Nach einem Themenschwerpunkt zum „Urlaub in Österreich“ im ungewöhnlichen Sommer 2020 erweitert das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) das Blickfeld und eröffnet die neue Web-Ausstellung „Österreich anderswo“.
In seiner erneuerten Hauptausstellung beschäftigt sich das hdgö in einem eigenen Bereich mit den Vorstellungen davon, was „typisch österreichisch“ ist. Hier konnten Interessierte zuletzt auch digitale Bilder beitragen, die zeigen, wie das Land ausschaut, wenn alle „daheim“ Urlaub machen – und was das überhaupt bedeutet. Eine Web-Ausstellung, die heute unter eröffnet ist, erweitert dieses Thema nun um Facetten jenseits der Landesgrenzen: Mit „Österreich anderswo“ wirft das hdgö Schlaglichter auf Ereignisse und Orte auf der ganzen Welt, die mit der Geschichte Österreichs seit 1918 in Beziehung stehen.
Bekannte und weniger bekannte Episoden laden Interessierte ein, auf Entdeckungsreise zu gehen. Was hat Österreich mit Präsident Trumps Strandhaus zu tun? Warum gibt es eine Tiroler Molkerei in Brasilien? Wo in Asien war Österreich-Ungarn bis 1919 eine Kolonialmacht? Und was hat Saudi-Arabien mit den österreichischen Semesterferien zu tun? „In „Österreich anderswo“ lassen wir Geschichte und Geschichten mit Österreich-Bezug rund um den Globus lebendig werden, und kehren auch immer wieder ins Land selbst zurück.“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer. „Die Geschichte jedes Landes ist eng verknüpft mit internationalen und globalen Entwicklungen. Nicht erst heute ist die Welt davon geprägt, dass wirtschaftliche, wissenschaftliche und soziale Netzwerke die ganze Welt umspannen. Mit kleinen Episoden wollen wir in unserer neuen Web-Ausstellung sichtbar machen, wie wichtig die Frage ist, aus welcher Perspektive man auf Geschichte blickt.“ Als Museum des 21. Jahrhunderts beschränkt sich das hdgö nicht nur auf einen österreichischen Standpunkt, sondern stellt die Frage nach Zusammenhängen und greift auch Phänomene auf, die bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen haben oder sogar übersehen wurden.
Österreich in der Welt – und die Welt in Österreich
Geschichten von Menschen aus Österreich finden sich auf dem ganzen Planeten und österreichische Geschichte spiegelt sich in Ereignissen auf allen Kontinenten – durch künstlerische oder wissenschaftliche Erfolge genauso wie durch Skandale und Verbrechen, deren Schauplatz sich nicht auf einen Ort diesseits oder jenseits von Grenzen festlegen lässt. Einblicke dazu gibt eine interaktive Sammlung von Geschichten, Bildern und Videos zu Orten und Ereignissen. Eine der Pionierinnen der Psychiatrie konnte beispielsweise erst durch die Emigration 1935 in Shanghai ein Krankenhaus nach ihren Vorstellungen verwirklichen. Bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts war Österreich vor allem ein Auswanderungsland – und zwar nicht nur, weil in der NS-Herrschaft die geistige und künstlerische Elite des Landes vertrieben wurde. Teils war der Wunsch danach, das Österreich der jungen Zweiten Republik hinter sich lassen zu können, so groß, dass Menschen sogar ihre eigenen Boote bauten – in der Hoffnung, damit auch ohne ein Schiffsticket nach Australien gelangen zu können.
„Wir erzählen aber nicht allein von den vielen Menschen aus Österreich, die in die Welt hinausgingen. Wir fragen auch nach, ob sich Österreich im Kalten Krieg tatsächlich neutral verhielt und was vom Klischee des Treffpunkts der Diplomatie zwischen Ost und West zu halten ist.“, sagt Stefan Benedik, Kurator des hdgö und für die Webausstellung verantwortlich. Die Positionierung als internationaler diplomatischer Knotenpunkt galt nach dem Staatsvertrag als Sicherheitsfaktor für das kleine, neutrale Land, das zwischen verfeindeten Atommächten lag. Nach dem Beitritt zu den Vereinten Nationen 1955 ließ sich schon zwei Jahre später die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien nieder, gefolgt von der UNIDO 1967. 1979 wurde schließlich das Vienna International Centre, bekannt als UNO-City, in Wien eröffnet. Gegen seine Erweiterung um ein Konferenzzentrum regte sich starker Widerstand. Bis heute hält das Volksbegehren dagegen den Stimmenrekord – das Konferenzzentrum wurde dennoch gebaut.
„Trotz dieser Rolle als Schauplatz internationaler Diplomatie ging Österreich immer wieder Konflikte ein – etwa durch das Öffnen der Grenzen für Flüchtlinge oder die Weitergabe von Medieninformationen. Dass sich in den Nachbarstaaten oder an der Grenze Weltgeschichte ereignete, wurde erst durch das Engagement österreichischer JournalistInnen sichtbar. Dass etwa der ORF 1968 Fernsehbilder von der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings aufzeichnete und in die ganze Welt verbreitete, stellte die Sowjetunion vor der Weltöffentlichkeit bloß. Dadurch sind einzigartige Kameraaufnahmen bekannt geworden und die Verletzung der Menschenrechte war dokumentiert, was aber auch als Bruch der Neutralität kritisiert wurde.“, so Stefan Benedik.
Bewegte Geschichte
Die Web-Ausstellung spannt den zeitlichen Bogen von der Gründung der Ersten Republik bis ins Heute. Von Sibirien 1918 bis zu Island 2020 werden prominente wie unbekannte Orte und Personen zum Mosaik eines unerwarteten Österreich-Bildes. Ein Beispiel: Als die VÖEST 1980 in Sierra Leona ein Bergwerk von der ehemaligen britischen Kolonialmacht übernahm, begannen etliche ÖsterreicherInnen dort zu arbeiten, aber auch zu leben. Einer von ihnen wurde Mitglied eines örtlichen Fußballklubs, der in der ersten Liga des Staates spielte. Seinem treuesten Fan schenkte er eine Jacke seines Vereins in der Steiermark (siehe Titelbild).
Direktorin Monika Sommer: „Mit Geschichten wie dieser lassen wir Geschichte lebendig werden. Als dynamisches Museum aktualisieren wir unsere Hauptausstellung immer wieder, wie zuletzt erst im Sommer. Auch mit dieser Web-Ausstellung bieten wir die einzigartige Möglichkeit, sie mitzugestalten – und gemeinsam Zeitgeschichte zu bewegen.“
BesucherInnen lädt das hdgö dazu ein, Hinweise auf ähnliche Geschichten an das hdgö weiterzugeben. Dadurch wächst die Ausstellung ständig weiter.
Quelle: Haus der Geschichte Österreich (hdgö)
Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das hdgö in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung. Viele interessante Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert.
Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.
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