Als das Kabarett Simpl anno 1912 in der Wiener Wollzeile seine Pforten öffnete, um das Publikum mit „echtem Brettlsinn, mit Satire und viel Witz“ zu unterhalten, war Fritz Grünbaum bereits ein beliebter, in der „Hölle“ im Keller des Theaters an der Wien entdeckter Conferencier.
Die große Begeisterung des Wiener und Berliner Publikums für den scharfsinnigen, selbstironischen Kabarettisten mit der angenehmen, melodischen und facettenreich eingesetzten Brünner Aussprache lässt sich lebhaft nachvollziehen, lauscht man der Originalaufnahme auf der von PREISER RECORDS herausgegebenen CD „Vierweiberei“, gelesen und einmal mehr pointiert vorgetragen von
Heinz Marecek. „Fritz Grünbaum confériert“ ist eine gewitzt eingeführte „Auto-Conférence“ darüber, warum Grünbaum seinem Grünbaum nicht über den Weg traut, und eine originelle Variante der Doppelconférence, die das Duo Fritz Grünbaum und Karl Farkas ab 1921 im Kabarett Simpl entwickelte.
“Mein Kollege, der Affe“, wie alle restlichen zwölf Gedichte der CD von Heinz Marecek vorgelesen, ist ein weiteres Beispiel der schöpferischen Grünbaumschen Selbstironie. Ein eitler Kabarettist beschwert sich über den Erfolg seines Kollegen Moritz, dessen Darbietungen auf der Bühne angeblich darauf beschränkt sind, dass er sich auf einen Nachttopf setzt, – „Ich bitt Sie, wollen Sie sich vorstellen jetzt, / wie ich mich da auf das Weiße setz? / Ich treff die Kunst auch und ohne Geschrei. / Aber glauben sie, es möchte‘ mir wer zuschauen dabei?“ – und wird schließlich von seinem Publikum selbst „zum Affen“ gemacht.
Teils selbstironisch, teils zeitkritisch thematisiert Grünbaum seine Situation als Jude in einer Stadt, in der Antisemitismus zur Tradition und längst salonfähig geworden ist, wie etwa im Gedicht „Grünbaum“, das in dem vom Molden Verlag herausgegebenen und die CD ergänzenden Band „Vierweiberei“ abgedruckt ist: „Leute, die, Grünbaum genannt, herumlaufen, / Haben eben Tuch zu verkaufen, / Sie eignen für lyrische Stoffe sich nie, / Brünner Stoffe, das ist was für sie!“ (Quelle: Fritz Grünbaum / Vierweiberei: Erotische Gedichte ausgewählt von Heinz Marecek, Wien, Molden Verlag, 2005, S. 104)
Bereits als junger Student der Jurisprudenz in Wien habe Grünbaum an der fixen Idee gelitten, dass zu wenig gelacht würde und nur im Kabarett sei es möglich, seinem Publikum die Wahrheit zu sagen und dieses gleichzeitig zu unterhalten. Dem Kabarettkünstler empfiehlt Grünbaum zwar, er möge die anspruchsvolle Muse entlassen, doch zieht er in seinen einprägsamen Paarreimen sämtliche Register der Poetik und Rhetorik, bis zur wortreichen Wiederholung.
Mühelos behaupten sich Grünbaums zeitkritische Pointen in einer gesellschaftlich veränderten Gegenwart. Ob er in seinen Gedichten nun ein Lob auf die Polygamie spricht, oder den Sinn einer Eheschließung hinterfragt, ob er den Lesenden hilfreich die Kunst erklärt, wie man ein Verhältnis beendet, die Bedeutung eines Hausfreunds für eine glückliche Ehe ausmalt, oder ein Kuss-Vergnügen mit dem Genuss beim Verzehr eines Gulaschs vergleicht, stets überrascht die an Heinrich Heine anklingende Ironie mit einer ernüchternden Wendung. Fein Elschen und ihre vier Liebhaber belustigen ebenso, wie die süße Cecilie im fernen Seebad, die ihren Mann betrügt, während sie diesem einen ersten Brief schreibt.
Es ist Heinz Marecek zu verdanken, dass mit dieser CD an das Wirken des Meisterkabarettisten zurück erinnert und gedacht (gelacht) wird!
Über Fritz Grünbaum:
Geboren am 7. April 1880 in Brünn, gestorben am 14. Jänner 1941 im KZ Dachau, war Kabarettist, Conférencier, Kabarett-Leiter, Autor von Operetten, Revuen, Singspielen, Chansons, Couplets, Theater- und Filmschauspieler und Regisseur. Fritz Grünbaum, Sohn einer deutsch-jüdischen Kunsthandelsfamilie, verbringt Kindheit und Jugend in Brünn. Mit 18 Jahren inskribiert er sich in Wien für ein Jusstudium, der Dr. jur. bleibt jedoch ausständig. Schon während der Studienzeit beginnt er sich der Literatur zu widmen – mit der Organisation von Dichterlesungen in seiner Heimatstadt. Nach Beendigung des Studiums 1903 beginnt er mit dem Verfassen der ersten von in der Folge zahlreichen Operettenlibretti. Schon frühzeitig angetan vom Bühnenleben, begibt er sich im Laufe der Jahre in allen erdenklichen Rollen auf die Bretter, bevorzugt in Kellerbühnen, Kleinkunst- und Revuetheatern. Seine Kabarettkarriere begann 1906 mit dem Abstieg in die „Hölle“ im Souterrain des Theaters an der Wien, wo er zum großen Conférencier seiner Zeit wird. Er ist auch in Berlin ein immer wieder enthusiastisch begrüßter Gast – insbesondere auf Rudolf Nelsons Bühnen – und gleichzeitig der in Wien vermisste Star. 1914, als die Kriegsbegeisterung noch allgemein ist, hat Grünbaum seinen ersten Auftritt im „Simpl“, dem er bis zuletzt treu bleiben wird und wo er gemeinsam mit Karl Farkas 1922 die aus Ungarn kommende Doppelconférence etabliert und zur Vollendung führt. Zwischen 1928 und 1932 ist Grünbaum häufig in Berlin, spielt und textet für den deutschen Film, tritt in Theater- und Filmnebenrollen auf. Nach 1932 wendet er sich wieder mehr dem Kabarett und der Revue zu und arbeitet ab 1935 wieder zusammen mit Farkas. Ab 1937 erscheinen ihre Doppelconférencen nun auch in der Wiener Montagszeitung „Der Morgen“. Kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich, am 10. März 1938, spielen Grünbaum und Farkas ein letztes Mal im „Simpl“. Sie dürfen die Bühne danach nicht mehr betreten. Farkas gelingt die Ausreise, Fritz und Lilly Grünbaum missglückt ihre am 11. März versuchte Flucht über die tschechische Grenze. Grünbaum kann sich eine Weile in Wien versteckt halten, wird jedoch verraten und im Mai ins KZ Dachau, anschließend nach Buchenwald und wieder nach Dachau transportiert. Hier sind die Leidensgenossen sein letztes Publikum. Bald nach dem Silvesterabend, wo er tot krank ein letztes Mal conferiert, unternimmt Fritz Grünbaum einen Selbstmordversuch. Laut Totenschein ist er am 14. Jänner 1941 „an Herzlähmung abgegangen“.
Fritz Grünbaum war auch ein namhafter Kunstsammler. Nach der „Arisierung“ seiner Wohnung 1938 wurden die 453 Werke (u. a. Dürer, Rembrandt, Degas, Spitzweg, Kokoschka, 60 Arbeiten von Schiele) sowie seine Bibliothek zwangsverkauft. Verkaufsweg und Verbleib der Grünbaum-Sammlung konnten bis auf Schieles „Tote Stadt III“ jedoch nicht nachvollzogen werden.
„Ich bin mein ganzes Leben über meinen Büchern, meiner Arbeit gesessen und war ganz versessen – und dabei habe ich auf eines vergessen … ich habe vergessen zu leben.“ – so Heinz Conrads einmal in einer Erinnerung über Fritz Grünbaum in Anlehnung an „Der alte Herr Kanzleirat.“
Meinung des oepb:
Fritz Grünbaum, aber auch Karl Farkas prägten mit ihrem jüdischen Witz und „Hamur“ (wienerisch Humor) die österreichische Kabarett-Landschaft des 20. Jahrhunderts. Auch heute noch erinnert sich so mancher Nachwuchs-Darsteller dieser großen Künstler von einst und geht oftmals mit deren Sketches, Charme und Erzähl-Kunst hausieren. Dies ist insofern nicht schlecht, da somit dieser seinerzeitigen Ausnahme-Könner Österreichs in dieser Art und Weise wenigstens gedacht wird, denn der genau genommene Ursprung – auch heute noch – der Lach-Landschaft hierzulande liegt im ungarisch-böhmisch-jüdischen Witz der k.u.k.-Donaumonarchie, die anno 1938 mit knarrenden Stiefelschritten, Gewalt und Brutalität auf die unmenschlichste Art und Weise zerstört und geradezu ausradiert wurde. Es ist – einmal mehr – dem unvergleichlichen und großartigen Heinz Marecek zu verdanken, dass dieses witzige Gedankengut nach wie vor „fröhliche Urständ“ feiert und somit nicht gänzlich in der Versenkung verschwindet.
Vierweiberei / von Fritz Grünbaum
Erotische Gedicht ausgewählt und gelesen von Heinz Marecek
CD – Laufzeit: ca. 70 Minuten
ISBN 3-7085-0121-7
Preiser Records, Wien
Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang auch diese Rezension bei uns:
Fritz Grünbaum conferiert Fritz Grünbaum