Portrait Helmut Senekowitsch, Trainer des SK VÖEST Linz, Saison 1973/74. Foto: oepb
Portrait Helmut Senekowitsch, Trainer des SK VÖEST Linz, Saison 1973/74. Foto: oepb

Die Österreichische Fußballnationalmannschaft steht – einmal mehr in ihrer 113jährigen Geschichte – mit leeren Händen da. Jenes Glück – und gewiss auch Können – welches die Marcel Koller-Truppe noch in der Qualifikation zur Fußball-Europameisterschaft 2016 (28 Punkte aus 10 Spielen erzielt) für Frankreich hatte, ist mit dem Beginn der EURO 2016 (1 Punkt aus 3 Spielen, wobei das 0 : 0-Unentschieden immerhin gegen den späteren Europameister Portugal gelang) komplett verflogen. Seit 5. September 2017 muss man neidlos anerkennen, dass nach Russland 2018 zur Fußball-Weltmeisterschaft – wieder einmal – andere Nationen reisen, nur eben leider nicht Österreich.

Einer, der vor über 40 Jahren das Amt von einem damals ebenso glücklosen Vorgänger-Teamchef übernahm, war 1976 der Grazer Helmut „Seki“ Senekowitsch. Er beerbte den müde gewordenen Pressburger Leopold Stastny (Erfinder der „Schülerliga“), der nach 7 Jahren und 49 Länderspielen am 30. September 1975 seinen Hut nahm und den Generalstab feierlich weiterreichte. Branko Elsner coachte das Team noch für zwei Spiele, ehe am 1. März 1976 Helmut Senekowitsch beim ÖFB den Posten eines Teamchefs unterschrieb. Am 3. April 1976 vergeigte Admira/Wacker am Wiener Sportclub-Platz mit 1 : 5 gegen den späteren Bundesliga-Meister 1975/76 FK Austria Wien die letzte Bundesliga-Begegnung von Trainer „Seki“, ehe Helmut Senekowitsch sein Trainer-Ränzlein in der Südstadt schnürte, um zum ÖFB in die Mariahilferstraße 99 zu wechseln. Der Rest ist Geschichte und war Erfolg – aus Sicht der ÖFB-Auswahl. Am 6. April verlor das ÖFB-Team zwar sang- und klanglos ein Freundschaftsspiel beim MSV Duisburg im Wedaustadion mit 1 : 3, von da an sollte es jedoch mit Rot-Weiß-Rot sukzessive aufwärts gehen. Aber dazu später.

Der „Gscherte“ im Team

„Es glich damals einer wahren Sensation, dass ein sogenannter „Gscherter“ aus Graz überhaupt ins Nationalteam einberufen wurde.“, so Helmut Senekowitsch Jahrzehnte später anhand eines oepb-Interviews betreffend seiner beginnenden Team-Laufbahn als aktiver Fußballer. „Ich war für den SK Sturm Graz als Stürmer aktiv und natürlich hoch erfreut, als mich der damalige Bundestrainer Josef „Pepi“ Argauer für ein Länderspiel einberief. Es war am 25. September 1957 ein WM-Qualifikationsspiel in Amsterdam, wir spielten gegen Holland 1 : 1.“, so Senekowitsch in seiner Erinnerung. Was folgte waren in den Jahren 1957 bis 1968 18 A-Länderspiele für Österreich, darunter die WM-Teilnahme in Schweden 1958 mit dem Nationalteam.

Österreichs lange Durststrecke

Wer damals – 1958 – in Österreich dachte, dass eine neuerliche WM-Teilnahme 20 Jahren dauern würde, den hätte man wohl ausgelacht. Nach Schweden 1958 stieg 4 Jahre später, 1962 in Chile, die nächste WM-Endrunde. Der Österreichische Fußballbund gab dafür gar keine Nennung ab. Eine wirtschaftliche Notlage war der Grund dafür. Sämtliche „Bitt- und Bettelbriefe“ des ÖFB an die heimische Wirtschaft blieben unerhört, die Kassen des ÖFB waren leer, eine kostspielige Reise nach Südamerika war für den ÖFB finanziell nicht tragbar. „Später konnte ich den ÖFB verstehen, als Aktiver natürlich nicht. Wir hatten damals in der sogenannten „Decker-Ära“, die als zweites „Wunderteam“ unter Teamchef Karl Decker in den frühen 1960er Jahren galt, eine Bomben-Mannschaft. Sämtliche „Große“ wurden von uns geschlagen. Spanien, England, Schottland, Italien, UdSSR (Russland) und auch die großen Ungarn konnten wir zweimal biegen, einmal davon sogar in Budapest. Das war insofern toll, weil uns damals, 1961, wieder einmal ein Sieg beim „Erzfeind“ nach knapp 30 Jahren gelang. Und die Zuschauer honorierten unsere Leistungen. Die 90.000 Besucher im Wiener Stadion pro Heimspiel bei einem Ländermatch wurden einige Male erreicht.“, so Helmut Senekowitsch.

Der „Zauberer“ aus Graz verfolgte konsequent seinen Weg

„Als ich im April 1976 den Teamchef-Posten antrat, wollte ich nur eines: Österreich muss in zwei Jahren bei der Fußball-WM in Argentinien dabei sein. Zwar nicht um jeden Preis, aber auf jeden Fall. Mit ÖFB-Präsident Bautenminister Karl Sekanina hatte ich einen steten Befürworter für dieses Unterfangen, gemeinsam wollten wir nur den Erfolg für Österreich!“, so Helmut Senekowitsch in seinen Erinnerungen schwelgend. Und dennoch war es für ihn, den selbst ernannten „Gscherten“ in Wien, nicht immer leicht. Einige Journalisten, als echte Wiener bekannt, ließen kein gutes Haar an dem Steirer. Und als ihm dann auch noch eines schönen Tages Max Merkel unvorhergesehenerweise als Sport-Direktor vor den Nase gesetzt wurde, hatte der „Seki“ beinahe schon genug und wollte alles hinschmeißen. Die Loyalität seiner Teamspieler ihm als Trainer gegenüber ließen ihn jedoch weiter arbeiten und was folgte war der berühmte „Spitz“.

In der Hölle von Izmir

Österreich bestritt die letzte Qualifikations-Partie am 30. Oktober 1977 in Izmir und die ganze Türkei, so hatte es den Anschein, war im Atatürk-Stadion versammelt. Aus allen Landesteilen der Türkei waren sie herbeigeeilt und veranstalteten von Einpeitschern aufgeheizt einen Höllenkrach. Noch nie zuvor hatte die Türkei dort – in Izmir – ein Länderspiel verloren. Aber auch zahlreiche Österreicher waren anwesend. Die Luftbrücke von Chartermaschinen aus Österreich florierte und an die 10.000 rot-weiß-rote Schlachtenbummler waren an den Golf von Izmir gejettet. Über 70.000 Türken allerdings veranstalteten einen Riesenlärm. „Türky-e … Türky-e … Türky-e …“ so hallte es immer wieder durchs bummvolle Rund. Der Lärmpegel im Stadion stieg ins unermessliche. Als dann auch noch Österreich nicht in den vereinbarten roten Leibchen und weißen Hosen antreten durfte – die Türkei spielte nämlich in jener Farb-Kombination – schien der Psychoterror perfekt zu sein, denn in Windeseile wurden weiße Altay Izmir Leibchen mit schwarzen Hosen organisiert. Der türkische Halbmond auf den Dressen wurde von Zeugwart Helmut Legenstein freilich in Windeseile zuvor noch abgetrennt. Als jedoch der schottische Referee John Robertson Gordon die Partie um 14.35 Uhr Ortszeit anpfiff, waren die heißblütigen Türken müde und heiser vom stundenlangen Herumschreien geworden. Das Spiel selbst glich einem nervösen Abtasten auf beiden Seiten. Bis in der 70. Minute drei Österreicher unsterblich wurden:

"Aufgegeben wird ein Brief, aber kein Fußballspiel.", oder "Wir sind stark und zeigen denen wo der Bartl den Most herholt!" Mit derartigen Leitsätzen motivierte Helmut Senekowitsch seine Spieler. Und an der Linie gab er für sein Team auch stets alles, wie hier 1974/75 im Linzer Stadion. Foto: Erwin H. Aglas / oepb
„Aufgegeben wird ein Brief, aber kein Fußballspiel.“, oder „Wir sind stark
und zeigen denen wo der Bartl den Most herholt!“ Mit derartigen Leitsätzen
motivierte Helmut Senekowitsch seine Spieler. Und an der Linie gab er für
sein Team auch stets alles, wie hier 1974/75 im Linzer Stadion. Foto: Erwin
H. Aglas / oepb

Einerseits Hans Krankl, der auf der linken Seite energisch, nachdem er einige Türkei verladen hatte, den Zug zum Tor suchte, andererseits Willi Kreuz, der für den Abstauber vor dem Tor parat gestanden wäre und last but not least Herbert „Schneckerl“ Prohaska, der den flach aufgelegten Krankl-Pass mit seiner rechten Fußspitze schnörkellos in die Maschen bugsierte. Was folgte war Stille und aufbrausender Jubel – zeitgleich. Die Österreicher waren aus dem Häuschen und die Türken zu Tode betrübt. Helmut Senekowitsch später über dieses Spiel: „Die letzten Minuten auf der Betreuerbank – so muss wohl Warten auf den Tod sein.“ Als es dann endlich vorbei und amtlich war, dass Österreich als Sieger der WM-Europagruppe 3 nach Argentinien reisen wird, brachen in Izmir alle Dämme. Die Spieler warfen ihre „türkischen“ Dressen in die rot-weiß-rote Schlachtenbummler Menge und „Seki“ Senekowitsch, der seine Schuhe einem türkischen Fotografen vermachte, wurde von den Ersatzspieler Werner Kriess und Hans Pirkner „geschultert“. Jubel, Trubel, Heiterkeit war damals Trumph, am 30.Oktober 1977. Als das Nationalteam dann am nächsten Tag in Wien-Schwechat um 08.15 Uhr landete, waren zahlreiche Fußballfans anwesend, die das Team freudig erwarteten. Der heute allseits bekannte, beliebte und immer wieder gerne intonierte Schlachtruf „Immer wieder, immer wieder, immer wieder ÖSTERREICH!“ gelangte damals, am 31. Oktober 1977 in Wien-Schwechat zu seiner Welt-Premiere.

Nach 20 Jahren bei einer WM, nach 47 Jahren ein Sieg über die BRD

Die Mannschaft war gut. Sie war eine Mischung aus Routine und Jugend. Die Saat, ausgesät von Leopold Stastny, erntete Helmut Senekowitsch. Niemand setzte auch nur einen Schilling auf dieses Team, das dann sogar die Gruppe III vor Brasilien, Spanien (2 : 1, siehe bitte das zweite Video) und Schweden gewann. WUDLE, vom FK Austria Wien Fanklub Atzgersdorf in Südamerika als einer der wenigen österreichischen Schlachtenbummler vor Ort, musste sich von seiner Mutter Geld schicken lassen, seine Finanzen waren nämlich nur für die Vorrunde geplant. Die Ernüchterung kam dann in der Zwischenrunde. Letzter der Gruppe A. 1 : 5 gegen Ernst Happels Holländer, 0 : 1 gegen Italien, jedoch auch das heute immer wieder gerne hervorgekramte 3 : 2 gegen die Bundesrepublik Deutschland – nach 1931 wurde Deutschland wieder einmal geschlagen und das nicht genug, der regierende Weltmeister trat mit Österreich gemeinsam vorzeitig die Heimreise aus Argentinien an. Übrigens – hätte Österreich damals gegen Italien Unentschieden gespielt, wäre das kleine Finale, also Spiel um Platz 3 passiert. Zählt jedoch alles nichts – und dennoch, Helmut Senekowitsch als Bundeskapitän kehrte mit seinem ÖFB-Team erhobenen Hauptes als 7. dieser Fußball-Weltmeisterschaft 1978 wieder nach Wien zurück.

Der Traum war wahr geworden

„Schon die Berufung zum Teamchef ist das Höchste gewesen. Es war nicht mein Ziel, es war mein Traum. Und als einer der jüngsten Teamchefs aller Zeiten gab es dann diese Fußball-Weltmeisterschaft als meinen absoluten Höhepunkt!“ – so Helmut Senekowitsch anhand eines oepb-Interviews in den 1990er Jahren.

Die VÖEST war eine Macht in den 1970ern

Fünf Jahre zuvor, 1973, war Helmut Senekowitsch Trainer in Linz geworden. Aber nicht beim LASK, sondern beim SK VÖEST Linz. „Ich hatte damals ein sehr gutes Gespräch mit VÖEST-Obmann Johann Rinner, einem gebürtigen Weizer. Wir Steirer mussten doch zusammenhalten. Rinner wollte, dass ich in Linz als Trainer unterschreibe. Wir einigten uns und es folgten zwei tolle Jahre bei VÖEST mit einer gewonnen Meisterschaft 1974, sowie einem Vize-Meistertitel 1975. Der Abschied aus Linz tat zwar weh, aber ich hielt das immer so – wenn ich spürte, dass es zu Ende geht, dann ging ich.“, so Helmut Senekowitsch. Admira/Wacker hieß die nächste Trainer-Stadion, wobei Linz nach Stationen in Graz beim GAK, sowie zahlreichen Auslands-Engagements in Deutschland, Spanien und Griechenland ihn 1991/92 wieder sah. Diesmal stieg „Seki“ mit dem LASK in die Bundesliga auf. Sein letzter großer Erfolg als Trainer gelang ihm 1996/97 mit dem First Vienna FC, als er den ältesten österreichischen Fußballverein bis ins ÖFB-Cupfinale führen konnte. Dort gab es ein 1 : 2 gegen seinen Heimatverein SK Sturm Graz.

Freude über den Cordoba-Wimpel

Alle waren sie zu seinem 70. Geburtstag erschienen, seine Schäfchen der 1978er-Mannschaft, die ihm in Argentinien und ganz Österreich zu Hause doch so eine große Freude bereitet hatten. Gefeiert wurde im VIP-Klub des Ernst Happel-Stadions, am 19. Oktober 2003. Und siehe da, der verschwundene Cordoba-Wimpel vom 3 : 2-Erfolg gegen die Bundesrepublik Deutschland war wieder aufgetaucht. 25 Jahre war dieser verschollen gewesen. Des Rätsels Lösung: Team-Kapitän Robert Sara überreichte knapp vor dem Deutschland-Spiel Ersatz-Torhüter Erwin Fuchsbichler das gute Stück und dieser hütete den Spielwimpel als wahren Schatz wie seinen Augapfel. 25 Jahre lang. Selbst den jahrelangen Bestaunungs-Aushang in der Sportplatzkantine des SK St. Magdalena zu Linz-Urfahr, die der „Fuchsi“ betrieb, überstand das gute Stück. Bis sich der Kreis eben schloss und der Wimpel als Geburtstagsgeschenk an den Erfolgscoach Helmut Senekowitsch zu dessen runden Geburtstag zurückkehrte. Wie sehr er selbst mit dieser Fussball-Weltmeisterschaft verwurzelt war, bewies er bis zuletzt anhand seines Kfz-Wunsch-Kennzeichens: WU-WM 78.

Als ÖFB-Teamchef am 21. September 1976 vor Österreich gg. Schweiz (3 : 1) in Linz. Von links: Helmut Senekowitsch, Werner Kriess, Willi Kreuz, Josef Stering, Gerhard Fleischmann sowie Rudolf Horvath. Foto: oepb
Als ÖFB-Teamchef am 21. September 1976 vor Österreich gg. Schweiz (3 : 1) in Linz. Von links: Helmut Senekowitsch, Werner Kriess, Willi Kreuz, Josef Stering, Gerhard Fleischmann sowie Rudolf Horvath. Foto: oepb

Kampf gegen den Krebs

Helmut Senekowitsch verbrachte eine harte Kindheit in der Steiermark, er wurde erzogen zu Bescheidenheit und Sparsamkeit. „Meine Kinder sollen es einmal besser haben als ich.“, so lautete sein stetes Credo. Umso tragischer war es, dass er, der nie geraucht, oder mit seiner Gesundheit anderweitig Schindluder getrieben hatte, der einstige Paradesportler, der bis ins Alter asketisch Gebliebene dennoch von einer heimtückischen Krebs-Krankheit heimgesucht wurde. Bis zuletzt war er aktiv. Am Fußballplatz bei seiner geliebten Vienna als Zuschauer, als Kiebitz beim Training der Nationalmannschaft, die damals von Josef Hickersberger – seinem Ex-Schüler – betreut wurde, als Pensionistenbundessport-Referent, als Präsident des Bundes Österreichsicher Fußball-Lehrer und so weiter. Er, der einstige Fußball-Weltenbummler war auch noch im 74. Lebensjahr aktiv und stets unterwegs. Immer für den Dienst der Sache, für die er eben gerade eintrat. Am 9. September 2007 – demnach vor 10 Jahren – verstarb Helmut Senekowitsch knapp 74-jährig in Klosterneuburg.

Die Welt dreht sich weiter

In Österreich ist man gerne dazu angetan, die Vergangenheit zu glorifizieren. Ein Umstand, der hierzulande nicht ausstirbt. Doch das Beste kommt zum Schluss. Damals, als das Nationalteam noch aus Wienern und „Gscherten“ – eben Nominierte aus den Bundesländern – bestand, damals, als man als Zuschauer wirklich noch den Eindruck hatte, dass die am Rasen sich das Herz für Österreich förmlich herauszureißen imstande sind – damals gab es natürlich auch ähnlich gelagerte Ball-Zauberer und Ball-Verliebte wie heute – bloß mit dem einen Unterschied versehen: Einen Fußballer, der permanent nur der Galerie gefallen möchte, für den Tor-Abschluss aber nie die nötige Zeit und auch Muse aufbringt, der sich dann auch noch hinstellt, kaum der Deutschen Sprache mächtig ist und rotzfreche Interviews mit eines abgestochenen Kalbes gleich verdrehten Kuller-Augen gibt, einen solchen “Weltmeister und Badkicker“ und dessen Gefolge hätte ein Teamchef „Seki“, ein „Aschyl“ (Ernst Happel), oder ein „Schneckerl“ (Herbert Prohaska) und Konsorten bei Zeiten schon in die Wüste geschickt …

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