Sujet „Hinter der Fassade“. Qulle: © KiJA OÖ / Christoph Frey

Ohne Gewalt zu leben ist ein Menschenrecht! Dennoch erleben viel zu viele Kinder und Jugendliche Gewalt zuhause in ihren Familien. Gewalt hinterlässt lebenslange Narben, zerstört oft das Vertrauen in sich selbst und in die Beziehung zu anderen Menschen, Gewalt macht krank. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor jeglichen Formen von Gewalt muss daher in unserer Gesellschaft oberste Priorität haben.

In Kooperation haben das Gewaltschutzzentrum OÖ und die Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes daher das Präventionsprojekt „Hinter der Fassade“ ins Leben gerufen: Ein umfangreiches Online-Informationsangebot, drei interaktive Geschichten von Betroffenen und ein darauf abgestimmtes pädagogisches Workshop-Konzept bieten Information und Hilfe für junge Menschen ab 14 Jahren. Gleichzeitig soll Pädagog*innen damit ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, um mit Jugendlichen „Häusliche Gewalt” zu thematisieren, über Kinderrechte und Hilfsangebote zu informieren und dazu beizutragen, Jugendliche „stark” zu machen.

Entstehungsgeschichte des Projekts

Die Wanderausstellung „Hinter der Fassade“ wurde 2005 in Zusammenarbeit der Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen Österreichs mit der Künstlerin Mag.a Ursula Kolar-Hofstätter konzipiert und erstellt. Die Ausstellung war ab April 2006 als Wohnung aufgebaut, durch die Erwachsene und Jugendliche (mit pädagogischer Begleitung) gehen konnten, um sich mit dem Thema häusliche Gewalt zu beschäftigen. Ein zentraler Aspekt waren bei dieser Ausstellung die Audio- bzw. Videosequenzen, in denen von Gewalt betroffene Frauen von ihren Erfahrungen berichteten. Im Jahr 2016 wurde die Ausstellung, nachdem sie erfolgreich in ganz Österreich zu sehen war, beendet.

Das Gewaltschutzzentrum OÖ berät Personen, die von häuslicher Gewalt bzw. Gewalt im sozialen Nahraum betroffen sind. Ziel des Projekts „Hinter der Fassade“ ist es, Jugendliche für das Thema häusliche Gewalt zu sensibilisieren und Möglichkeiten zum Ausstieg aus Gewaltbeziehungen aufzuzeigen. Die unterschiedlichen Formen von Gewalt und vor allem auch die Unterschiede zwischen Gewalt und Streit werden erklärt. Mit Hilfe des pädagogischen Materials sollen die Jugendlichen angeregt werden, über die in den Betroffenen-Geschichten dargestellten Gewalterfahrungen zu reflektieren und zu diskutieren. Aber auch für persönlich Erlebtes und Miterlebtes gibt es Raum. Ebenso ist die präventive Arbeit, also das Verhindern von „Häuslicher Gewalt“ und Gewalt im Allgemeinen, ein Kernziel dieses Projektes.

„Dem Gewaltschutzzentrum OÖ ist es wichtig, dass auch weiterhin Jugendliche für das Thema häusliche Gewalt sensibilisiert werden. Daher wird nun in Kooperation mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft OÖ der Gedanke der ursprünglichen Wanderausstellung ‚Hinter der Fassade‘ in einer virtuellen Form und mit neuen Inhalten weitergetragen.“, so die Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums OÖ Mag. Eva Schuh.

Kinderrechtliche Grundlagen

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes OÖ (KiJA OÖ) setzt sich als weisungsfreie Ombudsstelle für die Rechte junger Menschen ein. Der gesetzliche Auftrag basiert auf der UN-Kinderrechtskonvention und umfasst ein breites Leistungsspektrum: von kinderrechtlicher Beratung und Intervention im Einzelfall bis hin zu präventiven Maßnahmen, wie etwa Workshops an Schulen zu jugendrelevanten Themen, mit der Zielsetzung, allen jungen Menschen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen.

In der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ist verankert, dass der Schutz aller Kinder vor jeglicher Form von Gewalt gewährleistet werden muss. Vor über 30 Jahren wurde Gewalt in der Erziehung auch in Österreich gesetzlich verboten, und vor 10 Jahren das Recht auf ein gewaltfreies Aufwachsen durch das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte der Kinder in den Verfassungsrang erhoben. Trotzdem wachsen nach wie vor viel zu viele junge Menschen mit Gewalterfahrungen auf. Gewalt an sowie unter Kindern und Jugendlichen findet in der Freizeit, an Schulen, im Internet und leider häufig auch dort statt, wo sich Kinder eigentlich sicher und geborgen fühlen sollten: in den Familien.

Information, Aufklärung und Selbstermächtigung schützen Kinder und Jugendliche davor, Opfer von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt zu werden. Junge Menschen müssen darin bestärkt werden, auf ihre Gefühle zu hören und lernen, bedrohende Situationen zu erkennen und sich, wenn nötig, Hilfe zu holen.

„Gerade in der kritischen Pandemie-Zeit ist es besonders wichtig, Kinder und Jugendliche zu stärken und ihre Bedürfnisse nach Sicherheit und Schutz vor Gewalt in den Mittelpunkt zu stellen. Offene Schulen und Kindergärten müssen als derzeit wichtigste Kinderschutzmaßnahme oberste Priorität haben.“, betont Mag. Christine Winkler-Kirchberger, Kinder und Jugendanwältin des Landes OÖ.

Mag.a Eva Schuh, Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum OÖ, (links), sowie Mag.a Christine Winkler-Kirchberger, Kinder- und Jugendanwältin des Landes OÖ bei der Präsentation des Gewaltschutzprojektes „Hinter der Fassade“. Foto: © Land OÖ / Liedl

Aktuelle Entwicklungen zu Gewalt in der Familie

Die im September 2020 präsentierte Jugendstudie „Recht auf Schutz vor Gewalt“ (Institut für Jugendkulturforschung im Auftrag der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs) zeichnet ein erschreckendes Bild in Hinblick auf das Ausmaß, in dem Kinder und Jugendliche Gewalt in der Familie erleben. Ein Viertel der befragten Jugendlichen gaben an, von ihren Eltern bereits Ohrfeigen bekommen zu haben. 13 Prozent meinten, dass die Familie ein Ort sei, in dem es zu Bedrohung und Gewalt kommen würde. Dass Gewalt in der Erziehung in vielen Familien noch immer zum Alltag gehört und körperliche Bestrafungen als adäquates Erziehungsmittel betrachtet werden, zeigt sich auch darin, dass fast 30 Prozent der Jugendlichen selbst dem Statement, eine „gesunde Watsche“ würde niemandem schaden, zustimmten.

Aber auch psychische Gewalt in Form von Abwertungen, Liebesentzug oder übermäßigen Einschränkungen belastet junge Menschen. Naturgemäß ist hier die Dunkelziffer noch höher als bei körperlicher Gewalt.

In der Beratungstätigkeit der KiJA OÖ sind derzeit vermehrt Anfragen zu Eltern-Kind-Konflikten, sowie massiven psychischen Belastungen, bis hin zu körperlicher Gewalt zu verzeichnen. Das veränderte Zusammenleben in den Familien durch die Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen, beengte Wohnverhältnisse bzw. eine Überforderung der Eltern durch die Kombination von Home-Office und Home-Schooling bergen ein erhebliches Konfliktpotential. Auch die Vernetzungspartner*innen der KiJA OÖ, wie etwa die Kinderschutzzentren oder Ärzt*innen, teilen diese Beobachtungen.

Dem steht leider eine immer noch unzureichende therapeutische Versorgung für Kinder und Jugendliche gegenüber. Wie groß der Bedarf nach niederschwelliger und kostenloser psychotherapeutischer Behandlung ist, zeigt das Ansteigen der von der KiJA OÖ im vergangenen Jahr geleisteten Psychotherapieeinheiten für Kinder und Jugendliche um mehr als ein Drittel (430 Einheiten im Jahr 2019, 650 Einheiten im Jahr 2020, 2021 setzt sich der Anstieg/Bedarf fort).

Insgesamt wurden im Jahr 2020 rund 3.300 individuelle Beratungen (inklusive Psychotherapie) durchgeführt und rund 840 allgemeine Fragestellungen. Die diversen Corona-Bestimmungen führten zu einer wesentlichen Veränderung im Beratungsalltag: Auffällig war der Rückgang von Anfragen bzw. Meldungen durch Pädagog*innen betreffend einer (Krisen-)Situation eines*einer ihrer Schüler*innen. Die Beratung verlagerte sich teilweise auf die Online-Medien, sodass die KiJA OÖ auch seit Beginn der Pandemie nahtlos für Kinder und Jugendliche erreichbar ist. Die Themen reichen von familiären Konflikten, Verselbstständigung, Unterhalt oder Trennung der Eltern, über Mobbing und Ausgrenzung in der Schule oder im Netz bis hin zu Gewalt und Missbrauch. Die Beratungen können anonym und vertraulich in Anspruch genommen werden. Bei Bedarf finden auch face-to-face Beratungen statt.

Workshops für Kinder und Jugendliche

Als wirkungsvolle Präventionsmaßnahme bietet die KiJA OÖ seit vielen Jahren Workshops in Schulen, für Kinder- und Jugendgruppen sowie Kindergärten an. Die Workshops werden meist in Co-Moderation durch eine weibliche und einen männlichen Trainer*in geleitet. In altersadäquater Form werden die Inhalte der UN-Kinderrechtskonvention und deren Bedeutung für die unmittelbare Lebenswelt junger Menschen vermittelt, und die KiJA OÖ wird als Anlaufstelle bei persönlichen Problemen vorgestellt. Eine besondere Expertise wurde in den letzten Jahren im Bereich der Mobbing- und Gewaltprävention aufgebaut. Aufgrund der Lockdown- und Ampelregelungen konnten 2020 weit weniger Schulworkshops und Veranstaltungen direkt mit den Kindern und Jugendlichen durchgeführt werden. Im Vergleich zum langjährigen Schnitt von landesweit jährlich rund 400 Workshops konnten im vergangenen Jahr lediglich 136 Workshops in Präsenz abgehalten werden; aktuell sind noch immer keine Besuche an Schulen möglich. Die Online-Kommunikation hat damit auch im Präventionsbereich erheblich an Bedeutung dazugewonnen.

Mit „Hinter der Fassade“ wurde ein Format entwickelt, das auch in diesen Zeiten den jungen Menschen stärkende Botschaften und Hilfen vermitteln soll.

Das pädagogische Konzept

Zusätzlich zum Online-Informationsangebot der Website und den drei interaktiven Geschichten von Betroffenen ermöglicht das darauf abgestimmte pädagogische Workshop- Konzept eine intensive und pädagogisch begleitete Auseinandersetzung mit dem Thema „Häusliche Gewalt“. Neben der Vermittlung von Faktenwissen sind die Anleitung zur Ressourcenarbeit und eine begleitende Reflexion des Erlebten und Gelernten zentrale Ziele. Wichtig bei der thematischen Auseinandersetzung ist der Fokus auf die Jugendlichen. Neben dem Vermitteln von Inhalten ist es wesentlich, dass die Jugendlichen ihre Gedanken, Ideen und Themen einbringen können.

Das Angebot zur Prävention von häuslicher Gewalt kann von Pädagog*innen selbständig und individuell im Unterricht eingesetzt werden. Alternativ steht das Angebot der Kinder- und Jugendanwaltschaft OÖ zur Verfügung: Ausgebildete Trainer*innen kommen an die Schule oder führen den Workshop online gemeinsam mit den Schüler*innen durch.

Das Workshop-Konzept besteht grundsätzlich aus einem Basismodul und einem von drei zur Verfügung stehenden Vertiefungsmodulen (diese orientieren sich an den drei Geschichten der fiktiven Jugendlichen Luisa, Jonas und Anna). Die Module zu je ungefähr zwei Unterrichtseinheiten enthalten übersichtliche Stundentafeln und Praxisanleitungen zum Einsatz verschiedener Spiele und Übungen, aber auch Handouts und Literatur-Tipps.

Spiele zum Auflockern

Die intensive Arbeit mit dem Thema häusliche Gewalt ist sehr fordernd. Übungen zur Auflockerung zwischendurch sollen eine Überforderung verhindern und können von den Pädagog*innen nach eigenem Ermessen eingesetzt werden.

Reflexion und Ressourcenarbeit

Zentrales Element des pädagogischen Konzepts sind die Reflexionsbögen. Diese sind auf die Inhalte des jeweiligen Workshop-Moduls abgestimmt und sollen den Schüler*innen helfen, Gedanken und Überlegungen zum Thema und zum Gelernten festzuhalten, eigene Netzwerke und Ressourcen sichtbar zu machen und sich einen Überblick über Hilfsangebote zu verschaffen.

Besonders wichtig sind aber auch die praktische Unterstützung und die Botschaften an Jugendliche: Kennst du deine Rechte?, Wo gibt es Hilfe?, Was macht dich stakt!, Was beschäftigt dich noch? und Was ist im Notfall zu tun?

Alle Module des pädagogischen Konzepts stehen auf der Website gratis zum Download zur Verfügung.

Kinder- und Jugendanwaltschaft OÖ
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Telefon: +43 732 77 20 14001
Mobil: +43 664 180 82 20

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