Bereits gestern Abend lud das Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich im Vorfeld des Gedenkjahres 1938-2018 den Regisseur Wolfgang Glück zum Zeitzeugenforum „Erzählte Geschichte“ . Im Gespräch mit Reinhard Linke erzählte der Schöpfer von unglaublichen 80 abendfüllenden Spielfilmen, 400 Fernseharbeiten und 100 Theaterinszenierungen von seinen persönlichen Erinnerungen an das Jahr 1938 und von seinen Begegnungen mit der Filmwelt nach seiner Oscar-Nominierung im Jahr 1987.
Wolfgang Glück machte sich mit Literaturverfilmungen von Arthur Schnitzler, Ingeborg Bachmann oder Peter Handke einen Namen. Nach seinem großen Erfolg der Verfilmung des „Schüler Gerber“ von Friedrich Torberg 1981 war es für ihn naheliegend, ein weiteres Stück desselben Autors in Angriff zu nehmen. Mit dem Film „38 – Auch das war Wien“ mit Tobias Engel und Sunnyi Melles in den Hauptrollen wollte er auch seine persönlichen Erinnerungen an 1938 verarbeiten, meint aber dazu bescheiden: „Ich weiß nicht, ob der Film wirklich die Zeit darzustellen imstande ist. Im Wesentlichen ist es die Geschichte eines Liebespaares, die an der Zeit scheitert.“ Die Rolle des Taxifahrers als Fluchthelfer, verkörpert durch Lukas Resetarits, wäre ihm wichtig gewesen um zu zeigen, dass es verschiedene Wege gab, mit dem Nazi-Regime umzugehen.
„An jenem Tag im März 1938, an dem Hitler einmarschiert ist, hat sich Bundeskanzler Kurt Schuschnigg per Radio von Österreich verabschiedet“, erinnert sich Wolfgang Glück. „Das habe ich verstanden, obwohl ich acht Jahre alt war.“ Als ihn seine Eltern vom Radio fernhalten wollten, sagte er: „Ich weiß ja sowieso was los ist, warum darf ich nicht dabei sein?“
Mit diesem Tag brach ein Leben in Angst an, jederzeit hätte die Gestapo an der Tür klopfen und seinen laut Nazi-Diktion halbjüdischen Vater mitnehmen können. „Bis heute erschrecke ich, wenn es in der Früh an der Tür läutet“, so der erfolgreiche Regisseur überaus nachdenklich.
Wolfgang Glück besuchte das Akademische Gymnasium in Wien , in dem er später den „Schüler Gerber“ verfilmte. Sein erster Schultag fiel mit dem ersten Kriegstag zusammen. Natürlich wagte er es nicht, das Horst-Wessel-Lied zu verweigern. Neben strammen Nazis hatte er aber auch Vertraute. Einer von ihnen war Otto Schenk, den er gegenüber dem Gymnasium am Wiener Eislaufverein kennengelernt hatte. Mit seinen Schulkollegen blieb er in Form von jährlichen Treffen in Kontakt. Einer von ihnen hatte bis zu seinem Tod Schuldgefühle, dass er sich damals den Nazis angeschlossen hatte und fragte ihn bis zum Schluss: „Bist mir eh nimmer bös?“ Auf die Frage, warum das Vergessen und Verdrängen so schnell einsetzte, meinte er: „Das ist sehr österreichisch. Auch wenn das ein wenig bösartig ist, wenn ich das jetzt sage.“
Mit dem „Schüler Gerber“ hat Wolfgang Glück auch ein heute sehr aktuelles Thema aufgegriffen, wo gerade wieder Missbrauchsvorwürfe in Bildungsanstalten die Medien dominieren. „Ich halte ihn für den besseren Film“, so Wolfgang Glück. „Er wurde ständig in Schulen gezeigt und ich wurde dazu auch eingeladen. Damals sagte ich immer: ‚Es ist heute doch ganz anders‘. Allerdings antworteten mir die Schüler ‚Es ist nur äußerlich anders‘. Es gibt also noch immer so Scheißkerle wie Professor Kupfer, die andere fertig machen“, so Glück besorgt.
Der Film „38 – Auch das war Wien“ wurde nach einem erfolgreichen Start bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig 1987 doch tatsächlich für den Oscar nominiert , auch wenn er ihn danach nicht bekam. Diese Auszeichnung brachte ihm neue Freundschaften und Möglichkeiten. „Wir hatten eine herrliche Woche in Hollywood“, erinnert sich Glück und wie sich bei einem Abendessen ein späterer Freund vorstellte. „Ich habe Ihren Film gesehen, mein Name ist Billy Wilder.“ So gelang es Wolfgang Glück auch, Billy Wilder 1994 nach Wien zu holen.
Der heute 88jährige Regisseur zeigte sich selbst an diesem Abend voller Tatendrang „Ich wollte viele Jahre nach meinen Film zu 1938 einen zweiten Teil machen, der hätte 1945, 1946 gespielt. Wenn Sie Geld haben, um den Film zu finanzieren, können wir das noch machen“, so Glück. Und er zeigte sich politisch besorgt: „Es gibt eine Bewegung, die wieder in dieses Fahrwasser kommt, das finde ich grauenhaft. Mein Film wird vielleicht niemandem lehren, das Haus der Geschichte vielleicht schon.“
Nach der anschließenden Vorführung des Films war sich allerdings das anwesende Publikum mehr als einig, dass auch ein Film bewegen kann.
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Die nächsten Veranstaltungen im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich sind ein Zeitzeugenforum „Erzählte Geschichte“ mit Peter Matić am 11. Jänner 2018 um 18 Uhr, sowie das erste Gastspiel der Original Wiener Zeitenwandler Martin Haidinger und Karl Vocelka mit dem Titel „Lager-Feuer. Wie die Erste Republik scheiterte“ am 30. Jänner 2018 um 18 Uhr.
Weitere Zeitzeugenforen und Veranstaltungen für das kommende Gedenkjahr 1918-1938-1968 sind in Planung.
www.museumnoe.at/de/haus-der-geschichte