Die 21. Fußball-Weltmeisterschaft als FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018 steht unmittelbar bevor. Die Eröffnung steigt am morgigen Donnerstag, 14. Juni 2018 mit der Begegnung des Gastgebers Russland gegen Saudi-Arabien um 17 Uhr (18 Uhr Ortszeit) in Moskau. Die Österreichische Fußball-Nationalmannschaft ist bei diesem Spektakel zwar leider nicht mit von der Partie, dennoch lohnt der Blick in die Geschichtsbücher allemal, um festzustellen, dass eine ÖFB-Auswahl im Rahmen dieses fußballerischen Großereignisses bis heute den Weltrekord hält, im positiven Sinne.
Die Hitzeschlacht von Lausanne anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 brannte sich ob der tropischen Temperaturen am 26. Juni 1954 sprichwörtlich ins Gedächtnis ein und wir möchten diesem denkwürdigen Match von anno dazumal samt ihren Protagonisten noch einmal eine würdevolle Plattform bieten. Aber der Reihe nach:
Die Qualifikation
Als die ersten Ausscheidungsspiele 1953 für die Fußball-WM im Folgejahr ausgetragen wurden, zählte die Österreichische Fußball-Nationalmannschaft zur absoluten europäischen Elite. Hätte es bereits damals eine FIFA-Weltrangliste, die 1993 eingeführt wurde, gegeben, die ÖFB-Auswahl wäre im Spitzenfeld gestanden. Das Ungarische Wunderteam um Kapitän Major Ferenc Puskas nahm hier wohl eine Ausnahmestellung ein, doch die Österreicher waren mit Nationen wie Italien, England, Frankreich oder Jugoslawien auf gleiche Höhe zu stellen. Die DFB-Auswahl, die aufgrund der Kriegswirren des 2. Weltkrieges erst wieder ab November 1950 Länderspiele austragen durfte, spielte in diesen frühen 1950er Jahren im internationalen Fußball noch keine allzu große Rolle. Was sich jedoch bekanntlich ab 1954 für Deutschland schlagartig ändern sollte.
An den Ausscheidungsspielen, die zwischen 9. Mai 1953 und 4. April 1954 stattgefunden hatten, nahmen 36 Nationen teil. Diese wurden von der FIFA in 13 Gruppen zu zwei, drei und vier Mannschaften eingeteilt. Österreich bekam es in der Gruppe 5 lediglich mit Portugal zu tun, um anhand von Hin- (in Wien) und Rückspiel (in Lissabon) zu ermitteln, wer denn von diesen beiden Nationen das Ticket für die Schweiz buchen würde. Und so deklassierte Österreich am 27. September 1953 im Wiener Stadion die Portugiesen mit sage und schreibe 9 : 1, bei einem Pausenstand von 4 : 0. Die Besucherzahl schwankt zwischen 55.000 und 60.000 Zuschauern.
Der RAPID-Spieler Erich Probst scorte an diesem Tag 5mal. Als weitere Torschützen traten Ernst Ocwirk (FK Austria Wien), Ernst Happel (SK RAPID Wien), Theodor Wagner (SC Wacker Wien) und Robert Dienst (RAPID) in Erscheinung. Für die Portugiesen traf zum zwischenzeitlichen 1 : 5 José Aguas, der 10 Jahre später bei der Wiener Austria anheuern sollte. Das Rückspiel schien eine klare Sache für Österreich zu sein? Wohl kaum, denn bei einem Sieg Portugals, in welcher Höhe auch immer, hätte es eines Entscheidungsspieles auf neutralem Boden bedurft. Die Portugiesen entsandten am 29. November 1953 eine komplett neu formierte Elf, die es Österreich sehr schwer machte. Die ÖFB-Abwehrreihe stand vor 65.000 Zeitzeugen mit Gerhard Hanappi (RAPID), Walter Kollmann (Wacker), Karl Stotz (Austria), sowie Torhüter Walter Zeman (RAPID) felsenfest und das 0 : 0 genügte am Ende zur bisher zweiten Teilnahme an einer Fußball-WM der Österreicher. Anmerkung: Österreich qualifizierte sich zwar nach 1934 neuerlich 1937 für die WM 1938, ging aber aufgrund des politischen Anschlusses an das Deutsche Reich in der DFB-Auswahl auf.
Nachdem also die Teilnahme Österreichs an der WM in der Schweiz gesichert war, bildete der ÖFB ein Technisches Komitee, dem Bundeskapitän (Teamchef) Walter Nausch, Co-Trainer Edi Frühwirth, Selektionär Hans Pesser und Assistenz-Trainer Josef Molzer angehörten. Am 17. Mai 1954 reisten 30 Team-Kandidaten in die Bundessportschule nach Obertraun, um den letzten Schliff zu erhalten. Dieses Trainer-Gespann führte dann am 9. Juni die ÖFB-Auswahl zur Weltmeisterschaft in den Bezirk Baden, Kanton Aargau, anhand dieser man sich auch aufgrund der guten Vorbereitungs-Ergebnisse große Hoffnungen machen konnte. Getestet wurde jeweils in Wien gegen Ungarn (0 : 1, 11. April 1954, 60.000 Zuschauer), Wales (2 : 0, 9. Mai 1954, 60.000 Besucher), sowie Norwegen (5 : 0, 30. Mai 1954 vor 48.000 Fußball-Anhängern).
5. Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz
Österreich fiedelte also einmal mehr im Konzert der Großen mit. Und dass mit dieser Auswahl zu rechnen war, bewiesen die ersten beiden Spiele: Schottland unterlag am 16. Juni in Zürich vor 30.000 Zuschauern Österreich mit 0 : 1. Erich Probst trat als Goldtorschütze auf. Dieser Sieg wurde drei Tage später noch getoppt. Die Tschechoslowakei zog gleich mit 0 : 5, abermals in Zürich vor 28.000 Besuchern, den Kürzeren. Ernst Stojaspal (Austria, 2mal) und Erich Probst (3mal, klassischer Hattrick in Form von drei aufeinander folgender Tore in der Zeit zwischen der 4. und 24. Spielminute) trafen für Österreich. Der nächste Streich folgte gegen die Schweiz mit 7 : 5, ehe man in Basel am 30. Juni vor 37.000 Leuten gegen den späteren Weltmeister Deutschland fürchterlich unter die Räder kam. 1 : 6, das Ehrentor erzielte beim Stand von 0 : 2 abermals Erich Probst. Im Spiel um Platz Drei behielt Österreich allerdings die Oberhand und schlug den zweimaligen Weltmeister Uruguay mit 3 : 1. Stojaspal, Luis Cruz mit einem Eigentor und Ocwirk trafen für Österreich. Und so ging eben diese Fußballweltmeisterschaft 1954 mit dem 3. Platz als die bisher erfolgreichste in der Geschichte des ÖFB in die Annalen ein.
Zum Tor-Rekord einer WM
Auf dem Weg zum Spiel um Platz 3 traf man im Viertelfinale am 26. Juni 1954 vor 52.000 Eidgenossen in Lausanne auf das Gastgeberland, die Schweiz. Dieses Spiel sollte es wahrlich in sich haben. Österreich, wie Uruguay, in der Gruppe 3 gesetzt trat nach den beiden Siegen gegen Schottland und die CSSR mit gestählter Brust auf. Die Schweizer, die in Gruppe 4 nach einem 2 : 1 gegen Italien und einem 0 : 2 gegen England ein Entscheidungsspiel um den Aufstieg benötigten – 4 : 1 gegen Italien – wollten ihrerseits natürlich den Heimvorteil für sich ausnützen.
Und so lief dieses Spiel im Zeitraffer ab:
Die Begegnung fand bei tropischer Hitze statt, wobei ÖFB-Keeper Kurt Schmied (Vienna) einen Hitzeschlag erlitt, aber dennoch bis zum Schlusspfiff durchhielt.
1. Minute: Schmied wehrt einen Schuss ab;
17. Minute: Auf Linksaussen überspielt Robert Ballaman Hanappi und Happel und schießt bedrängt aus einer Distanz von 14 Metern. Der Ball springt unhaltbar von der rechten Kreuzecke ins Tor – 1 : 0;
18. Minute: Ballaman stürmt vor und passt zu Josef Huegi. Dieser vollendet aus wenigen Metern in die linke untere Ecke zum 2 : 0;
19. Minute: Hanappi lässt Jacques Fatton ziehen, die Flanke kommt zu Charles Antenen. Dieser legt aus der Luft auf Huegi auf, es steht 3 : 0;
25. Minute: Wagner nimmt ein Zuspiel von Stojaspal ausserhalb des Strafraumes auf und riskiert einen Weitschuss. Der Ball saust zum 3 : 1 in die lange, untere, linke Ecke.
26. Minute: Probst spielt zu Alfred Körner (auch Körner II gerufen). Der Linksaussen schießt sofort von der Strafraumgrenze und das Leder dringt haargenau in die rechte Kreuzecke ein – nur mehr 3 : 2 für die Schweiz.
28. Minute: Ausgleich zum 3 : 3 durch Wagner nach herrlichem Zuspiel von Stojaspal.
32. Minute: Körner II passt zu Ocwirk und dieser ballert drauf los. Der Referee Edward Faultless steigt zwar über den Ball, irritiert dadurch Ocwirk, doch die Kugel findet aus 20 Metern Torentfernung den Weg in die linke unter Ecke. 3 : 4 aus Sicht der Schweiz.
35. Minute: Hanappi unternimmt einen Sturmlauf und spielt zu Robert Körner (Körner I). Dieser lässt auf seinen Bruder Körner II weiterlaufen, dessen Torabschluss zum 3 : 5 erfolgreich verläuft. Österreich hat somit zwischen der 25. und 35. Spielminute nicht nur die Begegnung nach 0 : 3-Rückstand komplett gedreht, sondern auch 5 sehenswerte Treffer anhand einer fulminanten und bisher noch nie dagewesenen Aufholjagd erzielt;
39. Minute: 4 : 5. Hanappi wird von Charles Casali gestoppt. Blitzschnell kommt ein Zuspiel auf Fatton, der das Leder am herauseilenden Schmied vorbei ins Netz verfrachtet;
44. Minute: Stojaspal wird von Roger Bocquet im Strafraum gefoult. Den Penalty donnert Körner I weit links am Tor vorbei.
Halbzeit: Spielstand Schweiz gegen Österreich: 4 : 5
53. Minute: André Neury blockt einen Österreich-Angriff ab. Karl Koller (Vienna) bringt den zu kurz abgewehrten Ball neuerlich in den Strafraum. Das Leder rutscht Bocquet über den Kopf direkt vor die Beine Wagners, der unhaltbar zum 4 : 6 vollendet. Die Schweizer reklamieren Abseits, vergeblich.
58. Minute: Fatton spiel Huegi frei, der aus 18 Metern schießt. Der Ball, der leicht zu fangen war, gleitet Schmied aus den Händen hinein ins österreichische Tor, 5 : 6.
76. Minute: Ocwirk spielt einen herrlichen Pass zu Probst, dessen Schuss am herauslaufenden Torhüter Eugene Parlier vorbei ins Netz kullert. 5 : 7!
Dies sollte es dann gewesen sein. Jubelnd lagen sich die Österreicher in den Armen und feierten mit den mitgereisten Schlachtenbummlern, ohne zu ahnen, einen Tor-Rekord anlässlich einer Fußball-Weltmeisterschaft von 12 Volltreffern, der bis in die heutige Zeit Bestand hat und auch seine Gültigkeit besitzt, aufgestellt zu haben. Nie mehr wieder wurden im Rahmen eines Fußball-Weltmeisterschaftsspieles mehr Tore erzielt. Oder doch? Anhand der Fußball-WM in Spanien wackelte dieser Rekord gewaltig, Ungarn schlug am 15. Juni 1982 in Elche El Salvador mit 10 : 1 (Pausenstand 3 : 0).
Jene Teams standen sich gegenüber:
Schweiz: Tor: Eugene Parlier (Servette Genf), Abwehr: André Neury (Servette Genf) und Roger Bocquet (Lausanne Sports); Mittelfeld: Wilhelm Kernen (FC La Chaux-de-Fonds), Oliver Eggimann (FC La Chaux-de-Fonds) und Charles Casali (Young Boys Bern); Angriff: Charles Antenen (FC La Chaux-de-Fonds), Roger Vonlanthen (Grasshoppers Zürich), Josef Huegi (FC Basel, 3 Treffer), Robert Ballaman (Grasshoppers Zürich, 1 Treffer) und Jacques Fatton (Servette Genf, 1 Treffer).
Österreich: Tor: Kurt Schmied (First Vienna FC); Abwehr: Gerhard Hanappi (SK RAPID Wien) und Leopold Barschandt (Wiener Sportclub); Mittelfeld: Ernst Ocwirk (FK Austria Wien, 1 Tor), Ernst Happel (RAPID) und Karl Koller (Vienna); Angriff: Robert Körner I (RAPID), Ernst Stojaspal (Austria), Theodor Wagner (SC Wacker Wien, 3 Tore), Erich Probst (RAPID, 1 Tor), sowie Alfred Körner II (RAPID, 2 Tore).
Und so kann die Fußball-Nation Österreich gemeinsam mit der Schweiz darauf stolz sein, an diesem Treffer-Festival aktiv beteiligt gewesen zu sein. Tore als das Salz der fußballerischen Suppe sind nun einmal das Um und Auf dieser Sportart. Der heutigen ÖFB-Nationalmannschaft sei dieser Umstand auf den weiteren Weg ihrer sportlichen Entwicklung mitgegeben. Auf, dass dereinst ähnlich große Erfolge wieder ins Haus stehen werden, wie dies ihren fußballerischen Großvätern im Jahre 1954 gelungen war.
Der Autor Kurt Palm befasste sich anhand seines Buches „Die Hitzschlacht von Lausanne / Österreich – Schweiz 1954“ noch einmal mit dem Phänomen dieses Spiels. Österreich und die Fußball WM 1954 in der Schweiz, das passte zusammen. Erfolgen gegen Schotland (1 : 0), der Tschechoslowakei (5 : 0), dem geschilderten 7 : 5 gegen die Schweiz stand lediglich das niederschmetternde 1 : 6 gegen Deutschland im Weg. Der versöhnliche Ausklang dieses Großereignisses fand mit dem 3 : 1-Erfolg im Spiel um Platz Drei gegen Uruguay statt.
Unvergessen sollte dieser Triumph für Österreich bleiben, auch der Umstand, dass der österreichische Auswahl-Torhüter Kurt Schmied trotz eines Hitzeschlages die ganzen 90 Minuten durchgehalten hatte. Dies verdient umso mehr Erwähnung, da Schmied in der Halbzeitpause in der Kabine ohnmächtig zusammengebrochen war. ÖFB-Teamarzt Dr. Jellinek diagnostizierte bei Schmied einen Sonnenstich, doch einen Torhüterwechsel gibt es nicht, wenngleich mit Walter Zeman (RAPID) und Franz Pelikan (Wacker) zwei Ersatzleute parat gestanden wären.
Und so trottete Schmied auf das Spielfeld zur zweiten Halbzeit zurück, glaubte jedoch, dass die Partie bereits gewonnen ist. Mit Eisbeutel und Sodawasserflaschen bewaffnet stand der Masseur Josef Ullrich hinter dem Tor und labte Schmied. Dazu meinte er später: „Der Kurtl torkelte mit brummendem Schädel zwischen den Pfosten herum und fragte andauernd nach dem Spielstand. Jedesmal, wenn die Schweizer angriffen, musste ich ihn darauf aufmerksam machen.“, so Pepi Ullrich.
Kurt Palm schildert auf 176 an Spannung kaum zu überbietenden Seiten den Auftritt Österreichs in der Schweiz und widmet jenem Spiel gegen das Gastgeberland seinen Themenschwerpunkt. Er lässt die Spieler von einst in Bild auch zu Wort kommen, erzählt anhand von Portraits deren weiteren Werdegang und führte beispielsweise mit Körner II ein längeres Interview. Zahlreiche Fotos und Faksimiles dieser Zeit runden ein gekonntes geschichtliches Buch-Werk ab.
Quelle: oepb
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