Genie und Wahnsinn bei Marko Arnautovic. Einer tollen Vorlage zum 1:2 folgte die vergebene Ausgleichs-Chance zum Schluss. Foto: GEPA
Genie und Wahnsinn bei Marko Arnautovic. Einer tollen Vorlage zum 1:2 folgte die vergebene Ausgleichs-Chance zum Schluss. Foto: GEPA

12. September 2012

Und sie siegten also doch! Der vielzitierte Satz des Engländers Gary Linecker, der bereits vor über 20 Jahren gemeint hatte, dass Fußball ein Sport von Elf gegen Elf ist, bei dem am Ende immer die Deutschen gewinnen, konnte gestern Abend im mit 47.500 Besuchern restlos ausverkauften Wiener Ernst Happel-Stadion erneut strapaziert werden. Und auch die am Vortag vom Deutschen Teamchef Joachim Löw anerkennende Aussage gegenüber dem Österreichischen Fußball-National-Team, dass er ein „Augenhöhe-Spiel“ erwarten werde, fand statt. Die DFB-Auswahl rang in einem ihrerseits nicht gerade berauschend angelegten Spiel eine heroisch und aufopferungsvoll kämpfende ÖFB-Auswahl am Ende und nach 94 gespielten Minuten mit 2 : 1 nieder, wobei der tosende Applaus des stehenden Publikums der rot-weiß-roten Auswahl nach dem ertönten Schlusspfiff gehörte.

Ganz Wien – und auch ganz Österreich – war gestern Fussball! Verstopfte Zufahrtsstraßen rund um den Wiener Prater, nervös herumfuchtelnde Polizisten, die die jeweiligen Ampeln vermehrt durch Hand regelten, Autoschlagen und bummvolle U-Bahn-Garnituren der Wiener Linien, soweit das geschulte Auge auch nur reichte.

Der Silberstreif am Horizont für den ÖFB blieb gestern Abend als solcher für die Zukunft erhalten.
Der Silberstreif am Horizont für den ÖFB blieb gestern Abend als solcher für die Zukunft erhalten.

Ja, man sah sie wieder, überall und an jeder Ecke, die gänzlich in rot gewandeten Lokal-Patrioten, die aus sämtlichen Bundesländern angereist sind, um der neuformierten und voller Euphorie strotzenden ÖFB-Auswahl enthusiastisch beizustehen. Dem Schweizer Teamchef Marcel Koller war es binnen kürzester Zeit gelungen, nicht nur eine konkurrenzfähige Mannschaft zu formen, sondern darüber hinaus auch wieder Jubel und Begeisterung für die Österreichische Fußball-Nationalmannschaft zu erzeugen.

Andy Marek, im „zivilen“ Beruf Stadion-Plaudertasche beim SK RAPID, war einmal mehr in seinem Element. Zuerst gelang es ihm, das sich rasantest füllende Oval zu den Klängen von Rainhad Fendrich`s  „I am from Austria“ erstmals mitzureißen. Später winkte das gesamte Stadion anhand von 47.000 kleinen rot-weiß-roten Fähnchen, die erneut die Salzburger Stiegl-Brauerei zur Verfügung gestellt hatte, gleichmäßig zu den schwungvollen Klängen des Radetzky-Marsches im Takt. Für die 1.200 deutschen Schlachtenbummler avancierte dieser Umstand wohl zur Novität, kennt man doch diesen Marsch lediglich aus den Zugaben des alljährlich stattfindenden Österreichischen Neujahrs-Konzertes im TV. Und last but not least gemahnte Andy Marek einige wenige Unverbesserliche auf den Rängen, die bei der Deutschen Bundeshymne lautstark zu pfeifen begonnen hatten, zur Besinnung und „Fair Play“ – was ihm eindrucksvoll gelungen war – die Pfiffe verstummten urplötzlich. Es ward alles angerichtet und akribisch vorbereitet, mit 5minütiger Verspätung pfiff der holländische Referee Björn Kuipers um 20.35 Uhr den Auftakt zu Fußball-WM-Qualifikation 2014 in Brasilien für Österreich an.

Zlatko Junozovic krönte seine gute Leistung mit dem Anschluss-Tor. Foto: GEPA
Zlatko Junozovic krönte seine gute Leistung mit dem Anschluss-Tor. Foto: GEPA

Man merkte zu Beginn beiden Teams eine gewisse Nervosität und die Angst vor der eigenen Courage an. Deutschland agierte eines Kaninchens vor der Schlange gleich und Österreich tat das, wonach ein ganzes Land lechzte – den Versuch zu starten, dem „großen Bruder“ endlich, endlich einmal wieder ein Bein stellen zu können. Die erste Spielhälfte hatte es auch wahrlich in sich und zahlreiche Chancen wurden beiderseits feilgeboten:

3. Minute: Andreas Ivanschitz schickt Martin Harnik auf die Reise in den deutschen Strafraum, doch ein Bein der Abwehr und ein höchst aktiver DFB-Keeper Manuel Neuer waren als Tor-Verhinderer anzutreffen.

5. Minute: Robert Almer im ÖFB-Gehäuse volliert einen ungefährlich Rückpass ungeschickt ins Out, die daraus erste resultierende Ecke für Deutschland (2 : 2 Eckbälle in Halbzeit Eins, 1 : 1 Ecken in der zweiten Spielhälfte) brachte nichts ein.

Deutschland nimmt in dieser Phase den Druck aus dem Spiel und versucht dem permanenten Pressing der Österreicher den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ja, man versuchte geschickt, das Spiel zu verschleppen.

In der 10. Minute prüft Thomas Müller Robert Almer, jedoch keine Gefahr für Österreich. Im Gegenzug streicht ein Fernschuss von Ivanschitz über das Tor. In der gleichen Minute erhält Mesut Özil einen Pass ins Loch, die österreichische Abwehr zerstört diese Aktion. Kurz darauf zischt ein toller Martin Harnik-Weitschuss knapp neben den Kasten von Manuel Neuer. Dies alles ereignete sich in 90 Sekunden. Drei Minuten später erneut ein Andreas Ivanschitz-Weitschuss – über das DFB-Gehäuse.

      ÖFB-Feldherr Marcel Koller ist sehr guter Dinge für die Zukunft.
ÖFB-Feldherr Marcel Koller ist sehr guter Dinge für die Zukunft.

In der 16. Minute eine österreichische Angriffs-Aktion in Form von 3 : 3. Zlatko Junuzovic kommt zum Schuss, doch dieser fällt zu leicht für Neuer aus. Zwei Minuten später foult Sebastian Prödl Miroslav Klose. Den daraus resultierenden Freistoß von Özil  lenkt Almer in den Corner. In der 21. Minute pariert Almer einen Marco Reus-Schuss. Noch, wie sich später herausstellen sollte. In der 24. Minute stürzt Junuzovic über den heraus eilenden Neuer, doch der kleine und quirlige Österreicher hat wohl Gummi-Knochen, denn sein Handstand-Überschlag-Segler führte Gott Lob zu keiner Verletzung. Kurz darauf Elfmeter-Alarm für Österreich. Harnik wird im Strafraum zu Fall gebracht, doch es sah anhand der TV-Bilder eher nach Stolpern aus. In der 28. Minute erneut Martin Harnik –  sein üppiger Schuss von rechts saust neuerlich nur neben Manuel Neuer´s Heiligtum. Wiederum kurz darauf erhält Julian Baumgartlinger nach einem Corner eine Einschuss-Möglichkeit – leider ohne fruchtbaren Erfolg. In der 39. Minute passierte die erste Abseits-Stellung im Spiel. Deutschland hatte Österreich diesbezüglich sprichwörtlich „auf die Seif“ steigen lassen.

Es zog die 44. Spielminute ins Stadion ein. Marco Reus kommt an den Ball, umkurvt sehenswert György Garics und Emanuel Pogatetz und lässt mit seinem flach ausgerichtete Schuss Robert Almer, der zwar die Fingerspitzen noch am Ball hat, keine Chance. 0 : 1, garniert mit einer „man hätte die Stecknadel auf den Boden fallen hören können-Akustik“ machte sich breit. Kurz darauf war Pause. Resümee zur 1. Spielhälfte: Österreich agierte teilweise sehenswert, kombinierte rasch und gut, nützte die sich bietenden Chancen jedoch nicht. Deutschland abwartend, jedoch stets gefährlich. Der Pausenstand hätte durchaus auch 2 : 2 lauten können.

Zur zweiten Spielhälfte hat Österreich Anstoß, als es in der 50. Spielminute Aufregung gibt. Veli Kavlak stürmt von hinten in die Beine Thomas Müllers und dieser purzelt natürlich im österreichischen Strafraum hin. Der verhängte Elfmeter für Deutschland war jedoch fälschlich, standen zuvor Toni Kroos und besagter Müller im Abseits. Eine Fehlentscheidung des holländischen Referee-Trios. Wie dem auch sei verwertete Mesut Özil anhand von 11 Metern trocken zum 0 : 2. Und da war sie wieder, jene Frustration, die sich unwillkürlich breit macht, wenn man gut gegen Deutschland spielt, nichts Zählbares verbuchen kann und plötzlich in Rückstand gerät – weil es eben so sein muss und in den letzten Jahren stets so war. Aber weit gefehlt. Das Stadion erhob sich und peitschte die rot-weiß-rote Elf vermehrt an. Die Woge der Begeisterung schwappte erneut auf die Spieler über, als es Marko Arnautovic in der 57. Minute zu schwarz-weiß und bunt wurde. Er setzte zu einem Sololauf auf der rechte Seite an, düperte einige schwarz-weiße Germanen, zuletzt Mario Götze und sein Stanglpass zur Mitte wurde von Zlatko Junuzovic, zwischen Philipp Lahm und Mats Hummels und vor Manuel Neuer stehend zum 1 : 2 verwertet. Eine Co-Produktion des SV Werder Bremen führte zum österreichischen Anschlusstor, verdienen doch beide Österreicher ihre Brötchen im Hohen Norden an der Weser. Und Arnautovic und mit ihm die ÖFB-Elf rackerte weiter. Es folgten weitere Aktionen, wobei der letzte Pass jedoch nicht entscheidend ankam, im Rücken des Angriffs oder gleich in der Deutschen Verteidigung landete. Die deutsche Elf verlegte sich vermehrt auf die Spielverzögerung und allen voran Keeper Manuel Neuer hätte für seine stets aktive „sich Zeit lassen“-Aktionen die Gelbe Karte gebührt.

Martin Harnik hätte gestern Deutschland alleine erledigen können. Foto: GEPA
Martin Harnik hätte gestern Deutschland alleine erledigen können. Foto: GEPA

In der 87. Spielminute stockte dem Stadion der Atem. Der für Andreas Ivanschitz eingewechselte Jakob Jantscher legte mustergültig auf Marko Arnautovic auf und der Nr. 7 sprang der Ball fünf Meter vor dem Tor stehend über den Rist. Statt 2 : 2 Tränen und Frust bei einer ganzen Fußball-Nation. Selbst die üppige Nachspielzeit von 4 Minuten brachte außer verzweifelten ÖFB-Angriffsbemühungen nichts mehr ein, Deutschland gewann erneut und das bereits zum achten Mal in Folge gegen Österreich.

Der WM-Qualifikations-Auftakt wurde aus österreichischer Sicht also verloren, doch dennoch muss man den Kopf nicht in den Sand stecken. Erhobenen Hauptes schritten die Spieler nach verlorener Arbeit vom Feld. Die gezeigte Leistung schürt berechtigte Hoffnung für die weiteren Spiele im Rahmen der Qualifikations-Gruppe C.

Die Stimmen zum Spiel:

ÖFB-Teamchef Marcel Koller: „Nun, es passiert in den letzten Jahren immer wieder, dass eine Österreichische Nationalmannschaft, gerade gegen Deutschland, gut spielt … und verliert. Wir boten gerade in der 1. Spielhälfte ein tolles Pressing und ließen die Deutschen nicht ins Spiel kommen. Ich sah ein 6 : 2 an Chancen für uns in der 1. Halbzeit. Entscheidend war das 0 : 1 kurz vor der Pause. So ein Tor darf nicht passieren, man muss immer auf der Hut sein. In der 2. Hälfte ging vor dem Elfmeter ein klares Abseits voraus, das heißt, es hätte zu dem Strafstoß gar nicht kommen dürfen. Und dennoch bin ich guter Dinge, denn gegen Deutschland muss man immer mit einer Niederlage rechnen. Ich darf nochmals betonen, dass wir unsere Punkte gegen die unmittelbare Konkurrenz Schweden und Irland machen müssen. Auch die Kasachen müssen wir in den nächsten beiden Spielen bezwingen. Wir werden weiter an uns arbeiten, um hier Erfolg zu haben.“

Joachim Löw rechnete mit dem Sieg, gab aber zu, dass es Österreich den Deutschen nicht leicht gemacht hatte.
Joachim Löw rechnete mit dem Sieg, gab aber zu, dass es Österreich den Deutschen nicht leicht gemacht hatte.

DFB-Teamchef Joachim Löw: „Ich habe mit dem Sieg gerechnet. Österreich machte es uns jedoch sehr schwer. Die Stimmung im Stadion war hervorragend und wir hatten Glück, in der Schlussphase nicht doch noch den Ausgleich zu bekommen. Österreich hatte sehr gute Phasen, die wir allerdings zugelassen hatten, durch eigene Fehler und Unachtsamkeiten. Wir hatten zahlreiche Abspielfehler und standen oft nicht so gut. Dies wurde in der 2. Halbzeit besser. Österreich war der erwartet schwere Gegner und bot uns auch heute wieder jene Paroli, die wir hier seit 2008 erfahren durften. Dennoch war unser Sieg nicht glücklich, sondern verdient.“

Robert Almer/ÖFB: „Leider haben wir unsere zwingenden Chancen nicht genützt.“

Marko Arnautovic/ÖFB: „Ich möchte und muss mich beim ganzen Land entschuldigen. Auch, wenn sich der Ball vor dem Tor versprungen hat, den muss ich einfach verwerten. Da gibt es keine Ausrede.“

Martin Harnik/ÖFB: „Wie beim 1 : 2 gegen Deutschland vor einem Jahr sind wir besser, kriegen knapp vor der Pause ein Tor und kämpfen uns zurück. Und am Ende reicht es wieder nicht.“

Andreas Ivanschitz/ÖFB: „Wir hätten zumindest einen Punkt verdient gehabt, der Sieg der Deutschen war glücklich. Zur vergebenen Chance vom Marko kann ich nur sagen, dass er in einigen Situationen seine Klasse gezeigt hatte. Er wird aufgrund der vergebenen Chance nicht im Boden versinken.“

Zlatko Junuzovic/ÖFB: „Die Stimmung im Stadion war phänomenal. Und bei uns war Leidenschaft zu spüren und die Laufbereitschaft da.“

Miroslav Klose/DFB: „Das war ein hartes Stück Arbeit. Gratulation an diese kämpfende Österreichische Elf“

Philipp Lahm/DFB-Kapitän: „Unser Spiel war schlecht. Wir haben 25 Minuten lang keine Lösung auf das gute Pressing der Österreich gewusst und haben auch schlecht von hinten heraus gespielt.“

Emanuel Pogatetz/ÖFB: „Ein Punkt gegen Deutschland wäre zu schön gewesen, aber die Pflicht beginnt erst jetzt. Gegen Kasachstan im Oktober sind sechs Punkte ein absolutes Muss.“

Marcel Schmelzer/DFB: „Österreich war sehr gut, hier werden nicht viele Mannschaften drei Punkte mitnehmen.“

www.oefb.at

www.marcelkoller.ch

www.dfb.de

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