Blick auf den einstigen Greißler Hartl, der im kompletten Erdgeschoß dieses Hauses am Linzer Froschberg sein tägliches Lebensmittelgeschäft als sprichwörtlicher „Nahversorger am Eck“ betrieb. Foto: © oepb

LINZ / Donau, Sommer 1945: Die oberösterreichische Landeshauptstadt lag nach 22 Luftangriffen durch die Alliierten mit teilweise verheerenden Folgen in Schutt und in Trümmern. Die Russen und die Amerikaner machten Linz zur Geteilten Stadt“, wobei die Nibelungenbrücke über den Donaustrom Niemandsland war. In Linz „herüben“ residierten die „Amis“ und in Urfahr „drüben“ die Sowjet-Russen. Der Zweite Weltkrieg war beendet und die Bevölkerung hatte nichts. So blühte eben auch der „Schleich“, wie man beispielsweise in Wien den Schwarzmarkt bezeichnete. Tauschen, Betteln, Hamstern – all das prägte das tägliche Bild der Linzer Stadt. Die Menschen besaßen wenig und tauschten, einfach nur, um über die Runden zu kommen und zu überleben.

Von Bekleidung, Alkohol, Zigaretten, Schmuck, Holz, bis hin zu Essbarem wie Eiern, Butter, Brot, Speck und dergleichen wechselte munter unter der Hand den Besitzer. Die Strafen für den Schleichhandel, die das Überwachungsamt bei Erwischen verhängte, waren jedoch drakonisch. Gefürchtet waren auch die Koffer-Kontrollen am Linzer Hauptbahnhof nach der Rückkehr von sogenannten „Hamster-Fahrten“ aufs Land. Erst 1949 war die Bedeutung des Schwarzmarktes derart abgeebbt, sodass das Überwachungsamt aufgelöst wurde.

Zuletzt befand sich in der ehemaligen Greißlerei Hartl eine Bankfiliale, die jedoch vor einiger Zeit wieder aufgelassen wurde. Foto: © oepb

Am Weg zur Konsumgesellschaft

Die Inflation und der Kaufkraftverlust hatten den privaten Konsum jahrelang auf einem niedrigen Niveau gehalten. Erst ab den beginnenden 1950er Jahren und der gleichzeitigen Wieder-Eröffnung namhafter Kaufhäuser, die teilweise bereits vor dem Krieg existiert hatten, setzte hier ein Umkehrschwung ein. Neben einiger „Großer“, wie beispielsweise das erstmals 1909 und nach dem Krieg 1949 wieder eröffnete Kaufhaus Kraus & Schober am Linzer Hauptplatz 27das Kaufhaus der Großeinkaufsgesellschaft österreichischer Consumvereine / kurz GÖC, das 1956 gegründete KA-DE-ELstand für Kaufhaus der Linzer auf der Wiener Reichsstraße 51 – 1963 kam das Passage Kaufhaus / Ein Haus der Gerngross-Gruppe auf der Landstraße hinzu und das Donau-Kaufhaus, machten sich auch einige kleinere Feinkostläden, Greißlereien und Lebensmittelgeschäfte daran, mit ihren Waren für den täglichen Bedarf die Bevölkerung im näheren Umkreis zu versorgen. Diese Greißler sprießten sprichwörtlich wie die Schwammerln aus dem Boden und jeder Stadtteil verfügte über zahlreiche solcher kleiner Einkaufsläden.

Auch der langjährige (von 1976 bis 1990) Bundesliga-Fußballer des SK VÖEST Linz, Helmut Wartinger, betrieb mit seinem Bruder Otmar im oberösterreichischen Marchtrenk ein Obst- und Gemüsegeschäft. Foto: © oepb

Feinkost Hartl

So gab es auch am Linzer Froschberg ein ähnlich gelagertes Geschäft namens Greißlerei & Feinkost Hartl mit dem Sitz in der Johann Sebastian-Bach-Straße / Ecke Georg Friedrich Händel-Straße. Die Straßennamen am Froschberg in Linz erinnern nicht nur an große und namhafte Musikschaffende längst vergangener Zeiten, der Stadtteil diente seit jeher den Eisenbahnern. Die Mitarbeiter der ÖBB bewohnten dort kleine EBS-Wohnungen oder sogar Reihenhäuser. Mit dem Bau des Linzer Stadions auf der Gugl und der feierlichen Eröffnung im Juni 1952 war freilich die Idylle – zumindest an den Wochenenden, wenn Fußballspiele im Stadion stattfanden – ein wenig dahin, dennoch behielt sich jener Teil von Linz ein gewisses Vorstadt-Flair – bis in die heutige Zeit. Um die zahlreichen Bewohner im näheren Umkreis zu versorgen, dafür sorgte viele Jahre – um nicht zu sagen Jahrzehnte – die Greißlerei Hartl. Das Geschäft bot am Vorplatz gerade einmal Platz für zwei PKWs. Das war aber auch nicht weiter tragisch, denn die meisten Konsumenten und Endverbraucher kamen ohnehin zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Auch die tägliche Mittagspause zwischen 12 und 15 Uhr störte nicht weiter, da das Geschäft ohnehin täglich ab 06.30 Uhr seine Pforten geöffnet hatte.

Beim Betreten des Ladens bimmelte oberhalb der Eingangstür eine kleine Glocke. Rechts gelangte man, ausgestattet mit einem kleinen Gitter-Korb oder Einkaufswagen, vorbei an den Gütern wie Brot, Gebäck, Backwaren und anderes zur Nahrungsaufnahme direkt zur Fleisch- und Wurstbank. Dort agierten nette Verkäuferinnen in blütenweißen Arbeitsmänteln, die neben der Wurstsemmel für die Schule auch schon einmal den Damen mit Rat und Tat zur Seite standen, wenn man nicht genau wusste, mit welchem passenden Fleisch man am Wochenende die Familie verwöhnen sollte. Nach der 180-Grad-Drehung samt Einkaufswagerl ging es zurück, man hielt sich allerdings rechts, denn ein kleiner Gang führte in Richtung Waschmittel, Baby-Utensilien, Toilettenartikel und ähnlichem. Genau vis-á-vis der Wurstbank lag das Obst- und Gemüse-Regal. Dort lächelten die herrlichsten Früchte, der jeweiligen Jahreszeit angepasst versteht sich, und harrten der Konsumentin und dem Endverbraucher. Abtransportiert wurde das Obst und Gemüse übrigens in braunen Papiersackerln, denn die Plastikverpackung steckte damals wahrlich noch in den Kinderschuhen.

Über diese heute unscheinbare Stiege schnitt man in früheren Jahren den Weg in Richtung Eingang ab, wenn man aus der anderen Richtung kam. Foto: © oepb

Am Weg wieder zurück, nach einem Rundlauf gegen den Uhrzeigersinn im gesamten Geschäft, parkte man an der einzigen Kasse lässig ein. Dort führte Frau Hartl, die viele Preise auswendig im Kopf hatte, das Regiment, wenngleich dies nun nicht negativ gemeint sein soll. Man kannte sich, wusste quasi von jedem Kunden alles und gab auch schon einmal wertvolle Tipps, sollte irgendwo der Schuh gedrückt haben. Frau Hartl – ob das Ehepaar selbst Kinder hatte, vermag man hier nicht mehr zu sagen – war überaus kinderlieb. Neben der Nachfrage, wie es denn in der Schule laufen würde, gab es bei jedem Besuch und nach jedem Einkauf ein kleines „Milka-Naps“ oder einen Schlecker für die jungen Kunden von morgen direkt von der Chefin zugesteckt.

Ihn, Herrn Hartl, sah man selten. Falls aber doch, dann sauste er in einen blauen Arbeitsmantel gewickelt aus einem dunklen schmalen Gang kommend heraus direkt in das Geschäft. Am Ende dieses Gangs lag sein Büro. Dort war den Kunden normalerweise der Zutritt verwehrt. Ab und an jedoch durfte man sehr wohl in seinem Büro Platz nehmen und als Kind war es ein Hochinteressantes gewesen, dort zu lauschen, was denn da von den Erwachsenen besprochen wurde.

Das Dienstfahrzeug des Unternehmer-Paares Hartl. Foto: privat

Nun, Herr Hartl machte Hauszustellungen. Bereits damals schon. In den 1970er Jahren. Er übernahm die zu treuen Händen übergebene Bestellung eines Haushaltes und führte die Abarbeitung des Einkaufszettels gewissenhaft durch. Gerade für ältere oder gebrechliche Konsumenten war dies ein echter „Dienst am Kunden“ gewesen. Oder aber auch für Leute und Familien, die über keinen fahrbaren Untersatz verfügten. Dies war gerade dann sehr vorteilhaft, wenn sich die Familie an den Feiertagen aus allen Himmelsrichtungen zusammenfand und auch Besuch aus dem Ausland erwartet wurde. Es war für den Klein-Unternehmer Hartl geradezu Verpflichtung und Selbstverständlichkeit, seinen grünen OPEL-Rekord-Kombi mit all den bestellten Köstlichkeiten seines Geschäftes zu beladen und diese Bestellung rechtzeitig und ohne vergessene Ware zuzustellen. Und wenn die Familie auch noch Kinder besaß, hatte er immer in seiner Manteltasche kleine Gutserln für die jungen Kunden parat, stets mit dem Ausspruch auf den Lippen, Grüße von seiner Gattin auszurichten und dass man doch in der Schule anständig lernen sollte.

Wenn heute ein riesengroßer österreichischer Konzern deutscher Provenienz mit den 5 gelben Buchstaben auf rotem Grund nachhaltig dafür wirbt, österreichweit eine Hauszustellung anzubieten, dann kann man dem erwidern, dass der heute kaum mehr bekannte und längst nicht mehr existente Feinkosthändler Hartl aus Linz-Froschberg dies bereits vor 50 Jahren getan hatte. In kleinerem Rahmen zwar, aber nichtsdestotrotz emsig, rasch und zuverlässig.

Am anderen Ende der Händel-Straße in Linz befand sich das sogenannte Eck-Geschäft, ebenso ein Greißlerei-Betrieb. Der Eingang war mittig, rechts befand sich die Fleisch-Abteilung, links konnte man den “Rest für den täglichen Bedarf” käuflich erwerben. Das kleine Mäuerl vor dem Haus erinnert noch an die 1970er Jahre, der Rest ist neu, privat und unscheinbar geworden. Foto: © oepb

Mitte der 1980er Jahre ging das Unternehmer-Paar Hartl in Pension. Was aus ihnen geworden ist, vermag man hier nicht mehr festzustellen. Für die Kunden jedoch stets da gewesen zu sein und auch schon einmal ein bisserl mehr getan zu haben als nötig, das zeichnete diese Wirtschaftstreibenden aus. Gemeinsam baute diese Generation Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf. Es lief niemand davon oder flüchtete gar in ein anderes „gelobtes Land, in dem glaublich Milch und Honig fließt. Mit Willenskraft und Stärke ging man her und erstand förmlich wieder aus Ruinen. Ein wertvoller Umstand der Kriegsgeneration, der leider mehr und mehr in Vergessenheit gerät.

Quelle: Redaktion www.oepb.at

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