„Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann Euch für den Christbaum, wenn Ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben. Kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann Euch nur um eines bitten: GLAUBT AN DIESES ÖSTERREICH!“ – so der flammende Appell des ersten Bundeskanzlers der Zweiten Republik Leopold Figl in seiner Radioansprache am Weihnachtsabend des Jahres 1945 an die vom Zweiten Weltkrieg (1939-45) arg gebeutelte und darniederliegende österreichische Bevölkerung.
Das Land lag in Trümmern und es wurde gekickt
Die heimische Fußball-Meisterschaft nahm am 1. September 1945 wieder ihren Betrieb auf, damals unter der Bezeichnung „Wiener Liga“. 12 Vereine, allesamt aus Wien, spielten in 22 Runden ihren Meister aus. Und auch die Nationalelf trat wieder als Österreichische Fußball-Nationalmannschaft in Erscheinung, nachdem es hierzulande ab 1938 keine ÖFB-Auswahl mehr gegeben hatte. Österreich verschwand aufgrund des politischen Anschlusses an Hitler-Deutschland völlig von der Landkarte und auch der ÖFB wurde mit dem DFB fusioniert, wenn man diesen Umstand heutzutage so bezeichnen will.
Hamsterfahrten nach Ungarn
Wie erwähnte es der RAPID-Kanonier Robert Dienst in seinen Lebenserinnerungen so treffend: „Wir hatten ja nichts nach dem Krieg. Also fetteten wir unser Dasein mit Hamsterfahrten zu Gansl und Schmalz nach Ungarn, oder Sacharin und Schokolade in die Schweiz und Reis aus Italien auf. Daheim wurde damit „geschleichelt“, als Zubrot zur Siegesprämie von 420 Schillingen.“ Die Ungarn waren es auch, die in Budapest am 19. und 20. August 1945 zweimal die neu aufgestellte ÖFB-Auswahl forderten. Nicht aber ohne vorher ordentlich auf den Tisch gehaut zu haben. Die Österreicher, die mit zwei offenen Lastwagen – zur Verfügung gestellt von der Russischen Besatzungsmacht – angereist waren, wurden zuallererst zu Tisch gebeten. Das gemeinsame Glück, dem Kriegs-Inferno entronnen zu sein, wurde auf sich biegenden reich gedeckten Tafeln ausgiebig gefeiert. Die ungarische Gastfreundlichkeit war schon immer aller Ehren wert. Tags darauf gab es natürlich keine Verbrüderungen mehr, die neu zusammengewürfelte ÖFB-Auswahl reiste mit zwei Niederlagen in Form von 0 : 2 und 2 : 5 wieder nach Wien und Österreich zurück.
Österreich-Boykott
Das wiedererstandene Österreich wurde vorerst im internationalen Spielverkehr boykottiert. Dann kam es aber doch zu einem Ländermatch. Die Franzosen, die bei weitem kein traditioneller Länderspielgegner wie etwa die Ungarn, die Tschechoslowakei oder aber auch die Italiener waren, reichten Österreich zur Versöhnung die Hand und boten sich als Match-Partner an.
FIFA-Präsident in Wien
Eine besondere Geste gegenüber dem österreichischen Volk und auch dem ÖFB war, dass es sich der 72-jährige FIFA-Präsident Jules Rimet nicht nehmen ließ, dieser Partie live im Wiener Stadion beizuwohnen. Rimet reiste mit dem Flugzeug an, was zur damaligen Jahreszeit keineswegs eine angenehme Luftreise darstellte. Bei den Franzosen lief der gebürtiger Linzer und zwischenzeitliche Ex-Österreicher Auguste „Gustl“ Jordan auf, der inzwischen die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Die Gemeinde Wien entschuldigte sich, dass kein besserer Straßenverkehr zum Stadion möglich sei. Und auch die Wiener Verkehrsbetriebe konnten keine zusätzlichen Tramway-Garnituren aufbieten, da diese schlichtweg nicht vorhanden waren. Die meisten der Zuschauer marschierten unzulänglich beschuht zu Fuß in den Prater.
6. Dezember 1945 – Die Auferstehung von Wien und Österreich
Es lässt sich heute nicht mehr genau sagen, wie viele Besucher damals, am Donnerstag, 6. Dezember 1945 um 14 Uhr, einem bitterkalten, regnerischen und grauen Tag im teilweise zerbombten Wiener Praterstadion tatsächlich anwesend waren – die Zuschauerkulisse bewegt sich zwischen 45.000 und 55.000 Besuchern – aber die, die sich teilweise durch unwegsames Gelände auf dem Weg ins Stadion durchgeschlagen hatten, die sahen die Wiedergeburt des Fußballsports in Österreich.
Warum unwegsam?
Nun, man muss sich das heute so vorstellen, dass damals vieles unmöglich war. Aus dem Haus zu gehen und direkt in die Straßenbahn vis-à-vis einzusteigen, das gab es 1945 nicht. Ebenso sauste natürlich noch keine U-Bahn durch Wien. Die Stadt war zerbombt und lag in Trümmern, überall waren Bombentrichter zu sehen und zahlreiche Häuser-Skelette durch ganze Straßenzüge hindurch prägten das Stadtbild. Auch schlummerten noch allerorts undetonierte Bomben, denen man, soweit diese bekannt waren, weiträumig ausweichen musste. Dazu kam der Winter, die Kälte und auch der Hunger, der das Wiener Stadtbild prägte. Die ausgemergelten Menschen in ihren dünnen und abgetragen Mänteln, sie hungerten und froren, aber durch den heimischen Fußballsport keimte in ihnen wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer auf.
Oesterreich siegt im ersten internationalen Länderkampf gegen Frankreich 4 : 1 (2 : 1)
Der sechste Länderkampf Frankreich gegen Österreich, dem man überall, wo Fußball gespielt wird, mit größter Spannung entgegensah, endete mit einem verdienten 4 : 1 (2 : 1)-Erfolg unserer Nationalmannschaft, die damit den sechsten Sieg gegen Frankreich errang. Damit ist der Wiedereintritt Österreichs in das internationale Sportleben in glänzender Weise erfolgt, denn die Franzosen haben erst jüngst Englands Auswahl mit 2 : 1 bezwungen und galten daher als die Favorits.
Nicht allzu oft hat man einen so rassigen Kampf gesehen, wie der gestern im Stadion, der in einem unerhört scharfen Tempo durchgeführt wurde und von der ersten bis zur letzten Minute spannend verlief. Im Felde selbst waren die Franzosen, obwohl der Sieg der Österreicher ziemlich eindeutig war, nicht unterlegen: es war ein völlig offenes Spiel, allerdings mit zwei verschiedenen Spielsystemen. Österreich blieb seiner alten, bewährten Methode der Wiener Schule treu, die mit taktischen Kombinationszügen den Gegner matt zu setzen versuchte, während die Franzosen das sogenannte Sicherheitssystem spielten, das auf die beiden Flügelleute und den Mittelstürmer aufgebaut war, während sich die Verbinder meist in die Deckung einschalteten und dafür der Mittelläufer als dritter Verteidiger spielte.
Zu Beginn des Treffens schien es, als sollte diese Methode für den Erfolg entscheidend sein, da die Gäste bereits in der 10. Minute durch ihren Mittelstürmer Emile Bongiorni mit einem prächtigen Tor in Führung kamen, aber im weiteren Kampfverlauf zeigte sich doch, daß ein Angriff, der mit fünf Stürmern auf vollen Touren läuft, die besseren Aussichten auf den Sieg bietet. (Auszug aus dem „Wiener Kurier“ vom 7. Dezember 1945)
Dreifacher Torschütze Karl Decker
Es war kein großes Spiel, aber ein großer Triumph der Österreichischen Nationalmannschaft, der für die Moral eines ganzen Landes immens wichtig war. Österreich hatte mit diesem Erfolg auch den vier Besatzungsmächten – USA, Sowjetunion, England und Frankreich – den Herrn gezeigt. Und erlebte sogleich die Geburt eines Torjägers, nämlich Karl Decker. Der First Vienna FC-Akteur, der zwischen 18. Jänner und 22. November 1942 achtmal für die DFB-Auswahl auflief, brachte es zwischen 1945 und 1952 auf 25 A-Länderspiele für Österreich und erzielte dabei 19 Volltreffer. Das vierte Tor der Österreicher an jenem Tag erzielte übrigens Leopold Neumer vom FK Austria Wien.
Gut für die Moral
Jenes erste Länderspiel nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges 1945 auf Österreichischem und Wiener Boden am 6. Dezember 1945 gegen die Grande Nation kann heute ruhigen Gewissens als die Auferstehung des Fußballsports in Österreich angesehen werden. Und auch das Volk der Österreicherinnen und Österreicher stand wieder auf und erschuf bis in unsere heutigen Tage hinein ein Land, in dem wir alle gut und glücklich gemeinsam leben können. Denken wir stets daran, woher wir kommen, was einstmals gewesen ist, und was wir alle – ein(e) Jede(r) für sich – gemeinsam dafür tun können, diesen hervorragenden Lebenszustand in unserem wunderbaren Österreich aufrecht zu erhalten. „Auferstanden aus Ruinen!“ ist ein Faktum, das zählt. Daran sollten wir denken, das sollten wir allesamt NIE VERGESSEN.
Quelle: Redaktion www.oepb.at
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