Anhand schier zahlloser Jubel-Choräle das Wiener Kaffeehaus betreffend, ist meist nur sehr wenig von dem eigentlichen Heißgetränk die Rede, das dort in der Hauptstadt der Habsburgermonarchie in Wien seit 1683 verabreicht wird – dem Kaffee nämlich.
Vielmehr wird Flair, Ambiente, Innen-Ausstattung und vieles andere mehr lobpreist. Was sich dort zwischen den Marmortischen, den Thonet-Stühlchen und den überdimensionalen Kaffeemaschinen jeden Tag und immer wieder aufs Neue abspielt, dieses Fluidum bezeichnet man dann als die „Wiener Kaffeehauskultur“ – seit 10. November 2011 übrigens zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe zählend.
Auch zahlreiche Literaten konnten es oft nur schwer in Worte fassen, was das faszinierende am Wiener Kaffeehaus eigentlich ist. Da war von „nomadenhafter Häuslichkeit“ (Karl Kraus) oder „von der holden Wurschtigkeit des Augenblicks“ (Alfred Polgar) die Rede, die den Stammgast umgab, wenn er sein Café betrat. „Im Kaffeehaus wurden literarische Schulen und Stile geboren und wieder verworfen, vom Kaffeehaus nahmen neue Richtungen der Malerei, der Musik, der Architektur ihren Ausgang.“, so Friedrich Torberg, der stets gerne als Kaffeehausliterat tituliert wurde.
Am intensivsten war diese Zeit der letzten Jahrzehnte des 19. und der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Die hochgeistige Elite Wiens war kaum irgendwo zuverlässiger anzutreffen, als in einem der zahllosen Wiener Kaffeehäuser im 1. Bezirk. Vorreiter waren hier das „Cafe Central“, das „Herrenhof“ und das „Griensteidl“.
Wie wichtig das Café in der kargen Zwischenkriegszeit für die Wienerinnen und Wiener war, darüber berichtete einst auch der große österreichische Kabarettist Karl Farkas, der meinte, dass er selbst oft völlig mittellos stundenlang bei einer trockenen Semmel im Kaffeehaus saß, dort jedoch Cercle hielt, um so zu erfahren, was es Neues in der Wiener Stadt gibt und ob nicht doch irgendwo eine Arbeit – auch wenn diese noch so geringfügig ist – „abzustauben“ wäre. Irgendwann im Laufe des fortgeschrittenen Tages bat er seinen „Ober Lehner“, ihm doch den Platz warm zu halten, denn er gehe jetzt rasch nach Hause, um einen Kaffee zu trinken …
Einer der prominentesten Kaffeehaus-Besucher im „Cafe Central“ im Palais Ferstel in Wien war – und vielleicht ist er es auch heute noch – der österreichische Schriftsteller Peter Altenberg, der eigentlich Richard Engländer hieß. Aufmerksamen Beobachtern wird bestimmt bereits die Pappmaché-Figur beim Entrée in das Café direkt beim Eingang aufgefallen sein. Der ältere Herr, der seit Jahrzehnten dort sitzt, ist Peter Altenberg.
Richard Engländer … den Rufnamen „Peter“ trug seine Jugendliebe Berta Lechner, die in „Altenberg“ an der Donau – heute St. Andrä-Wördern im Bezirk Tulln – heimisch war … verabreichte sich selbst diesen Namen. Als Peter Altenberg verfasste er vorwiegend kurze Prosa-Stücke und geistreiche Aphorismen, die ihm zwar immer wieder große Anerkennung, allerdings kein zählbares Salär einbrachten. So schlug er sich mehr schlecht als recht durch sein Leben. „Ich bin ein Schnorrer“ wusste er später über sich selbst zu berichten. Einige Gönner steckten ihm immer wieder etwas Geld zu, für Trinkgeld im Café reichte es verständlicherweise bei ihm nie. Beim Friseur feilschte er um den Preis. Erfolgreich – was ihm einen Dauerrabatt einbrachte. In Anlehnung an sein kärgliches Haupthaar nur allzu verständlich.
Richard Engländer stammte aus gutem Haus und war Student. Medizin und Naturwissenschaften in Wien, sowie Jus in Graz waren seine Fächer, ohne zählbaren Abschluss jedoch. Als er von den Universitäten abging, präsentierte er seinem Vater anstatt des Doktorates ein Attest des Arztes, das ihm, dem verträumten und achtlos in den Tag hineinlebenden Studenten, ein überaus reizbares Nervensystem bescheinigte. Demzufolge sei es ihm unmöglich, sich dem Alltagstrott eines geregelten Berufslebens zu stellen. Die Bohéme-Existenz, die Richard Engländer nunmehr als Peter Altenberg führen sollte, hatte somit ein medizinisches und juristisches Fundament, das ihm in Form von Tipps und Hinweisen an gute Freunde und Bekannte auch immer wieder ein wenig Kleingeld einbrachte.
Das „Café Central“ in der Herrengasse 14 in der Inneren Stadt in Wien war fortan sein Lebensmittelpunkt, 30 Jahre lang. Altenberg ließ sich sogar seine Post ins Kaffeehaus liefern. Es hieß über ihn, dass er entweder im Café Central sitzt, oder aber bereits am eiligen Weg dorthin sei, wenn man einmal auf der Suche nach ihm war.
Moritz Engländer, Altenbergs Vater, verschlang förmlich die französische Literatur. Die Gene brachten es hier wohl mit sich, dass Richard bereits in jungen Jahren Gefallen an französischen Prosagedichten fand. Nichtsdestotrotz verstand sein Vater nie, was der Junior da so schreibt, als dieser ihm Prosaskizzen, in denen es um Sinneseindrücke ging, vorlegte.
Dieser Telegrammstil, der typisch für Peter Altenberg war, wurde von Egon Friedell so erklärt: „Nur im Zeitalter der Telegraphie, der Blitzzüge und der Automobildroschken konnte ein solcher Dichter erstehen, dessen leidenschaftlichster Wunsch es ist, immer nur das Allernötigste zu sagen. Es kommt Altenberg niemals darauf an, etwas möglichst schön zu sagen, sondern dies möglichst präzise und kurz zu tun.“
Jahrelanger übermäßiger Konsum von Alkohol und Schlafmitteln brachte für Altenberg auch immer wieder kehrende und von Mal zu Mal länger anhaltende Sanatoriums-Aufenthalte mit sich, die er sich naturgemäß nicht leisten konnte. Doch wozu hat man Freunde? Die Liste derer, die anhand von Zeitungsanzeigen um Spenden für ihn baten war lang: Hermann Bahr, Egon Friedell, Alexander Girardi, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannstahl, Max Reinhardt und andere gingen stets mit dem Hute in der Hand für ihn herum.
In seinen letzten Lebensjahren, die Peter Altenberg zuerst in der Irrenhausanstalt Inzersdorf und später im Sanatorium am Steinhof verbrachte, zog er sich mehr und mehr von er Außenwelt zurück, war teilweise für niemanden mehr zu sprechen und verfiel in völlige Melancholie. Lediglich der Alkohol, dem frönte er nibelungentreu.
Der am 9. März 1859 – demnach genau heute vor 160 Jahren in Wien – als Richard Engländer geborene und vor 100 Jahren, nämlich am 8. Jänner 1919 als Peter Altenberg verstorbene österreichische Schriftsteller und Überlebenskünstler, sitzt heute noch, und das seit gut 30 Jahren, in seinem „Cafe Central“ gleich beim Eingang und ist dort für jedermann besuchbar.
Zwei runde Jubiläen in einem Jahr – ein unumstößlicher Umstand, den nicht allzu viele Künstler und Vordenker längst vergangener Zeiten aufweisen können.
Quelle: oepb