinen echten gar nicht mehr kenn, dann ist es Zeit, Schluss zu machen!, so lautete sein Credo. Anhand der „Bonnie Tyler“-Klänge „Against the Wind“ konnte er noch einmal sein ganzes Ruhrpott-Bullen-Repertoire ausleben. Er segelte mit einem Drachenflieger über Duisburg, winkte unten auf der Stadt-Autobahn seinen Rocker-Kumpels zu und fluchte wie kein Zweiter, als ihm die Schlote der Duisburger Schwerindustrie den Rauch in die Nase bliesen.
Ein paar Jahre später kehrte er zurück. (Bitte beachten Sie auch dazu diese DVD-Box) 1997 wurde Götz George rückfällig und verkörperte wieder die Rolle des Horst Schimanski. Doch diesmal nicht in der von ihm ungeliebten Rolle als „Sesselfurz“ im Duisburger Polizei-Präsidium, sondern als abgehalfterter Polizist, der mit einem alten, rostigen Schiff aus Belgien kommend den Rhein und die Ruhr entlang schipperte. Und so nebenbei quasi inkognito der Duisburger Polizei zur Hand ging, auch, wenn er das eigentlich gar nicht wollte.
Es ist allerdings auch unfair, Götz George einzig und allein auf die Rolle des Horst Schimanski zu manifestieren. Zu groß war sein schauspielerisches Talent, welches er von seinen beiden Eltern vererbt bekam. Götz George brillierte bereits in den 1970er Jahren als KZ-Lagerkommandant Franz Lang. Später in der Rolle des Massenmörders Fritz Haarmann in „Der Totmacher“ zog er sein Publikum ebenso in den Bann, wie im Film „Nichts als die Wahrheit“, als er den berüchtigen KZ-Auschwitz-Arzt Josef Mengele verkörperte.
Es folgten natürlich auch lustige Rollen wie in „Rossini“ oder „Schtonk“. Auch im Dreiteiler „Das Schwein – eine deutsche Karriere“ brillierte er als Stefan Stolze, der ohne Rücksicht auf Verluste unaufhaltsam seinen Weg ging und es so zu Ruhm und Anerkennung brachte.
Wie bereits erwähnt, war Götz George schier überall einsetzbar und er lebte seine Rollen mit jeder Faser seines Körpers. Er blieb allerdings auch, wie er einmal selbst über sich sagen sollte, stets ein Getriebener. Jemand, der nach väterlicher Anerkennung lechzte, der Tadel, aber auch Lob des „Über-Vaters“ suchte, beides aber nie bekam. Nun, auch wenn dies ausgeblieben ist, so hat Götz George unzählige Rollen, Filme und von ihm herrlich verkörperte Charaktere hinterlassen, die ihn im Deutschsprachigen Kino und Fernsehen unvergessen machen. Er konnte seinem Vater sehr wohl die Hand reichen, auch, wenn er selbst dies zu Lebzeiten wohl nie geglaubt hätte.