Das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) öffnet seine Türen – dieses Mal für eine ganz besondere Kooperation: Das Museum für Frauen- und Geschlechtergeschichte Charkiw erzählt mit „My Voice Means Something“. Ukrainische Frauen über den Krieg im hdgö-Foyer, wie Frauen aus der Ukraine mit dem Angriffskrieg Russlands umgehen. Die Schau präsentiert zwölf vom hdgö und dem Charkiwer Museum gemeinsam ausgewählte Biografien in ukrainischer, englischer und deutscher Sprache. Die Foyer-Ausstellung ist von 23. August bis 16. Oktober 2022 im hdgö zu sehen.
Sie schreiben Texte und interviewen ukrainische SoldatInnen, organisieren Widerstand oder versuchen, Mitmenschen im Krieg zu helfen und Kulturerbe zu schützen. Die vielfältigen Reaktionen von Frauen aus der Ukraine auf den Krieg stehen im Mittelpunkt von „My Voice Means Something“. Ukrainische Frauen über den Krieg. Das Online-Projekt des Museums für Frauen- und Geschlechtergeschichte Charkiw erhält ab 23. August im hdgö-Foyer einen physischen Raum. Ausgehend von ausdrucksstarken Zitaten und Fotos führt ein QR-Code digital zu den vollständigen Erzählungen, in denen die Frauen von ihrem Leben im und mit dem Krieg berichten.
„Es ist uns ein großes Anliegen, eine Geste der Solidarität mit den ukrainischen Museumskolleginnen zu setzen, die vor Ort ihre dokumentarische Kulturarbeit nicht mehr leisten können. Das Museum für Frauen- und Geschlechtergeschichte Charkiw wurde durch die Kriegshandlungen buchstäblich ins Web vertrieben. Wir stellen daher sehr gerne unser Foyer zur Verfügung, um diesem zeitgeschichtlichen Projekt auch physischen Platz im Museum zu geben. Denn Museen sind vor allem auch soziale Räume, die Begegnungen auf Augenhöhe ermöglichen. Die gemeinsam ausgewählten Geschichten von zwölf ukrainischen Frauen bieten sehr persönliche Einblicke und konfrontieren uns unmittelbar mit den aktuellen geopolitischen Entwicklungen“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer.
Die couragierte und gendersensible Haltung des hdgö beschreibt auch die Charkiwer Direktorin Tetiana Isaieva als Motivation, ihr partizipatives Projekt im hdgö zu zeigen. „Dieses Projekt ist eine Sammlung von persönlichen Geschichten über den Krieg, über Frauen, ihre Gedanken, Gefühle, Erfahrungen, Verluste, über das vom Krieg zerstörte Leben, über den Glauben und die Liebe zu Kindern, zum Leben, zur Ukraine“, so Isaieva. „Dank der innovativen Ansätze und kreativen Lösungen des hdgö, dessen Unterstützung und Engagement, werden die Geschichten jetzt in einem breiteren Kreis der österreichischen Öffentlichkeit bekannt“, sagt die Direktorin, die ihr eigenes Museum vorerst ins Internet verlegen musste und aus der schwer zerstörten, zweitgrößten Stadt der Ukraine nach Österreich flüchtete.
Zur Ausstellung
Der 24. Februar 2022 teilte in der Ukraine das Leben in „davor“ und „danach“. Seither sammelt das Museum für Frauen- und Geschlechtergeschichte Charkiw im Projekt „Her Story of the War“ Geschichten von Frauen aus dem ganzen Land, über 100 sind mittlerweile online abrufbar. Eine Auswahl ist nun im hdgö zu sehen: In der Foyer-Ausstellung „My Voice Means Something“. Ukrainische Frauen über den Krieg berichten zwölf Frauen von den Auswirkungen des Krieges auf ihr berufliches und privates Leben.
„Ich hatte nicht geglaubt, dass es einen richtigen Krieg im Land geben könnte, bis am 24. Februar die ersten Raketen flogen. Ich weigerte mich, das für möglich zu halten, weil es wie Irrsinn wirkte, im 21. Jahrhundert zu kämpfen. Wir können für verschiedene Ansichten ‚kämpfen‘, aber wir brauchen nicht das Gebiet von jemand anderem“, sagt Bogdana Stelmah. Sie brachte Menschen auf der Flucht über Lwiw unter und setzte sich als Aktivistin für den Schutz von bedrohtem Kulturerbe ein.
Als Alina Sarnatska von Kiew aus die ersten Raketen hörte, entschloss sie sich, ohne jede Ausbildung zur Armee zu gehen. Auf Social Media wurde sie daraufhin nicht nur beschuldigt, die Rolle einer Soldatin lediglich vorzutäuschen. Manche unterstellten auch, die Armee sei ein leichter Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, von der so viele UkrainerInnen plötzlich betroffen waren. „Jemand schickte mir eine Nachricht auf Social Media, dass ich nur eine Soldatin spielte und keine richtige war. Die Person behauptete, dass viele das tun würden – bloß Fotos mit Maschinengewehren in einer Uniform aufnehmen. Und dass an meiner Stelle Profis stehen sollten. Also, ich wusste nicht, ob ich eine richtige Soldatin war, wahrscheinlich nicht. Und es sollten jedenfalls Profis an meiner Stelle stehen, aber es gibt keine. Und ich bin hier.“
Olena Zaitseva wiederum lebt seit ihrer Flucht in einem ländlichen Dorf in der Ukraine. Sie engagiert sich seit Jahren für die Rechte von Frauen. Innerhalb ihrer feministischen Netzwerke setzt sie auch Initiativen für die Unterstützung von Geflüchteten und gegen Menschenhandel. „Das Leben im Dorf hat mich daran erinnert, wie tief Geschlechterklischees noch im Denken der Allgemeinheit verankert sind. Die Leute meinen immer noch, Frauen müssten kochen und putzen – Männer machen normalerweise nicht einmal den Abwasch. Als die Straßen neben dem Kindergarten gekehrt werden mussten, dort wo die Geflüchteten untergebracht waren, kamen keine Männer, obwohl definitiv welche da waren.“ Der Krieg irritiert und verstärkt traditionelle Rollenbilder gleichermaßen.
Das sind drei der zwölf Frauen, deren Geschichten und Fotos in der Foyer-Ausstellung in Auszügen gezeigt werden. QR-Codes führen zu den vollständigen Texten auf Englisch und Ukrainisch sowie zu weiteren Bildern der Beitragenden. Ein Ziel der gemeinsamen Schau der beiden Museen ist, die unterschiedlichen Formen des Umgangs mit der Kriegssituation aufzuzeigen und die biografischen Zäsuren zu vermitteln. Die präsentierten Geschichten dieses partizipativen Projekts stellen als rein subjektive Erlebnisberichte keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie bieten einen Einblick in die vielfältigen Erfahrungen des Kriegs, der am 24. August – dem ukrainischen Unabhängigkeitstag – schon ein halbes Jahr in Europa tobt.
„My Voice Means Something“. Ukrainische Frauen über den Krieg
ist von 23. August bis 16. Oktober 2022 im Foyer des hdgö zu sehen. Die Inhalte der Ausstellung werden vor Ort auf Ukrainisch, Englisch und Deutsch präsentiert, weiterführende Texte stehen digital auf Englisch und Ukrainisch zur Verfügung. Die Auswahl der im hdgö präsentierten Geschichten wurde von Tetiana Isaieva (Museum für Frauen- und Geschlechtergeschichte Charkiw) und Natalija Jakubova (Kulturwissenschaftlerin) gemeinsam mit Stefan Benedik (hdgö) und Antonia Heidl (hdgö) kuratiert.
Weiterführende Links
“My Voice Means Something“. Ukrainische Frauen über den Krieg:
https://hdgoe.at/my_voice_meas_something
Web-Ausstellung des Museums für Frauen- und Geschlechtergeschichte Charkiw „HerStory of the War“:
https://gendermuseum.com/en/herstory-of-the-war/
Quelle: Haus der Geschichte Österreich / HdGÖ
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Das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ)
Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik und organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek angebunden. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das HdGÖ in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung. Viele Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.