Im Land der 1000 Derbys 2016_Werkstatt Verlag_GöttingenIm Kohlenpott gehen langsam die Lichter aus!, so lautete in den späten 1970er Jahren eine „MontagsKicker-Schlagzeile in Anbetracht des steten Niedergangs vom einstmals ruhmreichen Fußballsport im Revier. Wiederum einige Jahre später, anlässlich des letzten Herbst-Spieltages am 5. Dezember 1987 hieß es zum Ende der samstägigen ARD-Sportschau mit Blick auf die aktuelle Bundesliga-Tabelle von Moderator Heribert Faßbender nicht mehr nur „Guten Abend allerseits“ sondern auch ein bisserl sarkastisch: Bochum – Nr. 1 im Ruhrpott!“ Die Blau-Weißen vom VfL von der Castroper Straße lagen vor Beginn der Winterpause in der Tabelle auf Platz 14, vor Borussia Dortmund (Rang 15), sowie dem FC Schalke 04 (Platz 18 und somit Tabellenletzter). Man war und ist einiges gewohnt im Ruhrgebiet. Und das eigentlich auch schon immer. Den Stellenwert, den hat er allerdings durch die Jahrzehnte hindurch nie verloren, der Fußballsport im Revier.

Ganz im Gegenteil, Borussia Dortmund verfügt heute mit einem Zuschauerschnitt von 81.031 Menschen pro Heimspiel über einen Zulauf, der wahrlich einzigartig und nicht zu übertreffen ist.

Die "Glück auf"-Kampfbahn des FC Schalke 04 wurde 1928 eingeweiht und hatte ein Fassungsvermögen von 34.000 Plätzen. 1931 gab es mit 70.000 Besuchern einen Platz-Rekord für die Ewigkeit zu verbuchen. Foto: oepb / 2003.
Die „Glück auf“-Kampfbahn des FC Schalke 04 wurde 1928 eingeweiht und hatte ein Fassungsvermögen von 34.000 Plätzen. 1931 gab es mit 70.000 Besuchern einen Platz-Rekord für die Ewigkeit zu verbuchen. Foto: oepb / 2003.

Der FC Schalke 04 kann 2016/17 auf einen Schnitt von 60.795 Besuchern verweisen. Selbst der VfL Bochum, derzeit im Grau-Bereich der 2. Deutschen Bundesliga angesiedelt, kommt immerhin noch auf 16.910 Zuschauer im Schnitt. Und der MSV Duisburg, Herbstmeister in Liga 3, kann immerhin noch 12.914 Zuschauerinnen und Zuschauer begrüßen – im Schnitt.

Und selbst in der Regionalliga West, der 4. Leistungsstufe, pilgern 7.387 Fans durchschnittlich an die Hafenstraße zu Rot-Weiß Essen. Und auch der Aufsteiger Wuppertaler SV kann 5.039 Anhänger zu jedem seiner Heimspiele im „Stadion am Zoo“ begrüßen. Der Fußballsport lebt also nach wie vor im Revier – und er lebt gut.

Fußballsport im Ruhrgebiet! Das ist jene urlange Geschichte einer Leidenschaft, die oftmals Leiden schafft und der eine ganze Region anhängt. Nirgendwo sonst gibt es so viele Fußball-Vereine, so viele Stadien und so viele Menschen, die dorthin zu den Spielen strömen, immer wieder aufs Neue.

Blick auf das "Stadion am Zoo" in Wuppertal. Der Wuppertaler SV, als auch Borussia Wuppertal teilten sich diese Spielstätte. Direkt am Areal rattert die Schwebebahn als "Hochbahn der Stadt" vorbei. Der WSV, detto ein Traditionsverein, stieg im heurigen Sommer 2016 zumindest wieder in die Regionalliga West auf. Foto: oepb / 2002
Blick auf das „Stadion am Zoo“ in Wuppertal. Der Wuppertaler SV, als auch Borussia Wuppertal teilten sich diese Spielstätte. Direkt am Areal rattert die Schwebebahn als „Hochbahn der Stadt“ vorbei. Der WSV, detto ein Traditionsverein, stieg im heurigen Sommer 2016 zumindest wieder in die Regionalliga West auf. Foto: oepb / 2002

„Im Land der tausend Derbys“ präsentiert den Fußball an Ruhr und Emscher mit zahlreichen einzigartigen Fotodokumenten, mit Texten von ausgewiesenen Fachleuten und Kennern der Szenerie und mit zahlreichen liebevoll und pointiert erzählten Vereinsporträts. Nicht nur die Geschichte und Geschichten der „Flaggschiffe“ Dortmund und Schalke wird feil geboten, die Autoren erinnern auch an die glanzvollen Tage und Zeiten berühmter, heute teilweiser kaum mehr beachteter oder sogar gänzlich in der Versenkung verschwundener Klubs und erzählen vom Stadtteilverein, der quasi „um die Ecke“ angesiedelt war.

Dazu wird auch die Lage des Frauenfußballs beleuchtet, es geht um die aktuellen Nöte der Amateurvereine, um die Szene der Freizeitkicker und um die neuesten Entwicklungen im kommerzialisierten Profibetrieb. So entstand ein vielfältiges Panorama des Fußballsports im Revier: von Hamm bis Duisburg und von Hagen bis Marl.

„Im Land der tausend Derbys“ erschien erstmals 2002, wurde euphorisch wahr- und angenommen und ist seit vielen Jahren vergriffen. Die hier nun vorliegende aktualisierte Auflage ist zu großen Teilen neu verfasst und im Gegensatz zum Erstlingswerk komplett farbig gestaltet. Die Autoren um Herausgeber Hartmut Hering nehmen die Leser mit, mit auf die Reise ins Revier, und zeigen auf, warum gerade dort der Fußballsport für die Menschen im Ruhrgebiet nach wie vor weit mehr ist als „nur“ ein Spiel, nämlich „Das Spiel!“

Auch das Georg-Melches-Stadion in Essen als vormaliges "Stadion an der Hafenstraße" ...
Auch das Georg-Melches-Stadion in Essen als vormaliges „Stadion an der Hafenstraße“ …

Wo liegt Meiderich?

Meiderich? Wo liegt das eigentlich?“, so Uwe Seeler, Urgestein des Hamburger Sport-Vereins vor dem ersten Gastspiel seiner Hanseaten am 9. November 1963 in der neu geschaffenen Bundesliga in Duisburg. Nach dem 4 : 0-Erfolg des „Meidericher Spielvereins“, heute besser bekannt als MSV Duisburg, wusste es „Uns Uwe“ und findige Duisburger übernahmen diese Anekdote direkt für den Zebra-Twist, die Vereinshymne des MSV: „Wo Meiderich liegt, wo Meiderich siegt, ist überall bekannt!“

RWE – Die dritte Kraft im Revier?

Die ruhmreichen Jahre von Rot-Weiß Essen sind ewig her. Die wahrlich Goldenen 1950er Jahre leben lediglich in der Erinnerung immer weniger werdender Zeitzeugen. RWE holte 1952 und 1955 die Westdeutsche Meisterschaft, 1953 den DFB-Pokalsieg und ebenso 1955 die Deutsche Meisterschaft. August Gottschalk hieß der Kapitän, der damals die Rot-Weißen stets aufs Spielfeld geleitete. Essen wird heute noch als „schlafender Riese“ bezeichnet. Doch selbst Willi „Ente“ Lippens, ein absolutes RWE-Urgestein, meinte anlässlich seines 60. Geburtstages, dass dies bereits ein sehr lang anhaltender Tiefschlaf ist. Jedoch mit dem neuen Georg-Melches-Stadion im Rücken möchte man einmal mehr den alten Schlachtruf aufleben lassen: „RWE war wer – ist wer – bleibt wer!“

.. gibt es in dieser Form heute nicht mehr. Mit dem neuen "Stadion Essen" hofft man, dass RWE zu alten Erfolgen zurückkehren wird. Beide Fotos: oepb / 2005
.. gibt es in dieser Form heute nicht mehr. Mit dem neuen „Stadion Essen“ hofft man, dass RWE zu alten Erfolgen zurückkehren wird. Beide Fotos: oepb / 2005

Revierfan

Aber eine Vorliebe habe ich dann natürlich doch – das Ruhrgebiet. Ich bin im Pott geboren und habe, sieht man einmal von meinen zwei Semestern in Berlin und der Studienzeit in Münster ab, mein ganzes Leben dort verbracht. Ich mag diese Region und ihre Menschen und deswegen lässt es mich nicht völlig kalt, wie es den Vereinen im Ruhrgebiet geht. Zumal es ja so ist, dass in diesem Teil des Landes der Fußball eine ungleich höhere Bedeutung für die Menschen hat als andernorts. Wenn man also sagt, dass man die Menschen im Pott mag, muss man auch ihre Fußbalvereine mögen. Ich hoffe daher immer, dass diese Klubs in ihren jeweiligen Ligen ein gutes Bild abgeben und nicht in Abstiegsgefahr geraten. Doch ob diese Vereine nun aus Essen oder Oberhausen kommen, aus Bochum oder Dortmund, aus Gelsenkirchen oder Herne, das macht keinen Unterschied für mich!“, so Werner Hansch, Sportreporter-Legende, „Stimme des Reviers“ und in den 1970er Jahren auch Stadionsprecher beim FC Schalke 04.

 

Blick auf die Haupttribüne des Gelsenkirchener Parkstadions. Schalke spielte hier von 1973 bis 2001. Foto: oepb / 1977
Blick auf die Haupttribüne des Gelsenkirchener Parkstadions. Schalke spielte hier von 1973 bis 2001. Foto: oepb / 1977

Per Rolltreppe in die 1970er Jahre

Als Deutschland den Zuschlag für die Fußball-WM 1974 erhielt, war dies Anlass für einen Bauboom. Noch oblag es der öffentlichen Hand, mit insgesamt 238 Mio. DM „die modernsten Stadien der Welt“ zu finanzieren. In Gelsenkirchen hatte man sich bereits vor 1966, als die WM in die BRD vergeben wurde, Gedanken um ein (neues) „Ruhrstadion“ gemacht. Denn Großstadien wie anderswo – München baute für die Olympischen Spiele 1972 das Olympiastadion – gab es im Ruhrgebiet nicht, weshalb sportliche Großereignisse dort auch nicht stattfanden.

 

Blick auf die Fußballregion Ruhrgebiet mit seiner einzigartigen Anhäufung von zahlreichen Traditions-Vereinen. Etwa 5 Millionen Menschen leben hier auf 4.435 Quadratkilometern, somit ist das "Revier" der größte Ballungsraum Deutschlands. Foto: Die Karte stammt aus dem Werk "Im Land der 1000 Derbys"
Blick auf die Fußballregion Ruhrgebiet mit seiner einzigartigen Anhäufung von zahlreichen Traditions-Vereinen. Etwa 5 Millionen Menschen leben hier
auf 4.435 Quadratkilometern, somit ist das „Revier“ der größte Ballungsraum Deutschlands. Foto: Die Karte stammt aus dem Werk „Im Land der 1000 Derbys“

„Neidhammelei der Städte und ihrer verantwortlichen Bürger, kleinkariertes Lokalhandeln und – denken“ hatte aus Gelsenkirchener Sicht das „Zentralstadion“ verhindert. Kalkuliert auf 23 Mio. DM kostete das 1973 eröffnete Parkstadion mit seinen 70.000 Plätzen schließlich 56 Mio. DM, finanziert von Stadt, Land, Bund und der „Glücksspirale“ des ZDF. Als wahre Sensation galt die Rolltreppe, die die Akteure zum oder vom Spielfeld transportierte.

 

Joachim Hopp

Der am 10. Juli 1966 in Duisburg geborene Joachim Hopp kam als Vertragsamateur vom VfvB Ruhrort/Laar zum MSV Duisburg und erkämpfte sich dort nach dem Aufstieg der „Zebras“ im Jahre 1991 einen Stammplatz in der 1. Mannschaft. Dies ist an sich nichts besonderes, hätte er nicht nebenbei noch einen „ordentlichen“ Beruf ausgeübt: Hopp war Hochofenarbeiter im Meidericher Thyssen-Stahlwerk und weil er auch ein Arbeiterkind aus einer Großfamilie mit sechs Brüdern war, lag dies für ihn nahe, zu „malochen“ und eben Fußball zu spielen. Als er zu den Profis beim MSV wechselte, ging er „nur noch“ von 6 bis 14 Uhr zur Frühschicht und nachmittags zum Training. 1993 demonstrierte Hopp mit zahlreichen Schicht-Kollegen im Wedau-Stadion Duisburg gegen den Arbeitsplatz-Abbau bei Thyssen. Für die Journalisten avancierte er zum sympathischen Fossil aus jenen legendären Tagen des Revierfußballs, als selbst Erstliga-Spieler noch eine echte Bindung an die montanindustrielle Arbeitswelt hatten. Mit dem sportlichen Abgang von Joachim Hopp um die Jahrtausendwende ist dieses Kapitel im Deutschen Spitzenfußballs des Ruhrgebiets ein für alle Mal Vergangenheit. Sein Werdegang war typisch für ganze Generationen von Spielern aus dem Arbeitermilieu des Reviers, doch Joachim Hopp war der letzte Mohikaner dieser – heute leider gänzlich ausgestorbenen – Art.

Und last but not least Erwin Kostedde

Der bullige Stürmer war der Sohn eines afroamerikanischen Soldaten und einer Deutschen Maid. Erwin Kostedde heuerte 1967 beim Meidericher SV an und kam über die diversesten Stationen 1976 ins Revier zurück zu Borussia Dortmund. Ob seiner dunklen Hautfarbe wurde er sehr oft angefeindet, aber Kostedde belehrte die Stänkerer von den Rängen am Feld stets eines besseren mit seiner typischen Art und spielte oftmals wie ein Gott aus einem Guss. Dies brachte ihm auch die Einberufung zur Deutschen Fußball-Nationalmannschaft ein. Am 22. Dezember 1974 debütierte Kostedde für Deutschland auf Malta beim 1 : 0-Erfolg. Er war somit der erste – und bis dato auch nicht der letzte – dunkelhäutige DFB-Fußballer.

Das Ruhrstadion ist die Heimstätte des Vfl Bochum. Am 25. August 1987 waren hier beim Derby gegen Schalke 04 knapp 50.000 Zuschauer zugegen, wobei gut zwei Drittel im Lager der "Königsblauen Knappen" gestanden sind. Foto: oepb / 2002
Das Ruhrstadion ist die Heimstätte des Vfl Bochum. Am 25. August 1987 waren hier beim Derby gegen Schalke 04 knapp 50.000 Zuschauer zugegen, wobei gut zwei Drittel im Lager der „Königsblauen Knappen“ gestanden sind. Foto: oepb/ 2002

Am besten umschreibt die Leidenschaft der Fußball-Anhänger im Revier Frank Goosen in seinem Druck-Werk: Weil Samstag ist“. Darin berichtet er wie folgt: „Fußball ist uns zwischen Duisburg und Unna, zwischen Recklinghausen und Hattingen ins Erbgut übergegangen. Unsere Doppelhelix besteht nicht aus Aminosäuresequenzen, sondern aus echtem Leder“. Legt ein werdender Vater die Hand auf den Bauch seiner hochschwangeren Frau und spürt den Tritt des Thronfolgers, kann er nicht anders, er sagt: „Kumma, der flankt!“ Wir im Ruhrgebiet gehen auch nicht ins Stadion, um uns zu amüsieren. Wir gehen hin, um uns aufzuregen. Ein Beispiel? Jedes Jahr wieder ist das erste Heimspiel der neuen Spielzeit gerade mal fünf Minuten alt, da brüllt der Mann in der Reihe vor mir zum ersten Mal: „Dat iss doch dieselbe Scheiße wie inner letzten Säsong!“

 

Die VfL Bochum-Fans hinter dem Tor. Auch wenn es mit dem VfL in den letzten Jahren mehr begab, denn bergauf geht, halten sie eisern zu ihren Blau-Weißen. Hier im Rahmen eines Zweitliga-Spieles gegen Eintracht Frankfurt. Foto: oepb / 2002
Die VfL Bochum-Fans hinter dem Tor. Auch wenn es mit dem VfL in den letzten Jahren mehr bergab, denn bergauf geht, halten sie eisern zu ihren Blau-Weißen. Hier im Rahmen eines Zweitliga-Spieles gegen die SG Eintracht Frankfurt. Foto: oepb / 2002

Im Land der tausend Derbys

Die Fußball-Geschichte des Ruhrgebiets
 
Herausgegeben von Hartmut Hering im
VERLAG DIE WERKSTATT
www.werkstatt-verlag.de
384 Seiten, 21 x 29,7 cm, Hardcover, zahlreiche Fotos
zum Preis von € 34,90 (Deutschland)
ISBN 978-3-7307-0209-3
 
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