Die Ausstellung „Graffiti & Bananas. Die Kunst der Straße“ im NORDICO Stadtmuseum Linz dokumentiert erstmals die Entwicklung von Graffiti und Street Art in der Stahlstadt an der Donau. Fotos und Berichte, sowie zeitgenössische Kunstwerke belegen eine urbane Bewegung, die mit ihrer bildhaften Sprache das gesellschaftspolitische Klima an den Wänden der Stadt spiegelt.
Ist das Kunst, oder kann das weg? Graffiti und Street Art polarisieren. Schmiererei und Sachbeschädigung für die einen, Mehrwert oder sogar Kunst für die Stadt und ihre BewohnerInnen für die anderen. Als US-amerikanische Subkultur in den 1960ern entstanden, hat Graffiti heute weltweit den urbanen Raum längst erobert. Seit den 1980er-Jahren hat sich auch in Linz eine Szene entwickelt, die spätestens mit der Gründung des Mural Harbor salonfähig und für Tourismus und Wirtschaft attraktiv geworden ist.
„Der Mural Harbor, als größtes Outdoor-Museum mit StreetArt-Kunst im Hafen von Linz, ist mittlerweile zu einem künstlerischen Markenzeichen geworden und zählt zu den Top10 der touristischen Sehenswürdigkeiten unserer Stadt. Dass hier großes Potential vorhanden ist beweist auch die Graffiti-Ausstellung im NORDICO Stadtmuseum Linz, die erstmals eine Zusammenschau der Szene an einem Ort ermöglicht. Es geht um die Auseinandersetzung mit dieser neuen Kunstform des 21. Jhd., die es jetzt nun nicht nur in viele Museen geschafft hat, sondern auch im öffentlichen Raum immer wieder polarisiert.“, ist Kulturreferentin Doris Lang-Mayerhofer überzeugt.
Von gesprühten Unterschriften, politischen Botschaften, Schablonen-Bildern, Pickerln auf Mistkübeln bis hin zu farbenprächtig gemalten Großformaten ziehen sich Zeichen gegen das Establishment durch die Linzer Stadtlandschaft. Unautorisierte Kunst nimmt die Stadt ein und spielt einmal mehr mit der Frage, wem der öffentliche Raum gehört. Fremdbestimmung, Erlaubniskultur und Selbstermächtigung als Teil unserer gesellschaftlichen Struktur gewinnen in diesem Zusammenhang vor allem seit den pandemischen Ausmaßen von Covid-19 an verstärkter Bedeutung. „Wenn man mich offenen Augen durch die Stadt geht, ist das wie eine Entdeckungsreise – eine Stadt in der Stadt. Subversiv, widersprüchlich, charmant, rotzfrech, systemkritisch, politisch.“ so Kuratorin Klaudia Kreslehner.
Kreslehner hat über ein Jahr lang für die Ausstellung im NORDICO recherchiert und eine umfassende Dokumentation der Linzer Street-Art-Szene zusammengetragen. Insgesamt sind über 1.000 Fotografien in der Präsentation zu sehen, etliche weitere werden in digitaler Form vorgestellt. 20 Murals von 17 Graffiti-KünstlerInnen mit Linz-Bezug darunter ASK, B, CHINAGIRL TILE, HOECK&COVEN, ILLUNIS, KAMI, LOL, MAMUT&KRYOT, MARS, ONETWO CREW, OONA VALARIE, HELGA SCHAGER, SHED, SHUE77, SKERO, VIDEO.SCKRE und WALZE, die im Laufe des Sommers am Vorplatz des Stadtmuseums auf gelben Schalungsplatten entstanden sind, holen die Kunst der Straße direkt ins Museum. „Das NORDICO geht in dieser Ausstellung erneut zentralen Fragestellungen nach: Wem gehört die Stadt? Wessen Bedürfnisse sind im urbanen Raum zu erfüllen? In Form einer kulturhistorischen Erzählung holt die Ausstellung ‚Graffiti & Bananas‘ das lebendige, zeitgenössische Linz ins Museum herein, gleichzeitig gehen wir aber auch mit Exkursionen hinaus und erkunden die Stadt.“, erklärt NORDICO Leiterin Andrea Bina.
Graffiti – Eine Jugendkultur erreicht Linz
Graffiti – ein Begriff, den viele mit Gangs, Codes, Schmierereien und Sachbeschädigung, aber auch mit großen, farbenprächtigen und kunstvollen Murals in Verbindung bringen. Das Bedürfnis sich auf öffentlichen Plätzen zu verewigen ist so alt wie die Menschheit selbst.
Im biedermeierlichen Österreich, erlangte ein K&K Hofbeamter Bekanntheit, indem er auf seinen Wanderungen durch das Kaiserreich seinen Namen in großen Buchstaben hinterließ: KYSELAK. Joseph Kyselak (1798 –1831) gilt als einer der Vorläufer der Graffiti-Kultur und als der erste Tagger der Welt. Sogar durch Linz ist Kyselak gekommen – wie eine Grafik der NORDICO-Sammlung veranschaulicht.
Zu jenem Zeitpunkt, als in den USA schon die ersten kunstvolleren Styles erprobt waren, steckte Graffiti in Europa noch in den Kinderschuhen und war kaum verbreitet. Langsam schwappte die Jugendkultur über. Das erste legale Graffiti am Bunker beim Andreas-Hofer-Platz, entstanden 1990, war unter anderem der Startschuss, um überhaupt urbane Wände zum Bemalen freizugeben. Erste Versuche in diese Richtung gab es bereits in den späten 1980er-Jahren seitens der Szene. Als eine der ersten malerisch mit Spray gestalteten Flächen gilt in Linz ein Gebäude unweit des ehemaligen Frachtenbahnhofs: Für viele Zugreisende der Strecke Wien–Linz war und ist der „Bananenbunker“ der Firma Mathy das unverkennbare Zeichen dafür, dass man die Stadtgrenze von Linz erreicht hat. Die Gestaltung wurde in den 1990er-Jahren vom Fassadenmaler Karl Niedermayr durchgeführt. Eine andere beauftragte Fassaden-Werbung aus dem Jahr 1986 vom Haarhaus Riegler in der Klammstraße hat damals als lasziv empfundenes Sujet polarisiert und wird heute eher beiläufig wahrgenommen: Brigitte Bardot lächelt nach wie vor Richtung Waldeggstraße.
Die beauftragten Wandgestaltungen durch Graffiti erleben aktuell einen Boom, vielerorts entstehen neue bunte Fassaden, auch Firmen springen auf und nutzen die urbane Gestaltung, um sich zeitgenössisch zu positionieren. Als erster Berufs-Sprayer Österreichs gilt übrigens der Linzer Graffiti-Künstler Harry Pfau aka MARS.
Zwischen Legal und Illegal
In Österreich gibt es heute rund 80 legale Flächen für Graffiti. Auf Oberösterreich entfallen dabei zehn Plätze – acht davon befinden sich im Stadtgebiet von Linz. Für den Zeitraum der Ausstellung werden zusätzlich vom NORDICO Stadtmuseum neun Plakatwände im Linzer Stadtraum zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt. Legal Walls sind für alle da, vom Anfänger bis zum versierten Maler. Innerhalb der Szene gilt prinzipiell die Regel, das älteste Piece zuerst zu übermalen, damit die neueren ein wenig länger zu sehen sind. Trotzdem merkt man auch hier eine Rangordnung und manchmal auch Platzhirschgehabe: Die Masterpieces bleiben meist deutlich länger unangetastet. Eine legal für Graffiti zur Verfügung gestellte Fläche wird öfter auch Hall of Fame genannt. Dieser Begriff entspricht einer Übungswand aber nur bedingt, denn eigentlich deutet die Bezeichnung Hall of Fame auf einen Platz mit besonders aufwändigen und gelungenen Pieces hin. Auf der Seite www.spraycity.at sind alle österreichischen Legal Walls genau verortet und beschrieben.
Zentrale Plätze und Denkmäler sind eine gern genutzte aber zumeist illegale Bühne für Botschaften. Unter dem Deckmantel der Anonymität findet Kommunikation statt. Der Empfänger ist die Öffentlichkeit, alle können sich angesprochen fühlen – oder wegschauen. So erfahren Wände, einzelne Statuen oder der Skulpturenpark, forum metall, an der Donaulände, eine sich stetig wandelnde Gestaltung. Auch weniger bekannte Ereignisse erhalten an gut frequentierten Plätzen ihre Aufmerksamkeit. Kritik an lokaler und internationaler Politik wird laut. Jüngst fielen Solidaritätsbekundungen für die türkische Band Grup Yorum auf, die in ihrer Heimat politisch verfolgt wird und von der zwei Bandmitglieder im Frühjahr 2020 in Folge eines Hungerstreiks in Haft verstorben sind. Protest findet Raum, in Linz wie in anderen Städten auch. Sexistische, rassistische, nationalsozialistische, pädophile, homophobe und gewaltverherrlichende Parolen neben dem Ruf nach Gerechtigkeit, Geschlechtergleichstellung, Fairness, Feminismus, Freiheit, Frieden, Klimarettung und Liebe. Das Bild, das sich auf den Wänden der Stadt abzeichnet, ist vielfältig.
Häufig zu Wort im Linzer Stadtraum melden sich Fußballfans mit Schriftzügen die ihren Verein repräsentieren. Besonders aktiv ist derzeit die Unterstützerkultur des Linzer Athletik Sport Klubs: „ASK“ in meist groß gehaltenen, oft weiß gefüllten Buchstaben findet man im gesamten Stadtgebiet. In Konkurrenz dazu steht der Stahlstadtklub FC Blau Weiß Linz, ehemals SK VÖEST Linz, mit seinem Kürzel „SKV“ oder etwa dem Schriftzug „Linzer Pyromanen“.
Die Graffiti-Kunst und die ihre Vorläufer geht in Linz bei näherer Betrachtung bis in die 1970er Jahre zurück. Aus Anlass des bevorstehenden Linzer Stadtderbys zwischen dem LASK und dem SK VÖEST im August 1979 kraxelten in der Nacht vor dem Spiel Anhänger des VÖEST-Fanklubs „Blue Army 1977“ in die Gugl und malten die Tore mit blauer Farbe an. „Blau-Weiß“ waren somit beide Gestänge am Tag darauf. Ebenso wurde am Rasen der Schriftzug „HIER REGIERT DER SKV“ angebracht. Eilig wurde von der Stadionverwaltung Farbe herbeigekarrt, damit die Tore zum Spielbeginn wieder in strahlendem weiß „erblühten“ und auch der Schriftzug wurde weggewaschen.
Einige Jahre später, 1985, war plötzlich im Umkreis des Stadions und auch an vielen Orten in Linz immer wieder „S.04“ zu lesen. Die „Linzer Szene“, Anhänger des SK VÖEST mit Hooligan-Orientierung, hegten eine enge Freundschaft zur „Gelsen-Szene“ des FC Schalke 04. Und auch „Joe Fuchs“, war immer wieder und fast überall zu lesen, der ebenso der Linzer Szene zugehörig war. Überhaupt waren die Anhänger des SK VÖEST Vorreiter in Sachen „Schmierereien“, egal ob das nun die Fanklubs „DIE MACHT“ oder auch „Die Löwen ´81“ waren. Allerorts konnte man die Schriftzüge dieser Fans und auch die damit einhergehenden Liebesbeweise zur Fußballmannschaft des SK VÖEST Linz lesen. LASK-Schriftzüge gab es kaum. Heute hat sich das Bild verändert und auch in Linz erkennt man bereits weit vor den Toren der Stadt, wer nun glaubt, in der Stahlstadt das Sagen zu haben. Ähnlich verhält es sich in Wien. Dort regiert „Grün-Weiß“ von RAPID und jene violetten Schriftzüge der Wiener Austria gehen in der breiten Masse der „UR“-Kürzel geradezu unter.
Nichtsdestotrotz war diese „Kunst“ lange Zeit verboten und verpönt. Dies hat sich nun im Laufe der Zeit verändert. Man bietet den Künstlern bildnerische Plattformen und ein Mikrophon.
Die Gestaltung von Zügen gilt in der Szene als besonderer Nervenkitzel. Die Waggons sind meistens aber nur kurz auf den Gleisen zu sehen, da die Bahnbetreiber äußerst bemüht sind die Züge möglichst schnell wieder zu reinigen. Ganz anders übrigens in Deutschland, wo ganze S-Bahn-Garnituren „verschönert“ wurden und man den „Kampf“ Sprayer versus Establishment eher als Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen betrachtet.
Die Ausstellung widmet unautorisierten Interventionen einen ganzen Raum: Dank anonymer Zusendungen in Form von Fotos, Videos und sogar Original-Schablonen werden bemerkenswerte Sprayaktionen dokumentiert.
Die Stadt als Bühne
Die Stadt als urbanen Kunst- und Kulturort für Street Art öffnen, der Kunst der Straße ihren Raum geben: In Österreich, vor allem in Wien, gibt es seit einigen Jahren diverse Ausstellungen und Street Art Festivals, die Wände im öffentlichen Raum bespielen und in Institutionen Kunstwerke aus dem Umfeld der Street Art präsentieren. Nationale und internationale KünstlerInnen werden eingeladen, auf dafür zur Verfügung gestellten Flächen ihre Murals anzubringen. Die künstlerische Bandbreite ist vielfältig und rangiert von klassischem Style Writing über Post-Graffiti und von Graffitiinspirierten Wandmalereien bis hin zu Installationen. Nicht zuletzt durch positiv besetzte Kommunikation und ihre Legalität wird diese Form von Graffiti auch im öffentlichen Raum vermehrt als urbane Kunst wahrgenommen, als Mehrwert und Verschönerung. Dies geht soweit, dass Mural Art mittlerweile zur Stadtteilaufwertung und zur Gentrifizierung beiträgt.
An die Wand und um die Säule
Im Erdgeschoss wird ein Raum für Austausch geschaffen. Hier findet sich nicht nur die Bibliothek der Schule des Ungehorsams zum Schmökern, sondern auch die Möglichkeit selbst Hand anzulegen und das „Häkel-Graffiti“ zu erweitern oder sich mit seiner eigenen Meinung zu verewigen.
Rahmenprogramm
Die Ausstellung wird von einem vielfältigen Rahmenprogramm begleitet. Verschiedene Workshops bieten die Gelegenheit selbst die Dose in die Hand zu nehmen und von der Stencil-Technik bis zum Sound Tossing verschiedene Spielarten der der Street Art kennenzulernen. Exkursionen in den Stadtraum wie die Public Restroom Tour bieten die Gelegenheit, Linz von einer neuen Perspektive kennenzulernen.
Booklet
Zur Ausstellung erscheint ein Booklet mit weiterführenden Texten von Andrea Bina, Klaudia Kreslehner, Ursula Hofbar, Ilaria Hoppe, Iver Ohm, Karin Schneider und Chinagirl Tile, in deutscher Sprache zum Thema, sowie einer Fotostrecke von Graffiti in Linz um € 4,00.
Was: GRAFFITI & BANANAS – Die Kunst der Straße
Wann: seit 4. September 2020, bis 21. März 2021
Wo: NORDICO Stadtmuseum Linz, Dametzstraße 23, 4020 Linz
Quelle: oepb
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