Johann-GerstmannDie Herausforderung, sommertauglich zu bauen, ist heutzutage aus bautechnischer Sicht keine offene Baustelle. Dennoch ist die Vermeidung sommerlicher Überhitzung seit Jahren immer wieder an oberster Stelle bei Umfragen zu finden. Das dürfte eigentlich schon lange nicht mehr der Fall sein, meint der Bundesverband Sonnenschutztechnik / BVST.

Bildtext: Ing. Johann Gerstmann, Sprecher des Bundesverbandes Sonnenschutztechnik Österreich (BVST). Foto: privat

Laut International Energy Agency zählt die Kühlung von Gebäuden zu den am schnellsten wachsenden Stromverbrauchssegmenten – sie wird bis 2030 um mindestens 25 Prozent zunehmen und einen beträchtlichen Teil der Einsparung beim Heizen aufheben! Doch daran ist nicht nur die vielzitierte Klimaerwärmung schuld, sondern vor allem die effizienten, aber dichten Gebäudehüllen und der ständig steigende Glasanteil in den modernen Fassaden. Ausgedehnte Glasflächen überzeugen durch ihre ästhetische Wirkung und vor allem durch ihre Transparenz, neigen aber zu Überwärmung. Wie virulent das Thema ist, zeigen die Expertenbefragungen „Zukunft Bauen“ der Jahre 2011 bis 2014, durchgeführt von der Unternehmensberatung Mag. Siegfried Wirth.

Grafik: Must have: Sommertauglichkeit
Grafik: Must have: Sommertauglichkeit

In allen vier Erhebungen ist der Punkt „Vermeidung sommerlicher Überhitzung“ ganz oben auf der Liste der Herausforderungen zu finden. Für Johann Gerstmann, Sprecher des Bundesverbandes Sonnenschutztechnik, ist das unerklärlich: „Dieses Ergebnis hinsichtlich Überwärmung lässt vermuten, dass wir in den vergangenen Jahren zwar gut gelernt haben, wie man die Heizkosten in den Griff bekommt, aber dabei übersehen wurde, dass sich diese Maßnahmen auf den Sommerkomfort auswirken. Wenn Wohn- und Bürogebäude ganzheitlich geplant und gebaut werden, kann das – trotz Klimawandel – eigentlich gar nicht passieren.“ Der Experte räumt ein, dass transparente Bauteile wesentlich schwieriger zu planen sind als nicht transparente Fassaden. Vor allem deswegen, weil es dabei nicht nur um Heizwärmeverluste geht, sondern zusätzlich auch um die Tageslichtnutzung, unangenehme Blendung und eben die Energieeinstrahlung im Sommer.

Hype Heizwärmebedarf
Johann Gerstmann weiter: „Es geht immer um die Gesamtenergiemenge. Wir dürfen keine Häuser bauen, mit denen wir im Winter Energie einsparen, um dann im Sommer beträchtlich mehr zu verbrauchen.“ Große, südorientierte Fenster bedeuten hohen solaren Eintrag. Die Nutzung erneuerbarer Energien liegt im Ranking auf Platz 2 und bedeutet nicht nur Nutzung der Sonnenenergie durch Photovoltaik und Solarthermie, sondern auch Nutzung von freien Glasflächen, die bis zu 50 Prozent des Heizwärmebedarfs abdecken können. Diese enorme Energiequelle führt ohne geeignete Gegenmaßnahme außerhalb der Heizperiode unvermeidlich zur Überwärmung von Gebäuden, der offensichtlich größten Herausforderung der befragten Experten. Aus Sicht des BVST liegt die Lösung auf der Hand: So selbstverständlich es ist, Wände und Fenster gut zu dämmen, um keine teure Heizenergie zu verschwenden, müssen in Zukunft Fenster konsequent mit entsprechendem variablen oder temporären Hitzeschutz wie Markisen, Raffstore, Roll- und Schiebeläden ausgestattet werden. Positiver Nebeneffekt – ein außenliegender Sonnenschutz spart etwa das 60fache seines CO2-Fußabdruckes ein, die Maximierung der solaren Gewinne fürs Heizen noch gar nicht eingerechnet. Permanenter, starrer Sonnenschutz und insbesondere Sonnenschutzgläser reduzieren zwar das Risiko der Überwärmung, steigern aber nicht die Energieeffizienz. Denn leider reduzieren diese Gläser auch die Nutzung der Sonnenenergie in der Heizperiode und mindern deutlich den Tageslichteintrag, womit der Bedarf an Kunstlicht steigt und mit ihm auch der Stromverbrauch.

Klare Richtlinien – schwammige Auslegung
Mit In-Kraft-Treten des Energieausweises nach OIB-Richtlinie 6 wurde bereits vor sieben Jahren die Sommertauglichkeit gesetzlich verankert. Auch wenn der Energieausweis laut der Studie eine der großen Herausforderungen für die Baubranche darstellt, so bildet er die Grundvoraussetzung für die Wohnbauförderung. Das bedeutet unter anderem, dass Räume so zu planen sind, dass sie auch im Sommer nicht wärmer als 27 °C werden. Und das ganz ohne mechanische Kühlgeräte! Theoretisch ist also eigentlich alles geregelt, dennoch ist die Sommertauglichkeit in der Praxis oft nicht gegeben, weil schlicht und ergreifend der Nachweis in einigen Bundesländern nicht eingefordert wird. Dazu Johann Gerstmann: „Wir vom Bundesverband Sonnenschutztechnik fordern, dass der Nachweis der Sommertauglichkeit bei der Erstellung des Energieausweises verpflichtend wird. Zudem sollen ihn Käufer oder Mieter auf Verlangen auch vorgelegt bekommen. Heute liegt die Beweislast, dass ein Gebäude nicht sommertauglich ist, beim Nutzer – auch das muss im Sinne des Konsumentenschutzes geändert werden. Ohne dynamische Sonnenschutzsysteme ist bei den heute üblichen Fensterflächen und Bauweisen die Sommertauglichkeit eigentlich gar nicht zu erfüllen.“

Energie ist nicht alles
Und er fährt fort: „Vielleicht muss man Investoren, Architekten und Planer daran erinnern, dass Gebäude vor allem von Menschen bewohnt und genutzt werden. Das bedeutet, dass sie nicht nur energieeffizient, sondern auch gesund und komfortabel sein müssen.“ Behagliche Temperaturen lassen sich relativ einfach realisieren, bei guter Luft wird es schon etwas komplexer. Aber Räume auch mit gutem Licht in Bezug auf visuelle Wahrnehmung und physische und psychische Prozesse zu versorgen, ist eine Disziplin mit hohem Entwicklungspotenzial. Fürs Sehen gibt sich unser Auge auch mit Kunstlicht zufrieden, aber natürliches Tageslicht lässt „Gute-Laune-Hormone“ wie Serotonin und Noradrenalin zum Zuge kommen, erhöht unseren Unternehmungsgeist und verbessert die Abwehrkräfte. Johann Gerstmann abschließend: „Deshalb gilt es besonders bei der Vermeidung der sommerlichen Überhitzung darauf zu achten, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten und bei der Reduzierung des Wärmeeintrages das Tageslicht nicht kaputt zu machen!“

www.bvst.at

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