Der Einsatz von transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) könnte neue Felder in der Schlaganfall-Therapie eröffnen. Aktuelle Tests zeigen, dass schwacher Strom die Gehirntätigkeit und motorisches Lernen fördern kann – auch nach einem Schlaganfall. Multicenter Studien laufen weltweit – ein Impuls dazu kam aus Wien.
Bildtext: Im Krankenhaus Göttlicher Heiland werden österreichweit die ältesten Patienten nach einen Schlaganfall versorgt. Foto: khgh.at
Bereits seit Jahrzehnten beschäftigt sich Univ.-Doz. Dr. Wolf Müllbacher, Primar der Neurologie des Krankenhauses Göttlicher Heiland in Wien-Dornbach, mit der Erforschung der Stimulation des Gehirns. So ortete er mit seinem Team von Neurowissenschaftern die Lage des motorischen Gedächtnisses und publizierte diese Erkenntnisse 2002 im Fachmagazin „Nature“ unter dem Titel „Early consolidation in human primary motor cortex“. Diese neuen Erkenntnisse wurden in der Zwischenzeit von zahlreichen Arbeitsgruppen weltweit bestätigt. In den letzten Jahren wird die Gehirnstimulation nun auf ihre therapeutische Wirksamkeit untersucht. Dazu der Primar: „Die Stimulation kann nur dann Erfolg bringen, wenn die Elektroden in den gewünschten Arealen des Gehirns gezielt eingesetzt werden. Die Lage zum Beispiel des Motorikzentrums konnten wir in unseren Reihenuntersuchungen eindeutig bestimmen.“ In einer aktuellen Arbeit konnte die Kontrolle von Fingerbewegungen näher erforscht werden, was als Grundlage für zukünftige Therapien bei unterschiedlichen neurologischen Erkrankungen unerlässlich ist.
Kurz vor dem Durchbruch
Im Rahmen von Multicenter Studien wird derzeit weltweit geprüft, wie weit die Gleichstromsimulation für den Einsatz an Patienten geeignet ist und bei welchen Krankheitsbildern sie Besserung verspricht. Auch in der Schweiz steht diese Therapieform kurz vor der Zulassung. „Wir freuen uns, dass wir mit unserer Arbeitsgruppe hier direkt am Puls der Entwicklung mitarbeiten und proaktiv in das Therapieentwicklungsprogramm eingebunden sind, auch wenn es sich noch im Stadium der Überführung – von der Grundlagenforschung in die klinische Forschung – befindet.“, erklärt Dr. Wolf Müllbacher.
Potenzial für die Zukunft
Er, der sich selbst als „ ursprünglich stromskeptisch“ bezeichnet, ist zuversichtlich: „Die Studienergebnisse zeigen, dass die Stromstimulation große Möglichkeiten für die Zukunft bieten könnte. Vor allem als Ergänzung zu den bisherigen Therapien bei Schlaganfällen, wie Physio-, Logo- und Ergotherapie, sehe ich ein gutes Potenzial.“ In den USA wird die transkranielle Gleichstromstimulation bereits bei Depressionen sehr häufig eingesetzt. Auch wird die Technik in eigenen Kliniken bei anderen neurologischen Erkrankungen wie Schmerzen, Bewegungsstörungen, Depressionen, Tinnitus und Ähnlichem therapeutisch eingesetzt. Die Ergebnisse bisher sind vielversprechend und lassen darauf schließen, dass diese Erkrankungen durch die transkranielle Gleichstrombehandlung günstig beeinflusst werden könnten.
Neurologie im Krankenhaus Göttlicher Heiland
In der Stroke Unit des Krankenhauses Göttlicher Heiland wird spezielles Augenmerk auf den frühestmöglichen Einsatz von Therapie und Rehabilitation gelegt. Nach dem Motto „Zeit ist Hirn“ hilft nur rasches Handeln und eine umfassende Behandlung, um die Leistungsfähigkeit des Gehirns nach einem Schlaganfall so weit als möglich zu erhalten und wieder aufzubauen. Inwieweit Stimulationsverfahren auch in der Akutphase eingesetzt werden können, ist aber völlig unklar. Studien aus Großbritannien scheinen dies aber zu zeigen. „Deshalb ist es jetzt sehr wichtig, gute Daten zur Gehirnstimulation weltweit zu sammeln. Wir stehen kurz vor der Fertigstellung einer sehr wichtigen Multicenterstudie zur Gehirnstimulation nach Schlaganfall, welche mit sehr großer Spannung erwartet wird. Bis zum eindeutigen Nachweis der klinischen Wirksamkeit empfehle ich den Einsatz der Gehirnstimulation nur im Rahmen von kontrollierten klinischen Studien.“, betont Univ.-Doz. Dr. Wolf Müllbacher.
Beste Erfolge sogar bei den ältesten Patienten
Das Krankenhaus Göttlicher Heiland ist auf die Betreuung älterer Menschen spezialisiert. Österreichweit werden hier die ältesten Patienten nach einem Schlaganfall versorgt, dennoch ist die Erfolgsrate gleich hoch wie im Österreichschnitt. Die Erfolge der Stroke Unit zeigen sich in der früheren Entlassung und dem besseren Allgemeinzustand der Patienten. Die Überlebenschancen sind deutlich höher: Etwa doppelt so viele Menschen können nach der Behandlung in einer Stroke Unit wieder nach Hause zurückkehren, statt an ein Pflegeheim überwiesen zu werden.