Bereits zu Lebzeiten war es Marcell Horace Frydmann Ritter von Prawy vergönnt, eine Legende zu werden. Und ein Synonym! Ein Synonym für eine absolut erfüllte Zuneigung und Liebe zum Musiktheater, zu den Operngöttern wie Giuseppe Verdi und Richard Wagner, zu den großen Persönlichkeiten, die allabendlich das Operntheater ermöglichen. Als ewig Liebender trat er auch als ewig Lehrender auf – ja mehr noch – er war ein Vermittler, wie er nicht mehr wiederzubringen ist.
Seine Erzählungen über die Geschichte der Oper waren oft auch Bonmots in Verbindung mit persönlichen Erlebnissen. Es gelang ihm dadurch, sein Publikum zu fesseln und auch dem letzten Opern-Verweigerer anhand seiner bis heute unerreichbar gebliebenen Matineen durch erzählte Geschichten das Phänomen Oper näher zu bringen und dadurch das Interesse immer wieder aufs neue zu wecken.
Marcel Prawy verstand es einfach, wie kaum ein Anderer, seinen ungeheuren Wissensschatz der Musiktheatermaterie so zu verpacken und zu präsentieren, dass es zwar oftmals anekdotisch, aber dennoch absolut ernst zu nehmend über die Rampe kam.
Keiner liebte die Oper mehr als Prawy
„Als ich im Jahre 1959 mit 24 Jahren in Wien landete, ermöglichte mir die Flüchtlingsorganisation American Rescue Committee (A.R.C.) den Kontakt zu Ernst Haeusserman und Marcel Prawy. Prawy war damals schon an der Volksoper tätig und durch ihn gelangte ich zum Volksoperndirektor Franz Salmhofer, der mir bei „Gianni Schicchi“ die Regieassistenz in der Inszenierung seines Vizedirektors Otto Fritz ermöglichte. Prawy ließ nichts unversucht, um in Wien das damals vollkommen unbekannte Genre „Musical“ im Spielplan zu etablieren. Es gelang ihm, trotz heftigem, ja beinahe schon aggressivem Gegenwind von Seiten der Belegschaft und des Betriebsrates. „Kiss me Kate“, von Prawy übersetzt als „Küss mich, Kätchen“, mit Fred Liewehr als Petruchio hatte durchschlagenden Erfolg und weitere Musicals folgten. Die Gestaltung der Programmhefte, die seinerzeit in dieser Form genauso unbekannt wie „Einführungsvorträge“ waren, veranlasste den designierten Staatsoperndirektor Rudolf Gamsjäger dazu, Marcel Prawy im Jahre 1970 ein Angebot zu unterbreiten, sodass dieser an die Staatsoper wechselte. Lange dauerte das Glück dort nicht. Prawy schlug Gamsjäger den großen Staatsopern-Erfolg vor dem Krieg, Meyerbeers „Prophet“ mit Christa Ludwig als Fides vor. Ein passender Tenor dazu wurde jedoch nicht gefunden und aus dem „Prophet“ wurde „Luisa Miller“ mit der Ludwig in einer Nebenrolle. Gamsjägers Verhältnis zum Dramaturgen Prawy wurde dadurch nicht besser, ganz im Gegenteil.
Als dann Prawy noch nachgesagt wurde, er telefoniere aus der Staatsoper all zu oft für seine ORF-Fernseh-Tätigkeit als „Opernführer“ wurde er gekündigt. Eine gemeinsame Bekannte von Bundeskanzler Bruno Kreisky und Prawy bewirkte über den Kulturminister Fred Sinowatz die Rücknahme der Kündigung. Auch Gamsjäger verließ das Haus und wurde durch Egon Seefehlner ersetzt. Und selbst wenn das Publikum anhand seiner Matineen einen doch beträchtlich hohen Altersdurchschnitt aufwies, so waren die Jahre mit Seefehlner als Staatsoperndirektor doch Prawys glücklichsten. Prawy, der nie regelmäßig aß, die ganze Nacht telefonisch erreichbar war, immer nur „dazwischen“ schlief, hatte, wie er immer wieder gerne betonte, kein Verständnis für „Essengehen“, schlafen, oder gar Sportmachen. Genau genommen aß er am liebsten immer Kastanienpüree. Oft ging ich mit ihm in Konditoreien und Gasthäuser – zu den unmöglichsten Uhrzeiten – und aß Kastanienpüree. Immer ohne Schlag. Und jedes Mal ging ich nachher reicher, wissender und irgendwie immer froher weg. Er war das letzte Ehrenmitglied, das im Haus aufgebahrt wurde, und ich durfte die Trauerrede halten. Ich kannte keinen, der dieses merkwürdige Etwas, das wir Oper nennen, mehr liebte als er!“, so Ioan Holender, von 1992 bis 2010 Direktor der Wiener Staatsoper in seinen Erinnerungen an Marcel Prawy.
Sein Leben und Wirken fand Platz in 750 Umzugskartons
Marcel Prawy war bekannt, ja berühmt dafür, dass er sein Musik-Archiv gerne in Plastiksackerln hortete und diese wie seinen Augapfel hütete. Jedoch auch mit einer gewissen Ordnung versehen. „Ich kann doch nichts wegschmeißen, es wäre ewig schade darum.“, so Marcel Prawy von Hermes Phettberg in dessen „Nette Leit“-Show Mitte der 1990er Jahre darauf angesprochen. Prawy residierte im Hotel Sacher.
Sein eigentliches Wohnzimmer jedoch, die Wiener Staatsoper, war nur durch die Philharmoniker Straße vom Hotel Sacher getrennt. Und so pendelte der stets getriebene in Sachen Opern-Geschichte zwischen diesen beiden Häusern in Wien. Sein Alltag wurde von ihm seiner ganzen Leidenschaft „Oper“ untergeordnet. Und selbst wenn böse Zungen behaupteten, dass andere Prominente nach deren Ableben Häuser, Aktienpakete oder andere Wertgegenstände hinterließen und Marcel Prawy „nur“ unzählige Plastiksackerl zurückließ, so ändert dieser Umstand nichts an der Tatsache, dass dieses Archiv in der Wienbibliothek im Rathaus ein neues Zuhause gefunden hatte und Prawys Musikschatz als ungeheurer Fundus somit der interessierten und staunenden Nachwelt erhalten blieb.
Marel Prawy wurde als Marcell Horace Frydmann Ritter von Prawy am 29. Dezember 1911 in Wien geboren. Die Eltern Richard und Marie Frydmann trennten sich, was die Mutter zu einem Suizid veranlasste. Marcel – beim Ableben der Mutter 13 Jahre alt – und seine um 5 Jahre jüngere Schwester Edith wuchsen beim Vater auf. Der junge Marcel verfasste Gedichte. Er studierte Jus und Musik. Ab 1926, so ist es überliefert, besuchte er regelmäßig schier jede Vorstellung in der Wiener Staatsoper ganz oben am Stehplatz, ein wenig später am Juchee, und baute sein ganzes Leben lang ein Musikarchiv zu einem Stück Zeit- und Kulturgeschichte auf. Er war Sekretär des polnischen Tenors Jan Kiepura. Dieser rettete ihm das Leben, indem er ihn mit in die USA nahm. Anno 1939 die Flucht aus Hitler-Deutschland nach Amerika. Nach dem Krieg kehrte er 1946 als Soldat der US-Army wieder nach Wien zurück. Dem Ehepaar Kiepura blieb Marcel Prawy stets verbunden.
Und so war auch umgekehrt. „Lieber Marcel, ich weiß, dass, wenn Sie denken an Familie, Sie denken an uns.“, schrieb Jan Kiepura an Marcel Prway. Und seine Gattin Martha Eggerth ergänzte: „Prawyczku – wir haben viel erlebt, viel gelernt, viel gelacht und noch mehr geweint.“ Von da an begann seine Karriere als Opernvortragender. Später war er Chefdramaturg der Wiener Staatsoper und ab dem Jahre 1962 gestaltete er über 240 TV-Sendungen. Am 23. Februar 2003 verstarb Marcel Prawy im 92. Lebensjahr stehend in Wien.
Die Ehrung eines Jubilars
Wie sehr Marcel Prawy von seiner Anhängerschaft geliebt und verehrt, aber auch schmerzlich vermisst wurde, bewies die Tatsache einer ausverkauften Geburtstags-Matinee aus Anlass „Zum 100. Geburtstag von Marcel Prawy“ am 8. Dezember 2011 in der Wiener Staatsoper. Unter der Moderation von Kammerschauspieler Heinz Zednik erschienen Renate Holm, Ildiko Raimondi, Peter Dusek, Michel Heltau, Heinz Holecek, Otto Schenk, Georg Springer, Alfred Sramek und andere auf der Staatsopernbühne. Die Matinee fand nicht nur großen Anklang sondern war auch ein voller Erfolg. Jeder Wegbegleiter trug dem Publikum pointiert nette Anekdoten und persönliche Erinnerungen an den großen Opernführer vor … und irgendwie schien es, als ob er da wäre, anwesend, in seinem Haus am Ring, versteckt, ganz oben am Juchee, lauschend, zuhörend, und darüber, was man über ihn erzählt – natürlich in der für ihn so typisch spitzbübischen Art und Weise verschmilzt lächelnd – der große, unvergessliche und unwiederbringliche Marcel Prawy.
Nachlass
In der Wienbibliothek im Rathaus, Eingang Felderstraße (ab 18 Uhr, Eingang Lichtenfelsgasse), Stiege 6 (Lift), 1. Stock befindet sich der komplette Nachlass von Marcel Prawy. Zwar nicht mehr in den berühmten unzähligen Plastiksackerln, dafür chronologisch sortiert und katalogisiert. Für die Nachwelt erhalten.
Quelle: Redaktion www.oepb.at