Rudolf Koblowsky, der am 1. Februar 2020 im 63. Lebensjahr stehend verstorben ist, war ein österreichischer Fußballfan der allerersten Stunde. Die Betonung liegt hier auf Fan und eben nicht auf Sportplatzbesucher.
Sein Verein war immer schon der SK RAPID Wien und seine Leidenschaft für Grün-Weiß begann irgendwann Mitte der 1960er Jahre aufzuflackern, um im Laufe der Jahre zu einem positiven Fanatismus zu avancieren.
Koblowsky, den seine Bekannten und Freunde „Koby“ nannten, war ein Bub, ein Kind, als ihm seine Eltern erlaubten, kurzerhand alleine aufs Match zu gehen. Und das kam so. Familie Koblowsky aalte sich im Wiener Stadionbad. Man schrieb den Sommer 1967.
Koby quengelte, dass heute die RAPID spielt und er gerne dorthin gehen würde. Irgendwann wurde es dem Vater zu bunt.
Er drückte seinem Filius ein paar Schillinge in die Hand und entließ ihn auf die Hütteldorfer Pfarrwiese. Normalerweise hätte der Vater seinen 10-jährigen Sohn begleitet, aber da Sommerferien und die schulischen Noten des Knaben auch sehr ordentlich waren, durfte Koby alleine auf´s Match gehen.
Jahrzehnte später plauderte der erwachsene Koby noch sehr anschaulich über dieses erste intensive Erlebnis seinerseits mit RAPID. „Nachdem mir mein Vater erlaubt hatte, zu RAPID zu gehen, sprang ich in die Wäsch´, nahm das mir zugesteckte Taschengeld und rannte die 2 Kilometer vom Stadionbad durch die Hauptallee zum Praterstern. Dort hinein in die Tramway und hinaus nach Hütteldorf. Ein Erlebnis. Der Tramwaywagen war, da ja Sommer, offen und ich fühlte mich wie ein Großer. Nach einer Ewigkeit an Fahrzeit mit zahlreichem Umsteigen war ich endlich in Hütteldorf, auf der Pfarrwiese, bei meiner RAPID. Dort war schon eine Menge los. Über 7.000 Leute waren gekommen zum Intertoto-Match gegen Lokomotive Leipzig. Goal haben wir keine gesehen, das Match endete 0 : 0, aber ich war am 8. Juli 1967 das erste Mal alleine bei der RAPID. Ein Wahnsinn für mich als Kind!“
Im Laufe der Zeit gehörte Koby den sogenannten „Fahnenschwingern“ an. Die jugendlichen Fußballfans, mit ihren großmaschig gestrickten Schals in den jeweiligen Vereinsfarben versehen und damit auch leicht zu erkennen, waren allesamt mit Fahnen ausgestattet. Fixe Fanblöcke gab es nicht, also tat man es der eigenen Mannschaft gleich und wechselte in der Halbzeitpause eben einfach auch die jeweilige Seite am Sportplatz, in diesem Falle auf der Pfarrwiese.
Wiederum einige Jahre später dann negative Schlagzeilen für RAPID. „Wir san noch an Match beim Spurtclub (Wiener Sportclub) mit zwatausend Leit ausse vom Plotz owe die Hernoisa Hauptstroßn bis zum Girtl. Dabei san a poar Scheibn und Spiagln hi wurdn (Schaufensterscheiben und Autospiegel zu Bruch gegangen). Du host leida oft Deppen dabeig´hopt. Des woar imma scho so.“, so Koblowsky im Zuge seiner Erinnerung an die 1970er Jahre.
Nach dem Durchlaufen der Kuttenzeit bis in die 1980er Jahre – damit waren Jeans-Jacken ohne Ärmel, sogenannte Westen oder Gilets gemeint, die mit zahlreichen Vereinsaufnähern versehen waren – stagnierte der Block West im damaligen Ing. Gerhard Hanappi-Stadion. RAPID hatte zwar gegenüber den anderen Vereinen größere Zuschauerzahlen, dennoch kamen selten mehr als die obligatorischen 4.500 Besucher zu einem Heimspiel. Und auch im Fanblock, dem Block West, konnte man „Fangen spielen“ beim Match, soviel leere Plätze waren dort vorhanden. Also fanden sich 5 RAPID-Fans ein, darunter auch der Koblowsky Rudl und man gründete kurzerhand die UR, die ULTRAS RAPID 1988. Wohin diese Bewegung bis heute geführt hat, weiß man, sieht man, hört man, wenn man sich für den Fußballsport hierzulande interessiert.
Die Idee der UR-Gründer schlug voll ein! Im Laufe der Zeit gesellten sich immer mehr Jugendliche in den Block, die Stimmung im Stadion wurde besser, hörbarer und auch optisch tat sich eine ganze Menge.
Für den Koby war das aber alles noch immer nicht gut genug. Auch aufgrund seiner Intervention wurde erreicht, dass im Jänner 1994 der erste Fußballstammtisch, eingeladen von der Österreichischen Fußball-Bundesliga, im AUSTROTEL am Westbahnhof stattfand. Dort saßen RAPIDler Austrianern gegenüber, GAK-Fans und solche von Sturm Graz reisten über den Semmering an, Sportclub-Anhänger teilten sich einen Tisch mit VIENNA-Leuten und auch aus Linz vom SK VÖEST tanzten 10 Mann an. Es war dies ein Konglomerat verschiedenartiger fußballerischer Weltanschauungen einträchtig vereint.
Diskutiert wurden nach dem ersten Beschnuppern und Kennenlernen die verschiedensten Problematiken aus Sicht der Fans. Beispielsweise das Stehplatz-Sterben stand ganz oben auf der Tagesordnung. Auch eine einheitliche Zulassung der Bengalischen Fackeln wurde angeschnitten und der FAN-CUP aus der Taufe gehoben. Anhand dieses Cups konnten sich die Fans was Stimmung und Choreographien anlangt, selbst hervorheben und beweisen. Unter der Schirmherrschaft der Bundesliga winkte dem Sieger des Fan-Cups neben einem gewaltigen Pokal auch ein Budget, das als finanzielles Zubrot für die Fanaktivitäten Verwendung fand. Der Brückenschlag zwischen Österreichischer Fußball-Bundesliga und Fußballfans war getan. Im Anschluss stand noch ein gemeinsamer Besuch des traditionellen Wiener Stadthallenturniers auf dem Programm.
Koblowsky, der auch ein Kosmopolit war, setzte sich für die allgemeinen Überlegungen und Probleme der Fußballfans hierzulande ein. Für ihn zählte dabei nicht die jeweilige Vereinsfarbe, sondern das Große und Ganze. Wer jetzt allerdings denkt, dass der damals, 1994, 36-jährige am Zenit seines Fanseins angelangt war, um sich damit zufrieden zu geben, der irrt gewaltig. Von da an ging es für ihn erst richtig los.
Koblowsky wurde beispielsweise nie müde, an Montagen die jeweiligen Medien zu buserieren, wenn diese seiner Meinung nach einen völligen Unsinn über den Österreichischen Fußball im Allgemeinen und den SK RAPID im Speziellen von sich gegeben hatten. Seine telefonischen Argumente waren stets stichhaltig und so mancher prominente Journalisten-Name, egal ob von den Print- oder den späteren elektronischen Medien musste klein beigeben.
Wir trafen uns außerhalb der jeweiligen Spieltage oftmals unter der Woche in Wien zum Gedankenaustausch. Kurioserweise fanden diese Treffen immer im 2. Wiener Gemeindebezirk, der Leopoldstadt, statt. Koblowsky liebte diesen Bezirk. Aber nicht nur diesen. Er war ein Wiener mit Leib und Seele und eben in jedem Hieb daheim. Aber in der Leopoldstadt, so seine Aussage, da gab es für ihn einfach die besten Beisln zum Sitzen und zum Plaudern.
Unsere stundenlangen Gespräche begannen oft so:
oepb: Servus Koby, wie geht´s Dir?
R.K.: Na ja, net so leiwant, waßt eh, mit unsere Ideen stehen wir wieder einmal an.
oepb: Du meinst die G´schicht´n bei der Bundesliga.
R.K.: Ja, es zaht si. Die ham uns zwar jetzta olle ins Boot g´holt, aber wenn wir dann mit unsere Vorschläg kumman, blocken´s ollas ab.
oepb: Koby, Du bist zu anstrengend für die. Gib ihnen Zeit, des wird schon was, wirst sehen.
R.K.: Jo, oba des dauert ollas so long. Wir könnt´n scho vü weida sein.
Und so sinnierten wir oftmals stundenlang bis in die sinkende Nacht hinein in dem einen oder anderen Etablissement im 2. Hieb. Ab und an gesellte sich eine „Schöne der Nacht“ zu uns und wir plauderten einfach zu Dritt munter weiter über all die Probleme der Welt. Wenn ich mich heute so an jene Jahre Mitte der 1990er zurückerinnere, dann gibt es den Großteil dieser Beisln einfach nicht mehr. Und jene urige Wiener Gemütlichkeit aus dieser Zeit ist auch völlig abhanden gekommen. Ewig schade darum.
Rudolf Koblowsky war auch ein Freund der Eisenbahn. Oftmals trafen wir uns zufällig am Westbahnhof, wenn meinereiner nach Terminen in Wien wieder heim nach Linz fahren wollte. Koby stand nach seiner Arbeit als Finanzbeamter am Perron und beobachtete die Züge, weil er vermutlich gerne in den einen oder anderen gestiegen wäre, um einfach abzuhauen. Warum er dies tat, Züge zu beobachten, dieses sein Geheimnis verriet er mir nie. Aber dass ich den Zug sausen ließ und wir uns in Richtung Gürtel gesellten, um dort die eine oder andere gemütliche Kaschemme aufzusuchen, das versteht sich hier nun von selbst.
Koblowsky war irgendwann von seiner RAPID enttäuscht. Es war kein Gerücht – wie beispielsweise eine große österreichische Gratis-Zeitung im Zuge ihres Nachrufes verfasste – sondern eine Tatsache, dass es ihm als „kleinen“ Fan gelungen war, einen Spieler zu RAPID zu lotsen. Rene Wagner kickte für den FC Boby Brünn. Koby schlug den Stürmer seiner RAPID vor und setzte auch Wagner davon in Kenntnis, dass es für ihn wohl am besten wäre, seine Karriere bei RAPID in Österreich fortzusetzen. Den Worten folgten Taten. Wagner wechselte 1996 nach Hütteldorf und blieb bis 2004 ein Grün-Weißer. Koby erwartete sich jetzt von RAPID nichts, das meinte er ehrlich. Nichtsdestotrotz hätte er sich über eine kleine Apanage von RAPID gefreut. Doch dort wurde er „net amoi ignoriert“. Im Gegenteil, die damaligen RAPID-Verantwortlichen speisten ihn mit den Worten ab, dass sie ihm zwar dankbar seien, aber als Fan, der er ja nun einmal ist, täte er seinem Herzensklub somit hier eine große Freude und helfe ihnen sogleich auch beim Sparen, weil einem Berufs-Manager hätte man eine ordentliche Provision zahlen müssen, aber ihm, dem Koby, dem Erz-Grünen, müsse man eben nichts zustecken.
R.K.: „Wast wos ma anbotn hobn?
oepb: Du wirst es mir gleich erzählen.
R.K.: A Dauerkortn für des Joar. Solche Trottln, die hob i mia ja eh schon zuaglegt und zoit natürli ah.“
oepb: Koby, wann wachst Du endlich auf? Denk an den Holzbach Heinz, was der gesagt hat. „Ein Fan ist dazu da, sein Geld an der Kasse abzugeben, das Match zu sehen, dann heimzugehen und sinngemäß mehr oder weniger die Goschen zu halten!“
R.K.: Hast eh recht Linzer, i wü´s hoalt nie so recht woar hob´n.
Wenn man nun am letzten Wochenende die zahlreichen Beileids-Transparente in den diversen Fan-Kurven (RAPID, LASK, Wacker Innsbruck, etc. …) gesehen hat, dann stellt man fest, dass er, der Koby, zwar bereits jahrelang weg vom Fenster war, aber allgengenwärtig war er nach wie vor. Sein Weg führte ihn bereits vor Jahren heraus aus Wien nach Horn ins beschauliche Waldviertel. Und auch unser Kontakt war lange schon Geschichte. So Geschichte, wie die alten Würstel-Stände beim Praterstern, der Grillturm im Wurstel-Prater, der „Schlauch am Hannovermarkt“, der Willi in seinem „Café Pam Pam“, und noch so vieles andere mehr …
Es waren schöne Zeiten, damals, wir und vor allen Dingen Du hattest etwas bewegt. Der Fan trat heraus aus seiner Anonymität, vor den Vorhang, wurde beachtet und man schenkte uns allen Gehör. Und das war gut.
Du warst jahrzehntelang viel zu stressbehaftet unterwegs, denn ein Match mit Dir gemeinsam im Stadion zu verfolgen, da musste man gut zu Fuß sein. Ich fragte mich oft, ob Du überhaupt etwas mitbekommst von dem, was da am Rasen geschieht, denn Dir war es wichtiger, Gott und die Welt beim Spiel – egal in welchem Block auch immer – zu begrüßen, als auch ab und an einen Blick auf Deine Grünen zu werfen. Du wolltest es allen recht machen, warst für alle jahrelang da und Deine Ohren waren voll mit dem Fan-Problemen der Leute. Doch eines gelang Dir wahrlich nie. Nämlich zu erreichen, dass alle Fans anhand der hochgehaltenen Schals diesen auch richtig präsentieren. „I werd nie vastehn, wia ma an Schal vakehrt in die Höh´ hoitn kann.“, so Deine Worte. Vollkoffer und Analphabeten gab und gibt es eben überall.
Doch nun ist es gut. Mach´s gut, Koby, Ruhe in Frieden, denn ein ehrendes Andenken sei Dir ohnehin gewiss.
Ach ja, eines noch. Es erfüllte Dich mit ungeheurem Stolz, als Erz-Grüner 1986 redaktionell beim FK Austria Wien-Buch „Ballett in Violett / 75 Jahre Fußballklub Austria“ von Dieter Chmelar mitgewirkt zu haben. Ein Wiener Derby eben der etwas anderen Art und Weise …
Quelle: Redaktion www.oepb.at
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