Nach der Lockdown-bedingten Schließung des Museums öffnet das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) ab Sonntag, 12. Dezember 2021 wieder seine Türen. Gleichzeitig mit dem Wiederaufsperren startet auch die neueste Ausstellung des Hauses. Seit seiner Eröffnung 2018 bieten viele Menschen dem hdgö Objekte an, die einen Bezug zum Nationalsozialismus haben. Die neue Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ zeigt anhand von 14 Schenkungen, welche wichtigen Botschaften diese Dinge in der Gegenwart vermitteln können. Gleichzeitig erhebt das Museum in einem interaktiven Teil, welchen Umgang mit NS-Relikten die BesucherInnen für angemessen erachten. Die Ausstellung ist bis 9. Oktober 2022 in der Neuen Burg zu sehen.
Was tun mit den Überbleibseln des Nationalsozialismus? Gehören sie in ein Museum? Sollten sie entsorgt werden? Ist es vertretbar, sie am Flohmarkt oder im Internet zu verkaufen? Was ist Erinnerung, was Verklärung und was gar Wiederbetätigung? Diese Fragen greift die neue Ausstellung im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) auf. Das Museum gibt einerseits anhand von 14 ausgewählte Objekten Einblicke in seine wachsende Sammlung und legt offen, anhand welcher Kriterien über mögliche Schenkungen entschieden wird. Andererseits werden BesucherInnen um ihre Meinung gebeten: An „Entscheidungstischen“ stimmen sie darüber ab, wie sie selbst mit einem NS-Objekt in ihrem Besitz umgehen würden.
„Sobald NS-Relikte auf der Bildfläche auftauchen, macht sich in der Regel Ratlosigkeit breit. Wohin damit? Sie sind unliebsam wie jene NS-Vergangenheit, über die Österreich lange Zeit geschwiegen hat. Die materiellen Überreste dieser toxischen Ideologie wollen heute viele nicht mehr bei sich zu Hause haben. Deshalb öffnen wir bewusst die ‚Giftschränke‘ und diskutieren, wie ein angemessener Umgang mit NS-Objekten aussehen kann. Sie senden schließlich auch in der Gegenwart wichtige Botschaften über die Vergangenheit. Das ist mir gerade in Zeiten, in denen Verschwörungstheorien wieder Aufwind haben, besonders wichtig“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer.
Vom Überbleibsel zum Museumsobjekt
14 Objekte, die „vom Keller ins Museum“ gewandert sind, wurden für die Ausstellung ausgewählt. Dazu gehören etwa die Bronze-Köpfe, die Adolf Hitler darstellen und erst 2017 bei Sanierungsarbeiten im Keller des Parlaments entdeckt wurden, ein Zelt der Wehrmacht, in dem später Kinder spielten oder auch ein Mikrofon, das Adolf Hitler angeblich für seine „Anschluss“-Rede in Linz verwendete und das lange im ORF-Landesstudio Oberösterreich aufbewahrt wurde.
„Viele Objekte, die wir in dieser Ausstellung zeigen, wirken auf den ersten Blick fast harmlos. Heute erlauben sie uns aber zu zeigen, wie NS-Propaganda bereitwillig verbreitet wurde und extreme Gewalt den Alltag durchdringen konnte. Wie Menschen später und heute mit solchen Objekten umgehen, entscheidet, ob ihre ideologischen Botschaften weiterwirken – oder aber herausgefordert werden. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass die Diskussion entscheidend ist, nicht die Objekte allein“, sagt Kurator Stefan Benedik.
Die gezeigten Objekte sind Schenkungen, die nach eingehender Diskussion in die Sammlung des hdgö aufgenommen wurden. Das Museum stellt in der Ausstellung auch transparent dar, wie solche Entscheidungen getroffen werden: Denn nur ausgewählte Objekte, die etwa für Ausstellungen oder Forschung und auch für zukünftige Generationen einen Mehrwert bieten, erhalten einen Platz in der Sammlung des jungen Museums. Geprüft werden neben Kriterien wie Herkunft, Verwendung, Aufbewahrung vor allem inhaltliche Aspekte – also welche Geschichten anhand der Objekte erzählt werden können und ob sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus beitragen. „Wir sammeln solche zeitgeschichtlichen Gegenstände auch auf Grund ihres Potenzials, in der Gegenwart demokratisches Bewusstsein zu vermitteln“, so Direktorin Sommer.
Aufbewahren, verkaufen, zerstören
In den meisten Fällen ist es in Österreich verboten, Gegenstände mit NS-Symbolen zu zeigen. In der Öffentlichkeit sind sie daher selten sichtbar. Am ehesten sind sie in Museen zu finden – oder in den Medien. Wer danach sucht, kann aber einen relativ offenen Onlinehandel entdecken. Auch auf Flohmärkten oder in Antiquariaten bieten HändlerInnen Gegenstände an, meist jedoch verdeckt. Privat besitzen viele Menschen Dinge, die sie zufällig oder aus Interesse übernommen haben – oder die in Bezug zu ihrer Familiengeschichte stehen. Manche Menschen wollen diese Objekte loswerden, andere sammeln sie gezielt. Auch Institutionen oder Unternehmen sind immer wieder mit NS-Gegenständen konfrontiert, die mit ihrer eigenen Geschichte zu tun haben.
In drei Stationen zeigt das Vermittlungsteam des Museums Beispiele dafür, wie Menschen heute mit NS-Objekten umgehen. Was ist angemessen, was fragwürdig? Was ist verboten, wo liegen Graubereiche? Was bewegt Menschen dazu, Dinge aufzubewahren, zu verkaufen oder zu zerstören? Und was würden BesucherInnen tun? Damit greift die Ausstellung Fragen auf, mit denen die ExpertInnen der Sammlung des hdgö oft konfrontiert werden, wie Kuratorin Laura Langeder berichtet: „Viele SchenkerInnen erzählen, dass sie im ersten Moment überfordert sind, wenn sie auf solche Objekte stoßen. Über 75 Jahre nach Kriegsende ist es jedenfalls höchste Zeit, sich damit zu beschäftigen, ob und wie uns diese Dinge in die Zukunft begleiten.“
Wer solche Objekte besitzen und sammeln darf und wo die Grenze zwischen Dokumentation und fragwürdiger Faszination für die NS-Ideologie verläuft, wird selten tatsächlich diskutiert. „Wir verhandeln hier ein offenes gesellschaftliches Thema. Generelle Handlungsempfehlungen sind schwierig, man muss tatsächlich jeden Fall einzeln bewerten. Auch professionell-historisch arbeitende Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken oder Archive stoßen hier teilweise an Grenzen“, so Monika Sommer. „Umso wichtiger finde ich, diese Diskussion anzustoßen. Das sehe ich auch als eine wichtige Aufgabe unseres Hauses, der wir mit dieser Ausstellung aktiv nachkommen.“
Vier Objektbeispiele aus der Ausstellung
Führerkult aus dem Keller des Parlaments: Bronze-Köpfe als Darstellung Adolf Hitlers, Metallguss von Hermann Joachim Pagels
Die aus Bronze gegossenen Köpfe wurden von Bildhauer Hermann Joachim Pagels gefertigt, der für seine Büsten von NS-Persönlichkeiten bekannt war. Bei Sanierungsarbeiten 2017 wurden sie in den Kellern des Parlaments gefunden, gemeinsam mit einem Relief und vier Ölgemälden in einem verschlossenen Panzerschrank – dort, wo sich zuletzt der Müllraum befand. Wer sie wann und warum dort gelagert hat, ist unbekannt. Dass die Bronze-Köpfe nach 1945 im Parlament – eines der zentralen Gebäude der Demokratie – unentdeckt blieben, ist ein Symbol für die späte Aufarbeitung der NS-Herrschaft. In der Folge entstand eine öffentliche Diskussion darüber, ob die Objekte erhalten werden sollen.
Jahrzehntelang aufgrund eines Moments weitergegeben: Mikrofon 4017-A von Standard Electric, aus den Beständen der RAVAG, vermutlich 1938 von Adolf Hitler verwendet
Adolf Hitler hielt am 12. März 1938 auf dem Hauptplatz der Stadt Linz seine erste Rede zum „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland. Dabei wurde ein Mikrofon verwendet, das bis heute erhalten geblieben ist. Angestellte der technischen Abteilung des regionalen Radiostudios gaben diese Erzählung gemeinsam mit dem Mikrofon über Jahrzehnte weiter. Es befand sich bis 1990 auf dem Schreibtisch des jeweiligen technischen Leiters im nunmehrigen ORF-Landesstudio. 1990 nahm es der damalige Besitzer bei seiner Pensionierung als Antiquität und Andenken an seine berufliche Tätigkeit mit nach Hause.
Propaganda als Kinderspielzeug: Spendenabzeichen des Winterhilfswerks, 1933–43, in den 1990er-Jahren sortiert
Mit lieblichen Figuren und kleinen Bildern ist die NS-Propaganda bis heute in vielen Haushalten präsent. Ursprünglich verteilt wurden sie bei Spenden an das sogenannte Winterhilfswerk (WHW). Auch lange nach dem Ende der NS-Herrschaft wurden solche Gegenstände als Spielzeug oder beispielsweise als Christbaumschmuck verwendet. Nach wie vor handeln SammlerInnen sie als beliebte Flohmarktobjekte – teils trotz ihrer NS-Geschichte, teils gerade deswegen.
Wiederaneignung nach dem Exil: Tischlampe aus einem Kastenfuß, um 1940/um 1960
Die Lampe wurde aus dem Fuß eines Kastens hergestellt, der in einem Müttererholungsheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) in St. Gilgen am Wolfgangsee in Verwendung war. Das Heim war in zwei Villen untergebracht, die ursprünglich der Familie Herz-Kestranek gehört hatten. Die NS-Behörden verfolgten Mitglieder der Familie als jüdisch und raubten deren Eigentum. Jahre nach der Rückgabe der Häuser verwertete die nächste Generation die schweren Kästen. Gemeinsam mit den Kindern bastelte sie aus den Füßen der Kästen mehrere Lampen. Als 1970 die Häuser als Frühstückspension für Gäste öffneten, blieben die Lampen Teil der Ausstattung.
Über die Ausstellung
„Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ ist ab 12. Dezember 2021 bis 9. Oktober 2022 im Haus der Geschichte Österreich in der Neuen Burg zu sehen. KuratorInnen sind Stefan Benedik, Laura Langeder und Monika Sommer. Die Öffnungszeiten und Hinweise für einen sicheren Besuch des Museums sind tagesaktuell unter www.hdgoe.at/zeiten-preise abrufbar.
Weitere Informationen zur Ausstellung;
Quelle: Haus der Geschichte Österreich / HdGÖ – Foto: © Lorenz Paulus
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Das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ)
Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik und organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek angebunden. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das HdGÖ in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung. Viele Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.