Es passt ins Wien der Weltkriegsjahre und auch jene Tatsache, dass „Den Wurschtl kana daschlogn kann“ – ned amoi der Iwan – ist mit diesem Umstand perfekt zu vergleichen, denn Wien wäre nicht Wien gewesen, wenn man sich trotz der herannahenden Front den Spaß und die Freud´ am Fußballsport verbieten hätte lassen.
Das letzte Match im Krieg
Viele Jahrzehnte später war er der letzte Zeitzeuge, aber dafür ein quicklebendig lebhafter obendrein: Otto „Stopperl“ Fodrek. Wir trafen uns 2005 im Klubheim des WAC (Wiener Athletiksport-Club) im Prater aus Anlass „60 Jahre Kriegsende“ und „Stopperl“ referierte detailgetreu über jenen Tag;
Ostermontag, 2. April 1945
„Wir wussten zwar, dass die Front immer näher kommt, aber dieser Umstand ließ uns, den Daheimgebliebenen, den Spaß am Fußball nicht nehmen. Die damaligen Teams hießen: W.A.C., Vienna, Admira, FC Wien, F.A.C., Austria, Rapid und Oberlaa-Felten. Jeder Verein kam immer irgendwie auf 11 Fußballer. Die Spieler holte man aus den Spitälern, wo fußballfreundliche Ärzte genesene Verwundete bis zum nächsten Meisterschaftsspiel krankschrieben. Aber auch Front-Urlauber, die mit dem Ball umgehen konnten, wurden zu den verschiedensten „Lehrgängen“ eingeladen, bevor sie wieder zurück in den Krieg mussten. Und Zuschauer kamen auch, trotz Fliegeralarm und Total-Zusammenbruch aller öffentlichen Verkehrsmittel. Fußball war und ist eben ein Magnet. Und die Vereine kassierten sogar ein Eintrittsgeld.“, so Fodrek.
FK Austria Wien gegen den Wiener AC
Im Krieg war es so, dass oftmals Doppelveranstaltungen abgehalten wurden, also zwei Fußballspiele nacheinander an einem Tag auf ein und demselben Platz ausgetragen wurden. Es lässt sich heute nicht mehr ganz genau sagen, wer nun „Heimrecht“ hatte an jenem 2. April 1945, aber Otto Fodrek meinte, dass es sich für seinen WAC, für den er unter Vertrag stand, um ein Auswärtsspiel auf der eigenen Anlage gehandelt hatte. Umso erfreuter nahm er auch den späteren Endstand wahr.
Der Süden Wiens ist rot gefärbt
„Plötzlich hieß es, die Russen sind da!“, so Fodrek. „Wir hörten sie auch, denn während unseres Spiels war der Horizont am südlichen Stadtrand von Wien vom Feuer der Stalinorgeln bereits rot gefärbt. Und wir … wir stritten noch um einen Elfmeter in der Rustenschacherallee. Es gelang uns, die Partie, die um 15 Uhr angepfiffen wurde, trotz immer wieder aufheulender Sirenen irgendwie zu Ende zu spielen. 90 Minuten Fußball, nur Seitenwechsel nach der Ersten Halbzeit, keine Pause, dafür aber immer wieder kriegsbedingte Unterbrechungen. Heute unvorstellbar, aber so war das eben damals.“
Die Schlacht um Wien beginnt
Während einige Tage später „Die Schlacht um Wien“ begann – die Kämpfe dauerten eine Woche lang an – zog sich jeder zurück, so gut dies eben ging. Leben und Überleben war die einzige Devise. Otto Fodrek erinnerte sich: „Der Hunger trieb mich immer wieder hinaus in die Ruinen der Stadt. Natürlich auch auf den WAC-Platz. Zwei Granaten waren am Spielfeld eingeschlagen und hinterließen dort mächtige Löcher. Mein Bruder und ich, wir schütteten die Gräben wieder zu. Auch hatten die Russen bereits in unserem Klubheim gewütet. Sie zerstörten alles, was ihnen unter die Finger kam. Die Pokale, Bilder und Wimpel landeten im Dreck und der Tresor, der ohnehin leer war, wurde aufgesprengt.“
Ein Gaul ernährt die Rueppgasse
„An eine Lebensmittelversorgung war nicht mehr zu denken, die Anlieferung der ohnehin bereits sehr knapp bemessenen Nahrungsmenge hörte beinahe gänzlich auf. Aber der Hunger war unser ständiger Begleiter. Was also tun? Die Russen ließen einige ihrer Pferde am WAC-Platz grasen. Fesch, dachte ich mir, brauchen wir den Rasen nicht zu schneiden. Da kam mir eine Idee. Nachdem einige Sowjet-Offiziere aufgrund der gewonnenen Kämpfe um Wien meistens sehr lustig, um nicht zu sagen sternhagelvoll waren, fragte ich den Ober-Offizier, ob er nicht zur Abwechslung neben dem Wodka einen guten Österreichischen Wein haben will. Dieser meinte misstrauisch, was ich dafür haben wolle. Nun, eines seiner Pferde. Der Tauschhandel war perfekt, das arme Tier wechselte für zwei Doppler-Flaschen den Besitzer. Nun war die nächste Gefahr, wie bringe ich den Gaul, ohne auf ihm reiten zu müssen, gefahrlos in die Rueppgasse. Ich musste dabei über den Praterstern und dort wimmelte es nur so von russischen Soldaten. Aber ich hatte Glück, kam unbeschadet mit dem Tier nach Hause zurück und band es dort vor dem noch stehenden Wohnhaus an. In der Nachbarschaft arbeitete Albert Buschek, ein Freund meines Bruder und später in Wien ein bekannter Gastronom. Dieser betrieb ein Tierdarmverarbeitendes Geschäft. Er kümmerte sich um alles Weitere und die gesamte Rueppgasse hatte nun über eine Woche lang wunderbar zu essen.“, so Otto „Stopperl“ Fodrek über das Kriegsende in Wien.
Ein Kantersieg zum Schluss
Otto Fodrek bekam auch Jahrzehnte später noch ein Strahlen in den Augen, als er an den 2. April 1945 zurückdachte. „Auch wenn dieses Match aufgrund der abgebrochenen Meisterschaft wenig Wert hatte, ging es doch in die Geschichte als das letzte Fußballspiel im Zweiten Weltkrieg in Wien ein. Auch, wenn man heute nicht mehr weiß, wer nun die Gast-Mannschaft und wer der Heimverein war – Fakt ist und bleibt bis heute eines: W.A.C. gegen die Austria – 6 : 0 !!!„
Tausendsassa Fodrek
Otto „Stopperl“ Fodrek (* 28. Oktober 1921 in Wien, † 30. April 2016 in Wien) war zeitlebens mit dem Sport verbunden. Aktiv kickte er beim Wiener AC, als Trainer fungierte er bei der Vienna. Noch mehr bereitete es ihm allerdings große Freude, die Muskeln der Sportler durchzukneten. Als Masseur war er neben der Österreichischen Fußball-Nationalmannschaft für zahlreiche Vereine tätig. Auch seine Sportschule im Wiener Prater – heutiges Ernst Happel-Stadion – erfreute sich jahrzehntelang zahlreichen Zuspruchs. Bis ins hohe Alter blieb er aktiv und als Vorturner tätig. Eine männliche Ilse Buck, wenn man so will. Fodrek behielt sich auch stets seinen Humor. Ein „geht nicht“ gab es für ihn nicht. Und auch das typisch wienerische „Raunzen und Jammern“ gehörte nicht zu seinem Sprach-Repertoire. Das Wiener Original blieb der Rueppgasse in der Leopoldstadt, dem 2. Wiener Gemeindebezirk sein ganzes Leben treu. Seine lebhaften Erzählungen und Erinnerungen an immer mehr verblassende Zeiten, die bleiben im Gedächtnis all jener, die mit ihm zu tun hatten, haften.
Quelle: oepb